Den Daten der Druckerfestplatten aus dem Bundeskanzleramt wurde bei Reißwolf Leben ausgehaucht.

Foto: APA/Neubauer

Neu aufgetauchte Dokumente rücken die sogenannte Schredderaffäre wieder ins Scheinwerferlicht. Der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) wurde die Zuständigkeit für den Fall entzogen, als diese die Anordnung zur Sicherstellung elektronischer Geräte eines Mitarbeiters von Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) bereits unterschrieben hatte, wie am Donnerstagabend Zackzack berichtete.

Die Sicherstellung des Handys wurde dann nie durchgeführt. Besitzer des Geräts war der Kanzlerfotograf Arno M., der unter falschem Namen und gegen Proteste aus der IT-Abteilung des Kanzleramts Festplatten bei der Firma Reisswolf schreddern ließ. Die WKStA sollte prüfen, ob das Schreddern in Zusammenhang mit der Ibiza-Affäre stand, denn der Besuch von Arno M. bei der Firma Reisswolf fand wenige Tage nach Erscheinen des Ibiza-Videos und kurz vor dem Misstrauensantrag gegen Kanzler Kurz statt.

Gefahr im Verzug

Die Oberstaatsanwaltschaft Wien erließ dazu am 1. August eine dringliche Weisung, die sich mit der Zuständigkeit von WKStA oder Staatsanwaltschaft Wien für den Fall befasst und in zweifacher Hinsicht bemerkenswert ist.

So war die Weisung in die Zukunft gerichtet: Wenn kein Konnex zu Ibiza besteht, dann sei die StA Wien statt der WKStA zuständig – denn man wolle die WKStA davor "schützen", "ressourcenintensive" Ermittlungstätigkeit außerhalb ihres Kerngebiets durchführen zu müssen. Außerdem auffällig: Wegen "Gefahr im Verzug" durchlief die Weisung nicht die gesamte Weisungskette bis zum Weisungsrat, sondern nur bis zu Sektionschef Christian Pilnacek. Der begründet das auf Anfrage mit dem "außergewöhnlichen Interesse der Öffentlichkeit" an dem Fall. Die OStA verweist auf die Weisungskette.

Die WKStA regte bereits Mitte Juli den Besuch von Ermittlern in der ÖVP-Zentrale und in der Wohnung von Arno M. an. Die Amtshandlung wurde auch vom Polizisten N. R. durchgeführt, der zuvor Unterstützungs-SMS an Ex-Vizekanzler Heinz-Christian Strache geschrieben und einst für die ÖVP als Gemeinderat kandidiert hatte. Zur Enttäuschung der WKStA unterließ er es, eine Nachschau in Arno M.s Handy durchzuführen. Die Soko Tape stellt das anders dar, sie sagt, jeder Schritt sei in Rücksprache mit der zuständigen Staatsanwältin erfolgt.

Unterschriebene Anordnung

Am 22. August wollte die WKStA dann zu drastischeren Mitteln greifen und die Sicherstellung des Handys per Anordnung an die Polizisten durchsetzen. Diese war schon unterschrieben, als zufällig genau an diesem Tag ein Bericht des Bundeskanzleramts einlangte. Darin attestierte das Bundeskanzleramt in Bezug auf den eigenen Mitarbeiter, dass kein Zusammenhang zwischen Schreddern und Ibiza bestand.

Der WKStA waren somit die Hände gebunden, da der Fall zur StA ging – und dort verzichtete man auf eine Sicherstellung des Handys. Im Jänner wurde das Verfahren gegen Arno M. dann endgültig eingestellt, zufällig am Tag des Justizgipfels, den Kanzler Kurz durch seine zuvor in Hintergrundgesprächen geäußerte Kritik an der WKStA ausgelöst hatte.

Rechtlich dürfte die Klärung der Zuständigkeiten per Weisung in Ordnung sein. Auch der Weisungsrat stimmte der Weisung ex post zu. Die Zufälle in der Chronologie des Falls sorgen für Skepsis bei der Opposition. Sie will die Schredderaffäre im U-Ausschuss klären. Dem Vernehmen nach soll im Herbst auch der Kurz-Mitarbeiter Arno M. geladen werden (Renate Graber, Fabian Schmid, 19.6.2020)