Raimund Abraham im Austrian Cultural Forum in New York, 2002.

Foto: APA / Monika Wunderer

Er setzte sich in den Fauteuil, blickte etwas schroff unter seiner Hutkrempe hervor und machte einen paffenden Zug mit seiner Zigarre. "Also, dann stellen Sie halt Ihre Fragen!" Nach ein paar Minuten dann der erste große Widerspruch. "Nein, das sehe ich nicht so. Ich behaupte, dass Architektur nicht unbedingt gebaut werden muss. Papier, Bleistift und die reine Sehnsucht nach dem Raum reichen vollkommen aus, um Architektur zu machen. Das Bauen ist eigentlich nur der letzte Schritt im Prozess, das Gezeichnete zu übersetzen und die physische Benutzbarkeit zu ermöglichen. Man kann darauf aber auch gut verzichten."

Genau diesem Herrn, der sich in der Öffentlichkeit mit stets grantigem Blick zeigte und nicht davor zurückscheute, die Architektenschaft lauthals zu beschimpfen und zu verfluchen, widmet das Museum für angewandte Kunst (Mak) nun seine erste Post -Corona-Ausstellung. Angles and Angels, wie die von Bärbel Vischer kuratierte Schau im Kunstblättersaal so eckig und engelhaft zugleich genannt wird, lässt die wenigen realisierten Bauwerke von Raimund Abraham nahezu links liegen, verzichtet auf Fotos und realistische Darstellungen und konzentriert sich stattdessen voll und ganz auf Abrahams wichtigstes Kommunikationswerkzeug – auf die Skizze, auf die Collage, auf die mitunter mannshohe, akribisch durchaxonometrierte Schnittzeichnung.

Raimund Abraham sah Architektur immer als Kräftespiel mit der beziehungsweise gegen die Natur. Kugeln in der Landschaft (ohne Titel, 1960er -Jahre)
Foto: Privatsammlung, Mak / Georg Mayer

Abraham, 1933 in Lienz geboren, 2010 bei einem Verkehrsunfall in Los Angeles tödlich verunglückt, gehört trotz seiner wenigen realisierten Bauwerke zu den wichtigsten österreichischen Architekten des 20. Jahrhunderts. Gemeinsam mit Rudolf M. Schindler, Richard Neutra und Friedrich Kiesler zählt er zu jener Generation, die Österreich den Rücken kehrte, um sich im Amerika der Sechzigerjahre, im Land der unbegrenzten Möglichkeiten, eine Existenz ohne Zwänge und Einschränkungen aufzubauen. Er leitete ein eigenes Architekturbüro, unterrichtete an mehreren Hochschulen und führte ein hedonistisches Leben in New York, Los Angeles und Mazunte am mexikanischen Pazifik.

Demut vor der Natur

Was sofort auffällt: Während Abrahams spätes Werk vor allem eine Huldigung an Metrik, Materialität und Maschinenästhetik ist, die 2001 im 85 Meter hohen Austrian Cultural Forum in New York gipfelte, wirken seine frühen Skizzen, die den Schwerpunkt der Mak-Ausstellung bilden, wie die utopischen Träume von Hans Hollein, Archigram und Coop Himmelb(l)au. Da werden Bälle in der Landschaft platziert, da werden städtische Infrastrukturen in einer schlauchartig um sich greifenden Megabridge gebündelt, da werden die Funktionen des Bauens und Wohnens prototypisch auf ein einziges, kugelrundes Universal House reduziert.

städtische Infrastruktur träume in einer "Megabridge" (Collage, 1964)
Foto: Privatsammlung, Mak / Georg Mayer

"Nur die Augen sind in der Lage, unbekannte Landschaften zu durchdringen, Täler von verwundeten Bergen, trockene Ebenen, Wasserfälle aus flüssigem Erz, versteinerte Träume, die den Albträumen des Erbauers von bröckelnden, zu Staub zerfallenen Mauern zu entfliehen suchen", schreibt Raimund Abraham 2001 in seinem Manifest Eyes Digging, als würden seine Augen das Vorgefundene durchsuchen und durchgraben wollen. "Kann ich jemals die Fesseln meines Schicksals aufbrechen, der ich zerrissen bin zwischen dem Willen zu bauen und dem Wunsch zu träumen?"

Genau in diesen träumenden Worten, sagt Christoph Thun-Hohenstein, einst Bauherr und Leiter des Austrian Cultural Forum in New York, heute Direktor des Mak, merke man Abrahams Philosophie und Demut vor der Natur. "Für Abraham ist jedes Gebäude ein gewaltiger Eingriff in die Natur. Er war der Meinung: Wenn man die Landschaft schon verletzt, dann muss das Gebaute umso besser, umso stärker sein, denn nur dann könne sich das Gebäude mit der Landschaft wieder versöhnen. Diese Balance herzustellen, meinte er, ist die Verantwortung jedes Architekten."

Reduktion des Wohnens und Lebens auf das Wesentliche im "Universal House" (Print, koloriert, 1967)
Foto: Privatsammlung, Mak / Georg Mayer

Mit diesem Überbau versteht man nicht nur Abrahams Thesen und Manifeste, sondern begreift auch seine mal eckig aggressiven, mal vorsichtigen Striche. Im House with Curtains (1971) überlässt der Architekt die ultimative Formgestaltung dem Wind. Das House with Two Halves (1972), das er seinem Freund Walter Pichler widmete, ähnelt einem entzweiten Brotlaib, der sich respektvoll in die Erde gräbt. Und vor dem House with Flower Walls (1972) ist man als Betrachter ganz überrascht, wie dünn und fein die Bleichstrichskizze der Architektur ausfällt, wohingegen die kräftig rot kolorierten Blumenstränge und Wurzeln die Mauern wie blutdurchströmte Venen und Adern penetrieren.

Architekturen als Feste

Doch nicht alle teilen die Ansicht, dass Abraham stets mit Respekt und Vorsicht gegenüber der Natur gearbeitet habe. "Das war ein eigensinniger und manchmal auch ziemlich brutaler Architekt, den ich gerne zu den österreichischen Beton-Fundamentalisten zähle", sagt Wolf Prix, Mastermind von Coop Himmelb(l)au, der 2005 anlässlich der Verleihung des Goldenen Ehrenzeichens für Verdienste um das Land Wien die Laudatio auf seinen Freund und Kollegen Raimund Abraham hielt. "Ich schätze sein Talent, er war formal sehr begabt, aber mit Vorsicht hat das alles nicht viel zu tun." Wie brutal Abraham in Gedanken baute, zeigen seine in der Ausstellung präsentierten Entwürfe für städtebauliche Wohnquartiere in Venedig – ein Projekt, das glücklicherweise nie zur Realisierung angedacht war.

Und so scheiden sich, auch noch zehn Jahre nach Abrahams Tod, die Geister. In seiner Laudatio bezeichnete ihn Wolf Prix als "nicht den Architekten der schnellen Zukunft, sondern jenen einer dauerhaften Zukunft. Seine Architekturen sind Feste!" Die Kuratorin Bärbel Vischer entdeckt in seinen Zeichnungen eine Sensibilität und Individualität des Bauens und Entwerfens, die in der heutigen CAD-Kultur längst verlorengegangen ist. Und Mak-Direktor Christoph Thun-Hohenstein sieht im Studium von Abrahams Werk eine Rückbesinnung auf wertvolle Fragen: "Wo stehen wir? Wovon träumen wir? Und welche Form von Fortschritt wollen wir haben?" Gerade jetzt könnten die Antworten anders ausfallen als noch vor wenigen Wochen. (Wojciech Czaja, 20.6.2020)