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"Oft werden Pläne durch Debatten und intensive Verhandlungen besser als in erster Vorlage", sagt Bundeskanzler Kurz.

Foto: REUTERS/Lisi Niesner

Die Gespräche zum Wiederaufbaufonds seien ein erstes Abtasten der Regierungschefs gewesen, sagt Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) nach dem EU-Gipfel. Für einen Kompromiss müsse noch intensiv an vielen Details gearbeitet werden. Er sei zuversichtlich: Ein Programm zur Modernisierung könne gelingen.

STANDARD: Was war los beim Gipfel zum Wiederaufbaufonds?

Kurz: Es war heute die erste Verhandlung der Regierungschefs zum Vorschlag der Europäischen Kommission. Es wurden unterschiedliche Sichtweisen der Staaten dargelegt. Interessant war für mich, dass durchaus mehr Staaten noch erheblichen Diskussionsbedarf in Bezug auf den Kommissionsvorschlag sehen. Dann gibt es verschiedene Staatengruppen mit Partikularinteressen, wie die Südländer, die Visegrád-Staaten, beide vor allem an Umverteilung interessiert, oder andere Staaten, darunter Österreich, denen es vor allem um die Frage geht, wofür genau das Geld verwendet werden soll und ob die Investitionen auch wirklich dorthin fließen, wo es notwendig ist.

STANDARD: Wo ist es notwendig?

Kurz: Bei Digitalisierung, beim Klimaschutz und allen Maßnahmen, die die Wettbewerbsfähigkeit in Europa durch Reformen betreffen.

STANDARD: Zentralbankpräsidentin Christine Lagarde soll gewarnt haben, dass die Zeit drängt, der Abschwung größer wird, Arbeitslosigkeit der Jungen zum Riesenproblem wird. Hat das Eindruck gemacht?

Kurz: Das wäre eine sehr verkürzte Zusammenfassung dessen, was sie sagte. Sie hat vor allem auch davor gewarnt, die Krise zum Anlass zu nehmen, die nötigen Reformen nicht durchzuführen. Ein Weitermachen wie bisher ohne strukturelle Reformen könne nicht die Lösung sein. Lagarde hat auch ausgeführt, dass einige Staaten genau wegen nichtwettbewerbsfähiger Strukturen eine Krise haben. Sie hat in allem recht, bei der Forderung nach schnellem und intensivem Reagieren, aber auch nach richtigem Reagieren.

STANDARD: Die Kommission sagt, dass der Wiederaufbau auf Modernisierung abziele – zu Recht?

Kurz: Es muss am Ende so sein. Alles andere ergibt keinen Sinn. Wenn aber Staaten wie Italien über Urlaubsgutscheine nachdenken oder diskutiert wird, das Geld zur Sicherung eines bedingungslosen Grundeinkommens zu verwenden, führt das nicht zur Stärkung.

STANDARD: Es spießt sich offenbar an vielen Details im Plan: ob 750 Milliarden Euro zu viel sind, Geld als Kredit oder Zuschuss fließt.

Kurz: Ich würde das nicht so negativ sehen. Es ist das Normalste auf der Welt, wenn es beim ersten Austausch unterschiedliche Interessen gibt. Es gibt Diskurs, aber nicht Streit. Es spießt sich nicht, das wäre eine antieuropäische Interpretation. Dass Länder, die Geld empfangen, sagen "Gerne, so schnell wie möglich", das ist klar. Aber es ist ebenso verständlich, wenn die, die zahlen sollen, wollen, dass das das Geld im Kampf gegen Klimawandel, für Digitalisierung, zur Stärkung der Rechtsstaatlichkeit ausgegeben wird.

STANDARD: Ist eine Einigung bis Juli möglich? Frankreichs Präsident Macron hat gesagt, bis September muss es klappen.

Kurz: Ich hoffe, dass es so schnell wie möglich eine Einigung gibt. Aber es stellt sich die Frage: Was beschließen wir? Es war bisher die Rede davon, dass schnell geholfen werden soll. Aber die Vorschläge sehen vor, dass die Gelder aus dem Wiederaufbauplan bis zum Jahr 2027 verteilt werden sollen. Das ist eine Umverteilung, nicht schnelle Hilfe.

STANDARD: Was finden Sie gut am Wiederaufbauplan?

Kurz: Gut finde ich, wenn es in Europa gelingt, auf die Corona-Krise gemeinsam zu reagieren, und sichergestellt wird, dass Staaten die notwendige Liquidität haben bzw. günstig durch die Hilfe anderer Kredite erhalten können. Gut finde ich, wenn nötige Reformen vorangetrieben werden.

STANDARD: Was ist schlecht?

Kurz: Schlecht wäre, wenn Geld versandet oder wenn es unfair verteilt wird, wenn nicht die Länder am meisten bekommen, wo die Not am größten ist, sondern andere Länder besser aussteigen, weil Kriterien angewendet werden, die nicht ganz nachvollziehbar sind. Man wird sich genau die Kriterien anschauen müssen. Im Vorschlag wird auf die Arbeitslosigkeit von 2015 bis 2019 abgestellt. Das hat mit der Corona-Krise absolut nichts zu tun.

STANDARD: Wie sollte es sein?

Kurz: Die Kriterien sollten auf die Corona-Krise zugeschnitten und dynamisch sein. Was geschieht, wenn es eine zweite Welle der Corona-Infektionen gibt? Derzeit wurden Italien, Spanien und Schweden besonders hart getroffen. Was ist, wenn das im Herbst oder 2021 ganz andere Länder trifft?

STANDARD: Wie soll sich eine Einigung bis Anfang Juli ausgehen?

Kurz: Ich bin Proeuropäer. Mein Ziel ist es immer, Lösungen zu finden, und dazu gehört die Bereitschaft, Kompromisse einzugehen. Oft werden Pläne durch Debatten und intensive Verhandlungen ja besser als in der ersten Vorlage.

STANDARD: Wie sieht es beim regulären EU-Budgetrahmen, dem MFF, aus, der 1.100 Milliarden Euro betragen soll? Gibt es da Einigkeit?

Kurz: Es wurde vor allem über den Wiederaufbaufonds geredet. Beim MFF habe ich Bereitschaft wahrgenommen, auf die Rabattforderungen verstärkt einzugehen. In Bezug auf die Höhe haben sich die Positionen seit Februar zwar nicht geändert. Aber bei einem Volumen von mehr als tausend Milliarden müsste es möglich sein, einen Kompromiss zu finden.

STANDARD: Gibt es noch Einwände, dass das über EU-Anleihen finanziert wird, die ab 2028 mit EU-Einnahmen getilgt werden?

Kurz: Ich habe den Eindruck, dass man meilenweit von einer Einigung entfernt ist, was künftige EU-Einnahmen betrifft. Da wäre ich vorsichtig. Generell wäre es für uns akzeptabel, wenn es zeitlich befristet und einmalig ist und somit nicht einen Einstieg in eine Schuldenunion durch die Hintertür darstellt. (Thomas Mayer, 19.6.2020)