Just während des Lockdown fuhren die Bagger im Ötztal auf. Das Projekt gilt als heftig umstritten.

Foto: Pistyll Productions

Innsbruck – Das geplante Wasserkraftwerk Tumpen-Habichen im Tiroler Ötztal ist ein echter Zankapfel. Anwohner kritisieren, das Bauwerk sei eine Gefahr für den Hochwasserschutz, weil das Staubecken im Murengebiet liegt. Umweltschützer protestieren, weil mit der dort noch frei fließenden Ötztaler Ache ein "in Tirol einzigartiger und ökologisch seltener Wasserabschnitt" zerstört werde. Und Wildwassersportler machen gegen das Kraftwerk mobil, weil der nachfolgende Flussabschnitt "Wellerbrücke", wo jahrelang die Weltmeisterschaft im Extrem-Kajak stattfand, für sie verlorenginge.

Zuletzt sorgte der plötzliche Baustart im März 2020, also mitten im Tiroler Corona-Lockdown, für Aufregung. Obwohl noch Beschwerden gegen das Projekt anhängig sind, fuhren die Bagger auf. Man begründete dies damit, dass sonst gültige Baubescheide verfallen wären. Berühmt wurde das Projekt kürzlich, als es bei der Übergabe einer WWF-Petition dagegen seitens ÖVP-Landesvize Josef Geisler der "Luder"-Sager fiel.

Gemeinderat müsste Beteiligung absegnen

Die Pläne für das Kraftwerk gehen auf das Jahr 2008 zurück, 2010 wurde der Gesellschaftervertrag unterzeichnet. Neben der Tiroler Wasserkraft AG und der Auer Beteiligungs GmbH bilden die Gemeinden Umhausen und Oetz die Gesellschafter der Ötztaler Wasserkraft GmbH, die das 47 Millionen Euro-Projekt betreibt.

Um sich als Gemeinde an einem solchen Unternehmen beteiligen zu können, braucht es einen Beschluss des Gemeinderats. Das ist auch am Gesellschaftervertrag vom Oktober 2010 so vermerkt. Sowohl bei den Unterschriften der Vertreter Umhausens als auch jenen der Gemeinde Oetz. Bei Letzterer steht dabei: "aufgrund des Gemeinderatsbeschlusses vom 22. 9. 2010". Doch wie Recherchen des STANDARD zeigen, gab es am besagten Tag zwar eine Gemeinderatssitzung in Oetz, bei der unter Tagesordnungspunkt sechs auch über die Gründung der Ötztaler Wasserkraft GmbH gesprochen wurde – die Gemeinde Oetz solle als 20-Prozent-Partner einsteigen. Aber es kam zu keiner Abstimmung und somit auch zu keinem Beschluss.

Umhausen hat abstimmen lassen, Oetz nicht

Umhausen, das ebenfalls 20-Prozent-Teilhaber ist, vermerkte am Vertrag "aufgrund des Gemeinderatsbeschlusses vom 09. 09. 2010". Die Protokolle zeigen, dass dort tatsächlich abgestimmt wurde. Mit neun Ja- zu sechs Nein-Stimmen entschied man sich für die Projektbeteiligung.

Der Gesellschaftervertrag dürfte zwar dennoch rechtswirksam sein, erklärt dazu der Verwaltungsrechtsexperte Peter Bußjäger von der Universität Innsbruck. Denn er wurde von drei Mitgliedern des Gemeindevorstands von Oetz unterzeichnet. Allerdings könnte die Sache zum Fall für die Gemeindeaufsicht werden. Denn die Tiroler Gemeindeordnung sieht vor, dass der Gemeindevorstand nicht anstelle des Gemeinderats eine solche Entscheidung fällen darf. Die vorliegenden Protokolle legen genau diese Schlussfolgerung nahe. Somit wäre die Entscheidungskette hier verkehrt herum verlaufen.

Bürgermeister will dem nachgehen

Der amtierende Bürgermeister von Oetz, Hansjörg Falkner, war schon damals im Amt und hat den Vertrag 2010 mitunterzeichnet. Auf den fehlenden Gemeinderatsbeschluss angesprochen, erbat er sich Zeit bis kommende Woche, um dem nachzugehen. Einerseits sei die Vertragsunterzeichnung zehn Jahre her, andererseits war er von Donnerstagabend bis Freitagmittag mit Aufräumarbeiten nach einem Murenabgang im Ortsteil Habichen befasst – also genau dort, wo das Kraftwerk entsteht. (Steffen Arora, 19.6.2020)