Nina Hoss (als Anna Bronsky) über die Verwandtschaft zwischen Instrumentalspiel und Schauspiel: Man müsse "Kontrolle und Loslassen verbinden. Nur dann kommst du zur Kreation.

Foto: Judith Kaufmann/ Port au Prince Pictures

STANDARD: Frau Hoss, das Kino nimmt vorsichtig wieder seinen Betrieb auf. Sie waren mit einem Film, der 2018 gedreht wurde, direkt betroffen: "Das Vorspiel" von Ina Weisse sollte ursprünglich im April starten. Wie kamen Sie zu dieser Hauptrolle?

Hoss: Ich kannte Ina Weisse zuerst als Schauspielerin, persönlich trafen wir einander, wie das unter Kolleginnen eben manchmal so ist, bei Festivals und beim Filmpreis. Ihren ersten Film als Regisseurin, Der Architekt, habe ich gesehen, ohne zuerst so recht zu begreifen, dass sie das ist. Als ich das Buch zu Das Vorspiel bekam, habe ich es dann schon mit Vorschusslorbeeren geöffnet, eben weil ich Der Architekt richtig gut fand.

Ich war sofort sehr angetan davon, wie sie diese Frauenfigur gezeichnet hat: Anna Bronsky, eine Musikerin. Dann habe ich Weisse getroffen, und wir haben sehr lange gesprochen. Wenn man lange miteinander reden kann, dann kann man auch gut miteinander arbeiten.

STANDARD: Anna Bronsky wird in "Das Vorspiel" nicht vollständig entschlüsselt. Sie hat einen Mann, einen Geliebten, einen Sohn und einen Schüler. Sie bleibt ein wenig rätselhaft.

Hoss: Im Schnitt haben sich Szenen verschoben, das trägt dazu bei. Dieses Chaos der Frau findet sich nun auch in der Struktur des Films. Dieses Mäandern. Sie findet keine Ruhe.

STANDARD: Wie gehen Sie als Schauspielerin mit gewissen Leerstellen bei Figuren um? Überlegen Sie sich da eine Geschichte als Hintergrund?

Hoss: Ich habe mir schon ein paar Sachen überlegt. Wie hat Anna ihren Mann kennengelernt? Was war ihr Weg? Ich dachte mir das so: Sie hat sich befreit, ging nach dem Studium nach Frankreich, ist aber dann doch wieder da gelandet, wo sie herkommt. Den Konflikt konnte ich tatsächlich am besten über die Arbeit an der Musik verstehen. Sie möchte auf der Bühne zur Ruhe kommen und genießen. Sie möchte endlich wissen, was sie will.

STANDARD: Sie spielen eine Geigerin, also eine Frau, die Musik interpretiert und darbietet. Sehen Sie daParallelen zu Ihrer Arbeit als Schauspielerin?

Hoss: Ich sehe da eine Parallele zu jeder Kunst, indem du dabei eigentlich Kontrolle und Loslassen verbinden musst. Nur dann kommst du zur Kreation. Ich spiele selbst nicht Geige, sondern Klavier. Als Kind wollte ich nicht Bach spielen, das mussten immer die Romantiker sein, Schumann oder Debussy. Auch Beethoven. Da verstehe ich etwas, da kann ich eine Geschichte erzählen.

Bach habe ich erst im Laufe meines Älterwerdens begriffen. Die Chaconne, das Stück, das Anna übt in dem Film, hat er geschrieben, nachdem er erfahren hat, dass seine Frau gestorben war, die er sehr geliebt hat. Das war für mich mein Zugang zum Film.

STANDARD: Das Stück muss in den Körper, sagt Anna zu ihrem Schüler. Er findet die Übungen, die sie ihm aufgibt, eigentlich zu einfach. Er möchte mehr Musik.

Hoss: Es muss in deinen Körper sinken. Auch bei meinem Spiel. Wenn ich an eine Situation nicht rankomme, weil ich sie nicht erlebt habe oder weil sie mir fremd ist, dann traue ich mir nicht und bin zu sehr mit Wirkung beschäftigt und bin nicht in der Situation. Also muss ich so lange nach Entsprechungen suchen, die körperlich etwas in mir auslösen. Dann kommen die Reaktionen meiner Figur von ganz alleine. Klarheit stellt sich nur ein, wenn ich weiß, was die Situation ist.

STANDARD: Vor Corona war #MeToo das große Thema in der Filmwelt. Was hat sich Ihrer Wahrnehmung nach dadurch verändert?

Hoss: Frauen sind tatsächlich durch diese Geschichte gestärkt worden. Die meist männlichen Entscheidungsträger wissen inzwischen auch, dass man uns jetzt nicht mehr so einfach abtun kann als kleine Schauspielhäschen. Da hat sich etwas verändert in der Wahrnehmung und im Umgang. Ich würde es mal als Vorsicht beschreiben. Daraus wird hoffentlich eine Selbstverständlichkeit. Es geht für mich gar nicht so sehr um Missbrauch, sondern um Machtmissbrauch.

STANDARD: Würden Quotenregelungen beim Film helfen?

Hoss: Eine Quote muss für mich da greifen, wo Abgänger von Hochschulen zu arbeiten beginnen. Da sind die Länder und die Förderer in der Pflicht. Sie müssen darauf achten, dass Frauen die Möglichkeit bekommen, etwas zu produzieren. Bei der Berlinale oder in Cannes hat eine Quote wenig Sinn, wenn der Weg zum Filmemachen für viele Frauen versperrt ist. Unser Geschmack ist immer noch sehr von der männlichen Sicht geprägt. Wenn wir beides nebeneinander hätten, die Sichtweisen von Frauen und Männern, wären wir sehr viel reifer.

STANDARD: Wie weit haben schon Ihre Eltern Ihr Selbstbewusstsein gestärkt?

Hoss: Ich wusste früh von meinen Eltern: Du kannst immer Nein sagen, und du kannst eine Situation verlassen. Das heißt natürlich nicht, dass man keine Konflikte aushält. Aber ich kann auch gehen. Diese Sicherheit haben sie mir mitgegeben.

STANDARD: Ihre Pläne für dieses Jahr wurden sicher auch durch dieCorona-Krise durcheinandergebracht. Gibt es mittlerweile neue Klarheiten?

Hoss: Ich habe zuletzt die internationale Serie Shadowplay gedreht, einen Vierteiler in Berlin im Jahr 1946. Die wird im Herbst ausgestrahlt. Durch die Pandemie ist die geplante Fortsetzung erst mal verschoben, wenn nicht aufgehoben.


Rezension

Die Geigerin Anna Bronsky steht sich im Weg. Musikalisch ist sie hoch begabt, aber sie zweifelt an sich, und wenn sie auf der Bühne steht, fehlt dieser letzte Schritt, mit dem sie in ihrem Spiel aufgehen könnte. Für Nina Hoss eine nahezu perfekte Rolle: eine Figur, die selbst schon spielt und deren Schwierigkeiten damit zugleich offenbar gemacht und verheimlicht werden sollen. Regisseurin Ina Weisse hat mit Das Vorspiel einen ruhigen, im Detail dramatischen Film gemacht, der sich mit den Grenzen zwischen persönlichem und künstlerischem Ausdruck beschäftigt. Im Innersten dieser Geschichte um eine Übertragung von einem (eigenen) auf ein anderes Kind steckt auch ein Thriller, den Ina Weisse aber geschickt nur andeutet. Ab 26. 6. (Bert Rebhandl, 20.6.2020)