Der EU-Gipfel ist ohne Ergebnis zu Ende gegangen.

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Der EU-Sondergipfel für einen Corona-Wiederaufbauplan in Brüssel ist am Freitag ohne Ergebnis zu Ende gegangen. Im Ringen um den 750 Milliarden Euro schweren europäischen Wiederaufbaufonds und das auf 1,1 Billionen Euro aufgestockte EU-Budget bis 2027 gab es nach Angaben von Diplomaten bis zum Schluss kaum Bewegung. Beim Gipfel der Staats- und Regierungschefs seien bisher altbekannte Positionen wiederholt worden, hieß es in EU-Ratskreisen.

Es war das erste Mal, dass die 27 Staats- und Regierungschefs gemeinsam über die Vorschläge der EU-Kommission beraten – coronabedingt per Videochat. Die Differenzen zu den Fragen, wie und wofür die insgesamt 1.850 Milliarden Euro ausgegeben werden sollen, welches Land wie viel bekommt und wie das Ganze überhaupt finanziert wird, seien enorm, hatte es schon zum Auftakt aus Ratskreisen geheißen.

Der Ständige Ratspräsident Charles Michel wollte das Treffen auch nur dazu nützen, ein klareres Bild der Lage zu erlangen. Ein EU-Gipfel Mitte Juli in Brüssel, an dem die Staats- und Regierungschefs anders als diesmal physisch teilnehmen, soll einen Durchbruch bringen. EU-Ratspräsident Charles Michel sagte am Freitag, es gebe einen "aufkommenden Konsens", man dürfe aber auch die Differenzen nicht unterschätzen.

Merkel vorsichtig optimistisch

"Jetzt gehen wir in eine neue Phase", so Michel. Nunmehr würden die Verhandlungen über den Wiederaufbauplan und das EU-Budget bis 2027 intensiviert. Es gebe die Bereitschaft aller, sich zu engagieren. "Die Brücken, die wir noch zu bauen haben, sind groß", kommentierte die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel nach dem Gipfel. Die EU-Führungsspitzen seien einer Meinung, dass die ernste Situation eine "ehrgeizige gemeinsame Antwort" erfordere, die "Solidarität, Investitionen und Reformen" kombinieren, sagte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Freitag in einer Pressekonferenz.

Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz sieht "noch viel Diskussionsbedarf". Die Debatte am Freitag sei "der Startpunkt für lange Verhandlungen", so Kurz nach der Videokonferenz. Der Kanzler bekräftigte in einer Aussendung die Forderung, dass die EU-Hilfen vor allem in Zukunftsbereiche wie Digitalisierung oder Ökologisierung investiert werden.

"Wir sind unseren Steuerzahlern verantwortlich und lehnen daher eine Schuldenunion über die Hintertüre ab. Aus diesem Grund braucht es eine klarere zeitliche Befristung als derzeit vorgesehen. Wir treten auch ein für günstige Kredite statt Zuschüsse", sagte Kurz. Er werde sich weiterhin eng mit den Premierministern der Niederlande, Dänemarks und Schwedens abstimmen.

Der Vorschlag der EU-Kommission für einen 750 Milliarden Euro schweren Aufbaufonds und für ein 1,1 Billionen schweres EU-Budget ist umstritten. Österreich und andere Nettozahler beharren darauf, dass die Hilfen vor allem als Kredite und nicht als Zuschüsse fließen.

Freude in Ost- und Mitteleuropa

Einer der größten Streitpunkte war – und ist weiterhin – die Frage, ob die Verteilung der Mittel aus dem Wiederaufbau gerecht ist und ob man überhaupt so viel Geld aufwenden soll, wie die Kommission vorgeschlagen hat. Diese hatte gefordert, dass der Fonds mit 750 Milliarden Euro dotiert werden soll, die in Form von Anleihen von der EU auf den Märkten aufgenommen werden. Für diese Schulden würden die EU-Staaten aber garantieren müssen, auch wenn die Tilgung ab 2058 durch EU-Klimasteuern erfolgen soll.

Wie berichtet, wären Italien mit 172 Milliarden Euro und Spanien mit 141 Milliarden die größten Profiteure des Plans. Daneben blieb bisher eher unbelichtet, dass auch einige mittel- und osteuropäische Staaten zu den großen Gewinnern gehören würden, allen voran Ungarn, das von der Corona-Krise im Vergleich gar nicht so sehr betroffen ist.

Nach derzeitigen Berechnungen könnte Ungarn unter dem Titel Wiederaufbau ab 2021 mit zusätzlichen 15,1 Milliarden Euro aus Fördertöpfen rechnen, insbesondere aus Agrar- und Kohäsionsförderung, die der neuen politischen Priorität von Klimaschutz und Digitalisierung folgen soll.

Österreich bekäme weniger

Zum Vergleich: Österreich würde mit neun Millionen Einwohnern nur vier Milliarden Euro erhalten, und Schweden, das von der Bevölkerungszahl her etwa gleichauf mit Ungarn liegt, 4,7 Milliarden. Die Niederlande – fast doppelt so groß – müssten sich mit 6,8 Milliarden begnügen. Das ist nur einer von vielen Gründen, warum die "sparsamen vier" EU-Nettozahlerländer sich querlegen gegen bisherige Pläne und eine kräftige Abspeckung des Wiederaufbaufonds verlangen.

Neben Ungarn würden aber auch Polen mit zusätzlich 63,8 oder Rumänien mit 31,2 Milliarden Euro Zusatzgeld aus Brüssel überdurchschnittlich begünstigt werden.

Die Gründe: "In Wahrheit ist der Wiederaufbauplan ein großes Konjunkturpaket, kein Krisenbewältigungsprogramm", kritisiert ein Budgetexperte der "Sparsamen Vier". Am Beispiel Ungarns lasse sich illustrieren, warum der Vorschlag der Kommission allzu üppig ausgefallen sei.

Umgeleitetes Geld – schon jetzt

Die Regierung des wegen seiner EU-Rechtsverletzungen seit Jahren umstrittenen Premierministers Viktor Orbán kann sich trotz vieler Verfahren darüber freuen, dass das Land schon bisher einer der größten Empfänger ist. Mehr als fünf Milliarden Euro fließen pro Jahr netto an EU-Hilfen nach Budapest. Obwohl es seit Jahren Überlegungen gibt, dass man die Förderungen an die Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit knüpft und vor allem die Kontrolle verschärft, weil Orbán Projektgelder großzügig an Freunde und Verwandte umleiten soll, hat sich an der Praxis nichts geändert.

Im Wiederaufbauplan fehlen solche Überlegungen, wie man die Zuschüsse und Kredite in Zukunft streng mit Rechtstreue verbinden will – es gibt nur vage Ansätze, aber keine Einigkeit bei den Regierungschefs, das konkret umzusetzen.

Auch das Parlament muss zustimmen

Warum das vom Coronavirus nicht sehr stark betroffene Ungarn überhaupt so viel Geld zusätzlich bekommen soll, hat mit der Systematik des Wiederaufbaufonds zu tun. Die 750 Milliarden daraus werden sozusagen an die Programme des regulären Budgets "angedockt".

Die Subventionen sollen prioritär an Projekte gehen, die besonders in Klimaschutz, Nachhaltigkeit und erneuerbare Energie investieren. Da haben die Osteuropäer, die viel weniger verschuldet sind als die Südländer, besonderen Nachholbedarf. So wird es einen "Übergangsfonds" geben, in den zusätzlich 30 Milliarden fließen sollen – ein großer Teil davon nach Polen.

Kritiker sagen, die Kommission habe das so angelegt, um die Zustimmung der Osteuropäer zum gesamten Budgetpaket zu gewinnen. Das wird nicht nur bei den Regierungschefs wichtig sein, sondern im Herbst vor allem auch im EU-Parlament. Denn die EU-Abgeordneten haben es in der Hand, das EU-Budget und den Wiederaufbaufonds abzulehnen. Aber so weit ist man noch lange nicht. Vorerst streiten nur die 27 Regierungschefs. (red, Thomas Mayer aus Brüssel, 19.6.2020)