Das Innsbrucker Haus der Musik wurde im Herbst 2018 eröffnet, jetzt wird nachträglich Kritik am Bau geübt.

Foto: Günther Egger

Innsbruck – Das nächste Prestigeprojekt der Tiroler Landeshauptstadt, das zum Bumerang wird: Nach dem Millionendebakel am Patscherkofel gerät nun das Haus der Musik in den Fokus der Kritik. Der Rechnungshof veröffentlichte am Freitagvormittag einen Bericht zu dem im Herbst 2018 eröffneten Vorzeigeprojekt der Stadtführung. Und er übt darin heftige Kritik.

So wurden die Baukosten um mehr als zehn Prozent überschritten, der Bau weist zudem schwere Mängel in Sachen Barrierefreiheit auf. Beim Abriss der zuvor am Standort befindlichen Gebäude wurde nicht beachtet, ob und welche Schadstoffe in der alten Bausubstanz enthalten sind, die Qualitätsprüfung des verwendeten Betons wurde verabsäumt und das Vier-Augen-Prinzip teils missachtet. Zumindest der Zeitplan wurde eingehalten, merkt der Rechnungshof an.

Mangelnde Barrierefreiheit als Hauptkritikpunkt

Die Mängel bei der Barrierefreiheit sind der gravierendste Kritikpunkt. Denn schon im Zuge des Baus wiesen Behindertenorganisationen mehrfach darauf hin. Größte Schwachstelle ist das Blindenleitsystem, das falsch und mangelhaft umgesetzt wurde.

Michael Berger, Verkehrsreferent des Blinden- und Sehbehindertenverbands Tirol, hatte die Verantwortlichen mehrfach auf die Mängel aufmerksam gemacht, wie er erzählt. "Es gab im Vorfeld ein ganzes Lastenheft, was in Sachen Barrierefreiheit zu beachten ist. Wir haben seitens des Blindenverbands auf die geltenden Ö-Normen verwiesen." Doch das von der Innsbrucker Immobilien GmbH (IIG) – eine Firma im Besitz der Stadt Innsbruck, die als Bauherr fungierte – beauftragte Ziviltechnikerbüro habe einen Punkt dieser Norm "völlig falsch interpretiert", sagt Berger.

Schwere Mängel bei Blindenleitsystem

In der Praxis heißt das, die Rillen des Blindenleitsystems seien nicht annähernd so tief, wie sie sein müssten, um die nötige Orientierungshilfe zu bieten. Darüber hinaus führe das Leitsystem teils direkt in Hindernisse und Gefahrenstellen, anstatt daran vorbei. Anstatt die Mängel ordentlich zu beheben, sei kurz vor der Eröffnung 2018 versucht worden, nachzubessern. Mit mäßigem Erfolg, wie Berger sagt. Manche Mängel bestehen bis heute. Er fordert eine Produkthaftung der Ziviltechniker, die hier offenbar ihren Auftrag nicht erfüllt haben.

Der Rechnungshof findet dafür sehr klare Worte: "Das Haus der Musik entsprach hinsichtlich der Barrierefreiheit weder den gesetzlichen Anforderungen noch dem eigens zuvor erstellten Gutachten. Nach Abschluss der Bauarbeiten in den Jahren 2016 bis 2018 stellten Behinderten-Interessenvertretungen Mängel bei der Barrierefreiheit fest. Dennoch erteilte die Stadt Innsbruck im Oktober 2018 die Benützungsbewilligung – und zwar ohne Auflagen zur Barrierefreiheit."

Kosten um mehr als zehn Prozent überschritten

Neben der mangelhaften Barrierefreiheit kritisiert der Rechnungshof, dass die Kosten für das Projekt um 6, 03 Millionen Euro gestiegen sind. Im April 2015 war noch von prognostizierten 55,64 Millionen Euro die Rede, im Mai 2019 belief sich diese Summe bereits auf 61,67 Millionen. Diese Mehrkosten seien unter anderem auf Projektänderungen während der Bauphase zurückzuführen. Dafür lobt der Bericht, dass die Bauzeit fast eingehalten wurde: Geplant war die Fertigstellung im März 2018, letztlich wurde es Oktober desselben Jahres.

Kritisch merkt der Bericht allerdings an, dass beim Abriss der alten Gebäude am Standort – den alten Stadtsälen – keine Schad- und Störstofferkundung durchgeführt wurde. Denn aufgrund einzelner Hinweise sei davon auszugehen gewesen, dass in dieser alten Bausubstanz gefährliche und giftige Abfälle wie Asbest oder Teer enthalten seien. Diese hätten gemäß abfallrechtlicher Bestimmungen fachgerecht entsorgt werden müssen.

Betonqualität nicht geprüft

Ein weiterer Kritikpunkt des Rechnungshofs bezieht sich auf die Qualität des verwendeten Betons. So habe es der Bauherr verabsäumt, wesentliche Qualitätsprüfungen des verwendeten Betons einzufordern. Daher fehlt nun der Nachweis, ob der im Haus der Musik eingebaute Beton den normgemäßen Vorgaben entspricht. Das birgt das Risiko von Qualitätsmängeln. Der Rechnungshof empfiehlt der IIG daher, "eine Überprüfung der Qualität des eingebauten Betons durch eine akkreditierte Prüfanstalt einzufordern".

Schließlich bemängelt der Rechnungshofbericht noch Schwachstellen bei der Anwendung des Vier-Augen-Prinzips. So habe beispielsweise ein einzelner Mitarbeiter der IIG Mehrkosten in der Höhe von knapp einer Million Euro ohne Information des Vorgesetzten beauftragt.

Die Statements der Verantwortlichen

Die ehemalige Innsbrucker Bürgermeisterin Christine Oppitz-Plörer (Für Innsbruck – FI), in deren Amtszeit der Bau des Haus der Musik fiel und die nun als Stadträtin der Viererkoalition des grünen Bürgermeisters Georg Willi angehört, will keine Stellungnahme zur Rechnungshofkritik abgeben. Der Bericht sei ihr nicht bekannt, und eine Vorversion davon sei ohnehin bereits im Gemeinderat behandelt worden.

Bürgermeister Willi ließ auf Anfrage Folgendes zur Kritik des Rechnungshofs wissen: "Ich wurde schon vor Monaten vom Rechnungshof zu einer Besprechung des Bauvorhabens 'Haus der Musik' geladen. Bereits damals war klar, dass bei einem so komplexen Bauvorhaben nicht alles perfekt laufen kann. Die Prüfer haben jedoch ein in Summe positives Feedback gegeben. Gleichzeitig wurde ich gebeten, aus den Unzulänglichkeiten, die passiert sind, Schlüsse für neue Bauvorhaben zu ziehen. Das wird die Stadt Innsbruck auch tun."

Der Obmann des Kontrollausschusses im Innsbrucker Gemeinderat, Mesut Onay (Ali), spricht angesichts der Rechnungshofkritik von einer ganzen Reihe an Großprojekten, die in Tirols Landeshauptstadt aus dem Ruder gelaufen sind: "Das Haus der Musik ist kein Einzelfall. Die letzte Periode war geprägt durch eine regelrechte Epidemie von Großprojekten, die aus dem Ruder gelaufen sind. Das Haus der Musik ist nur das jüngste Beispiel für eine unverantwortliche Baupolitik, bei der es keine politische Kontrolle gegeben hat. Beispiele kann man da noch viele aufzählen: die Umbrüggler Alm, den Patscherkofel, die Stadtbibliothek." (Steffen Arora, 19.6.2020)