Ginge es nach Angela Merkel, dann müssten sich die 27 Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union und die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen besser heute als morgen auf einen großen EU-Finanzplan bis zum Jahr 2027 und weit darüber hinaus einigen.

Sie alle "treffen" einander per Videokonferenz zu einem EU-Gipfel am Freitag, von dem die deutsche Kanzlerin sagt, dieser falle in die wohl schwierigste Zeit in der Geschichte der Gemeinschaft. Die Corona-Krise und ihre wirtschaftlichen Folgen, die alle Mitgliedstaaten treffen, aber eben sehr unterschiedlich stark, drohen das gemeinsame Europa auseinanderzureißen. Spannungen um EU-Budgets und -Hilfen gibt es genug. Einigen Ländern könnte bei einem Einbruch des BIPs von über zehn Prozent der Kollaps drohen.

Bild nicht mehr verfügbar.

Persönliche Treffen gibt die Corona-Lage noch nicht her. Die EU-Spitzen ringen daher am Freitag einmal mehr via Videochat um die Zukunft.
Foto: Reuters/Pool

Kein Wunder, dass Merkel so auf die Tube drückt. Selten hat man die sonst so Rationale so emotional gehört wie im Bundestag am Donnerstag: "Wir dürfen nicht naiv sein, die antidemokratischen Kräfte, die radikalen, autoritären Bewegungen warten ja nur auf ökonomische Krisen, um sie dann politisch zu missbrauchen." Diese wollten "soziale Ängste schüren, Unsicherheit verbreiten".

Zwei Jahre erfolglose Gespräche

Es geht in den kommenden Wochen und Monaten womöglich um alles. Denn: Streit und nach wie vor große Auffassungsunterschiede gibt es bei den Regierungschefs nicht nur bezüglich des regulären Budgetrahmens auf sieben Jahre – ab Anfang 2021. Nach dem Vorschlag von der Leyens soll er 1.100 Milliarden Euro betragen, pro Jahr also etwa 150 Milliarden Euro (auf Preisbasis 2018). Seit gut zwei Jahren wurde bis März erfolglos verhandelt.

Ursula von der Leyen schlägt einen Budgetrahmen in Höhe von 1.100 Milliarden Euro vor.
Foto: APA/AFP

Dann kam im März das Coronavirus nach Europa. Viele nationale Grenzen wurden geschlossen, die Wirtschaft brach fast überall ein, was "die Chefs" bei einem EU-Gipfel Ende April dazu veranlasste, bei der Kommission einen "Wiederaufbauplan" in Auftrag zu geben. Ziel: Um ein gefährliches Auseinanderdriften zu verhindern und den Binnenmarkt zu retten, sollte es entschlossene Hilfen – sprich noch mehr Finanztransfers als bisher – für jene Staaten geben, die von Corona am härtesten getroffen wurden und werden.

Hilfen als Streitpunkt

Von der Leyen und ihr Haushaltskommissar Johannes Hahn lieferten Ende Mai: einen Wiederaufbauplan, der mit 750 Milliarden Euro dotiert werden soll, der quasi auf den regulären Budgetrahmen "draufgesetzt" werden soll. Seither wird noch mehr gestritten, nicht nur darüber, wer in vier Jahren Laufzeit wie viel aus diesem Sonderfonds bekommt, sondern auch, wer wie viel zahlt.

Merkel sagte, vor allem dieser Fonds sei "ein dringendes Gebot der Stunde". Ihr geht es im Ausgleich mit Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron darum, Europa im Kompromiss zusammenzuhalten, auch unter Inkaufnahme erster Schritte einer Fiskalunion. Wichtig: Sie übernimmt ab 1. Juli den EU-Ratsvorsitz, die Chance, etwas weiterzubringen. Daneben gibt es, drei weitere "Gruppen":

  • Die Südstaaten, die den Löwenanteil der Hilfen zum Wiederaufbau bekommen sollen, allen voran Italien (172 Mrd.) und Spanien (142 Mrd.), die fast auf die Hälfte der Gelder kämen. Sie sind pro Paket.
  • Die Gegenposition nehmen die vier kleinen Nettozahlerländer Österreich, Schweden, Dänemark und die Niederlande ein. Sie pochen auf Effizienz in EU-Budget und -Politik, wollen neue Hilfen nicht vor allem als EU-Zuschüsse, sondern in Form von Krediten. Hinter der harten Haltung taktieren sie aber, um sich Vorteile herauszuhandeln.
  • Und dann gibt es die Gruppe der Osteuropäer, die vor allem befürchten, dass ihre bisher üppigen Subventionen aus dem regulären EU-Budget, den Agrar- und Kohäsionstöpfen, durch Verlagerung nach Südeuropa geschmälert werden. Die Kommission hat in ihrem Plan versucht, möglichst für alle Staaten "Zuckerln" einzupreisen, die am Ende einen Kompromiss ermöglichen sollen. Polen und Ungarn wären Profiteure des Übergangsfonds zur Energiewende.

Der Dreh dabei: Von der Leyen will mit aufgestockten "Eigeneinnahmen", künftigen Klima- und Binnenmarktabgaben, für die Finanzierung des Wiederaufbaus sorgen, mit Schulden, für die die Staaten teilweise garantieren. Nebeneffekt: Die direkten Beiträge aus nationalen Budgets blieben ein Jahrzehnt lang klein. Die Schulden will die Kommission dann bis zum Jahr 2058 tilgen.

Aber zunächst geht es beim EU-Gipfel darum, wer zu welchen Konditionen wie viel bekommt vom großen Kuchen. Bis zu einer Einigung dauert es wohl noch. Der Termin für den nächsten EU-Budgetgipfel gibt es schon: am 9./10. Juli in Brüssel. (Thomas Mayer aus Brüssel, 19.6.2020)