Weil anno 1978 auf der Kunsthochschule gerade nicht viel los war: The Monochrome Set mit ihrem exzentrischen Sänger Bid (re.).

Foto: Lester Square

Für einen zornigen Wirrkopf wie Morrissey erübrigt ein echter Gentleman "made in Britain" vor allem lebhaftes Bedauern: "Der da politisch im Trüben fischt, das ist nicht dieselbe Person, die uns all diese herrlichen Melodien und Songtexte geschenkt hat!", erklärt heute Bid, seit nunmehr 42 Jahren Sänger der famosen Independent-Band The Monochrome Set.

Bid, Sohn eines indischen Ingenieurs und einer britischen Art-School-Lehrerin, übersiedelte bereits 1965 nach London. Heute darf der zuvorkommende Dandy, der bürgerlich Ganesh Seshadri heißt, als der berühmteste unbekannte Popdichter der Postpunk-Ära gelten.

An Bids überkandidelter Poesie, stets mit einem Hauch von Noblesse sprechgesungen, haben sie alle Maß genommen: eben Morrissey, als der aus der damals backsteinbraunen Ödnis von Manchester lyrisch Reißaus nahm. Sein schmachtendes Ego maß er an Bid, der eine halbe Dekade vor ihm dran war. Vor allem aber plünderte The-Smiths-Gitarrist Johnny Marr das musikalische Inventar der – teils – schnurrbärtigen Käuze aus Brixton. Von den Monochrome Set übernahm Marr den unwiderstehlichen Gitarren-Sound: dieses ansteckend fröhliche Gedengel irgendwo zwischen Surf, Garage, Psychedelia und Twang.

Verträge für alle

Bid hatte das alles mit seinem Adlatus "Lester Square" (großartiger Name!) etwa 1978 gemeinsam erfunden. Damals wurden die Inskribenten von Kunsthochschulen im Vereinigten Königreich großzügig gefördert: Drei Jahre konnte man zirka tun und lassen, was man wollte; im vierten gründete man, um nur irgendetwas vorzuweisen, schließlich eine Band.

Gigs gab es zuhauf, kleine Plattenfirmen warfen den hastig zusammengewürfelten Drei-Akkord-Ensembles die Verträge wie Papierschlangen nach. Mit der ersten Platte gleich "Single of the Week" z.B. im "Record Mirror", schon war man Independent-Star im industriell darniederliegenden United Kingdom. Bid und seiner famos blasierten, artistisch jedoch ehrgeizigen Kapelle erging es nicht anders: "Nach zehn Konzerten in irgendwelchen Clubs und Kaschemmen hattest du bereits einen treuen Anhang von hundert unerschütterlichen Fans!"

Die lauschten denn auch verzückt bis tendenziell verständnislos den ersten beiden Alben von Bid und Co.: "Strange Boutique" und das noch weitaus fesselndere "Love Zombies" wurden jetzt, etwa 40 Jahre nach ihrer epochalen Erstveröffentlichung, von Tapete Records wieder aufgelegt. Es ist, als ob Oscar Wilde mit Monty Python gemeinsam eine Music-Hall betreiben würde – zur Belustigung von Nerds, die Godard-Filme ohne Tonspur schauen. Dazu konsumieren sie japanischen Swing-Pop unter der Leitung von Ennio Morricone, der ein Hawaii-Hemd und dazu papierene Stiefel trägt.

Bids wohlklingender "Tongue-in-cheek"-Gesang hat größten Eindruck auf nachgewachsene Größen wie Franz Ferdinand oder Belle And Sebastian gemacht. Die Karriere der schlauen, wunderbaren The Monochrome Set verlief freilich wie ein mehrteiliger Witz auf Kosten der Band – mit der Pointe, dass es diese heute, nach zwei mehrjährigen Unterbrechungen, immerhin wieder gibt.

In Würde gealtert

Bid, in Würde gealterter Gentleman, pflegt seine ästhetizistischen Nonsens-Verse in verschiedenfarbiger Tinte auf handgeschöpftes, liniertes Papier niederzulegen. Heute nimmt er Konzeptalben über (natürlich frei erfundene) Weggefährten der Heiligen Jungfrau von Orléans auf. Er singt, zehn Jahre nach einem gut überstandenen Gehirn-Aneurysma, womöglich noch süßer, inniger und minniglicher als vor 40 Jahren, während Flöten und Fiedeln einen allerliebsten Radau schlagen.

Das "Alte Testament" der Monochrome Set bilden freilich die Platten eins und zwei. Mit Album drei ("Eligible Bachelors", 1982), einem weiteren verkannten Meisterwerk, hätte um ein Haar der kommerzielle Erfolg Einzug halten können. Die Single "Jet Set Junta" bekam wertvolle Radiominuten. Doch Pech: Der Falkland-Krieg brach aus, man ließ die Band wie eine heiße, etwas merkwürdig gewachsene Kartoffelknolle wieder fallen.

Und während in den 1990ern der Britpop-Hype ausbrach und sich andere mit den monochromen Federn schmückten, da weilten Bid und Konsorten gerade auf Besuch in Japan. Ihre damaligen, sämtlich meisterlichen Alben wie "Dante‘s Casino" waren im Land der aufgehenden Sonne allen Ernstes in den Charts: auf Platz 42. Damit lagen sie hinter 39 Nippon-Künstlern sowie hinter Sting und Samantha Fox. (Ronald Pohl, 20.6.2020)