Richard Grenell dürfte mit seinem Alleingang in Sachen Dialog zwischen Serbien und Kosovo einigen Akteuren auf die Zehen steigen.

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Der deutsche Bundestagsabgeordnete Peter Beyer, der Transatlantik-Beauftragte der Regierung, war sichtlich aufgebracht: "Nur ein Dialog, der von der EU geführt wird, kann zu einem rechtlich verbindlichen Abkommen führen", sagte er bei einer Rede vergangene Woche im Parlament in Berlin. Er forderte vom Weißen Haus, den EU-Sondergesandten Miroslav Lajčák am 27. Juni einzuladen und lehnte "intransparente Spiele" von US-Seite ab. Die Botschaft des CDU-Politikers war an US-Präsident Donald Trump und seinen Sondergesandten für die Friedensverhandlungen zwischen Serbien und dem Kosovo, Richard Grenell, gerichtet.

Letzterer hat ein Treffen zwischen den Präsidenten von Serbien und Kosovo, Aleksandar Vučić und Hashim Thaçi im Weißen Haus arrangiert, bei dem es irgendein Abkommen geben soll, von dem keiner weiß, was darin stehen wird. Beyers Statement zeigt, wie sauer man in der EU ist, dass die Trump-Administration ohne Rücksprache mit den Europäern Geheimverhandlungen führt und offensichtlich Abkommen ausverhandelt.

Ohne Beteiligung der EU

"Grundsätzlich begrüße ich alle Aktivitäten, die Belgrad und Pristina einander näher bringen. Ein Abkommen muss tragfähig sein und der Region Stabilität bringen", sagt Beyer zum STANDARD. "Trump und Grenell aber drohen mit einem schmutzigen Deal einen Scherbenhaufen anzurichten, den die Europäer anschließend zusammenkehren müssen. Es darf nicht sein, dass ein Abkommen zwischen Serbien und dem Kosovo ohne die Beteiligung der EU unterzeichnet wird", warnt der Politiker, der auch im Auswärtigen Ausschuss sitzt.

Beyer verweist darauf, dass die Europäer und die Amerikaner in der Vergangenheit immer dann Erfolge erzielt hätten, wenn sie gemeinsam auf eine Lösung hingearbeitet haben. "Doch Grenell möchte offensichtlich Karriere machen, der Kosovo und Serbien sind ihm aber unwichtig. Es gibt sogar die These, dass er dafür bereit ist, das Sondergericht für Kriegsverbrechen im Kosovo abzuschaffen. Vertreter des Kosovo und Serbiens werden von Trump und Grenell jedenfalls vorgeladen, und es ist nicht auszuschließen, dass ihnen gedroht wird, dass Wirtschaftsfördergelder gestrichen werden", warnt Beyer vor einer Grenellschen Einschüchterungspolitik.

Thaçi`s Angst vor dem Sondergericht

Tatsächlich dürfte Thaçi Angst haben, vor dem Sondergericht für Kriegsverbrechen wegen seiner Aktivitäten in der Kosovo-Befreiungsarmee UÇK während des Kosovo-Kriegs 1998 und 1999 zu landen. Das Sondergericht wurde bereits vor vier Jahren geschaffen, aber merkwürdigerweise gibt es bis zum heutigen Tage keine Anklagen. Auffällig ist, dass Beyer etwas angesprochen hat, das genau zu jenem Verhalten passt, dass der ehemalige Sicherheitsberater von Donald Trump, John Bolton in seinem neuen Buch beschreibt: Nämlich, dass Trump auf strafrechtliche Ermittlungen verzichten wollte oder strafrechtliche Ermittlungen einleiten wollte, wenn im Gegenzug politische Vorteile geliefert werden.

So soll sich Bolton zufolge der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan bei Trump darüber beschwert haben, dass die US-Justiz gegen ein türkisches Unternehmen wegen des Verstoßes gegen die Iran-Sanktionen ermittle. Trump soll daraufhin versprochen haben, die Sache zu regeln, nachdem die noch von Obama ernannten Staatsanwälte ausgetauscht würden.

Intervention in der Ukraine

In dem bereits bekannten Fall der Intervention in der Ukraine, ging es darum, militärische Hilfe für die Ukraine davon abhängig zu machen, dass die Justiz in der Ukraine gegen den Sohn des demokratischen Präsidentschaftskandidaten, Joe Biden, Hunter Biden zu ermitteln beginnt. In beiden Fällen ging es also um Einmischung in die Justiz für politische Willfährigkeit. Öffentlich bekannt ist bereits, dass ähnlich wie im Fall der Ukraine, die USA im Fall des Kosovo, 50 Millionen Dollar an Wirtschaftshilfe zurückhielten, um die kosovarische Regierung dazu zu bringen, die 100 Prozent-Zölle auf serbische und bosnische Waren aufzuheben. Grenell räumte dies zuletzt auch in einem Interview ein: Die USA hätten die Unterstützung ausgesetzt, weil seiner Meinung nach durch die Zölle die Wirtschaft des Kosovo geschädigt wurde.

Die besagten Zölle waren im Herbst 2018 von der kosovarischen Regierung unter Ramush Haradinaj eingeführt worden, um einen Gebietsaustausch-Deal zu verhindern. Vučić insistiert nämlich, dass der Norden des Kosovo, wo viele Serben leben, künftig zu Serbien gehören solle, ansonsten will er den Nachbarstaat, der sich 2008 für unabhängig erklärt hat, nicht anerkennen. Haradinaj, der wie die meisten Kosovaren gegen einen Gebietsaustausch ist, hat verstanden, dass Serbien sofort den Dialog mit Kosovo wegen der Zölle abbrechen würde und damit kein Gebietstausch möglich sein würde. Sein Kalkül ging auf. Doch nun, als die neue Regierung unter Albin Kurti im Februar im Kosovo an die Macht kam, übte Grenell massiven Druck aus, damit ein Deal zwischen Serbien und Kosovo doch noch zustande kommt.

Hoti knickt vor Grenell ein

Kurti, der unter anderem wegen einer beispiellosen Intervention von Grenell im April gestürzt wurde, erzählt heute, dass er von Tag Eins an im Amt des Premiers von Grenell unter Druck gesetzt worden sei. Kurti ersetzte schließlich die Zölle durch das Prinzip der Gegenseitigkeit – alle Dokumente sollten wechselseitig von Serbien und Kosovo anerkannt werden. Doch Grenell reichte dies nicht und er forderte die Aufhebung dieser Politik, weil er Serbien zurück auf den Verhandlungstisch und unbedingt den Deal in Gang bringen wollte. Grenell setzte schließlich sogar durch, dass der Kosovo künftig nicht mehr versuchen darf, internationalen Organisationen beizutreten, ebenfalls eine Forderung von Belgrad. Die neue Regierung – ohne Kurti – im Kosovo, die vom völlig überforderten Avdullah Hoti angeführt wird, knickte vollends vor Grenell ein.

Die Partei Vetevendosje von Albin Kurti, die die Mehrheit der Bevölkerung hinter sich hat, will nun möglichst bald Neuwahlen abhalten und kritisierte Thaçi und Hoti, gegen die Interessen des Kosovo zu handeln. Aber nicht nur Kurti ist ein Opfer der Grenellschen Interventionen auf dem Balkan, sondern auch die populärste Politikerin der Partei LDK, Vjosa Osmani. Sie wurde von der eigenen Partei rausgeworfen, weil sie sich gegen das Ende der Regierung mit Kurti und damit auch gegen den Willen Grenells stellte.

Unklares Motiv von Grenell

Diplomaten sprechen von einem "Verrat der USA an seinem Alliierten auf dem Balkan, dem Kosovo und den gemeinsamen Werten". Der Schaden ist jedenfalls nicht nur für Südosteuropa, sondern auch für die EU groß. Offensichtlich ist, dass die Trump-Administration nicht mehr mit den Europäern zusammenarbeiten will. Das läutet eigentlich das Ende der gemeinsamen Wiederaufbaupolitik nach dem Zerfall Jugoslawiens ein.

Grenell, der offensichtlich in einer zweiten Amtszeit von Trump, Nationaler Sicherheitsberater oder Außenminister werden will, hat in seiner Vergangenheit vor allem als "Berater" – mitunter für dubiose Figuren gearbeitet. So schrieb er etwa für den moldauischen Oligarchen Vladimir Plahotniuc Artikel, ganz im Sinne des früheren Politikers, der mittlerweile wegen massiver Korruptionsvorwürfe aus Moldau geflüchtet und in den USA untergetaucht ist. Das US-Außenamt hat Plahtoniuc, für den Grenell arbeitete, mittlerweile wegen Korruption und der Gefährdung der demokratischen Institutionen von Moldau, auf eine Schwarze Liste gesetzt.

Ökonomische Fragen

Grenell behauptet mittlerweile, dass es am 27. Juni im Weißen Haus nur um ökonomische Fragen gehen werde, und dass die EU sich um die politischen Fragen, also um ein mögliches Abkommen zwischen Serbien und dem Kosovo kümmern solle. Es gehe im Weißen Haus um die "Normalisierung der Wirtschaftsbeziehungen" heißt es. Das stellt allerdings die Arbeitsteilung der EU und der USA in Südosteuropa auf den Kopf. Denn es war die EU, die in den vergangenen Jahren für regionale Kooperation und wirtschaftliche Zusammenarbeit zuständig war – nicht die USA.

Bereits im Jänner und im Februar hatte Grenell von Serbien und Kosovo, Absichtserklärungen unterschreiben lassen, dass eine Fluglinie zwischen den Hauptstädten Belgrad und Prishtina und eine Zugstrecke geschaffen werden sollte. Doch passiert ist jenseits dieser Absichtserklärungen nichts. Es könnte allerdings sein, dass es im Hintergrund um den See Gazivoda im Nordkosovo, der für die Wasserversorgung wichtig ist und die Mine in Trepca geht, an der auch US-Firmen Interesse haben könnten.

Lajčák im Kosovo und in Serbien

Beobachter im Kosovo sagen, dass Grenell mittlerweile auch wegen des Drucks der Europäer, einen Rückzieher gemacht hat und der "große Deal" auf ein späteres Datum verschoben wurde. Grenell sprach jedenfalls jetzt vom 27. Juni als einer ersten Phase eines Dialogs, weitere Treffen sollen folgen. Der EU-Sondergesandte für diesen Dialog, Miroslav Lajčák, der eigentlich dafür zuständig ist, führte in den vergangenen Tagen Gespräche mit allen relevanten Politikern im Kosovo, am Montag, nach den Wahlen, kommt er nach Belgrad.

Liest man die Kommentare von Vučić zu dem Thema, so hat es den Anschein, dass er überhaupt kein Abkommen will, auf jeden Fall aber nur unter der Bedingung einer Grenzänderung. Am Donnerstag sagte er etwa, er werde eine EU-Mitgliedschaft zurückweisen, wenn er keine Zugeständnisse im Gegenzug dafür bekommen werde, dass Serbien den Kosovo als Staat anerkennt. Eine EU-Mitgliedschaft sei schlichtweg nicht genug, so Vučić. Diese Aussage ist umso erstaunlicher, als Serbien in den vergangenen Jahren keinerlei Fortschritte in der Annäherung an die EU gemacht, weil dazu der politische Wille in Belgrad fehlt. Ein EU-Beitritt steht also gar nicht zur Debatte.

Parade in Moskau dann Weißes Haus

Der serbische Außenminister Ivica Dačić veröffentlichte indes gemeinsam mit dem russischen Außenminister Sergej Lavrov, der vergangene Woche nach Belgrad gekommen war, ein Pamphlet gegen den Kosovo, das an die Propaganda aus den 1990ern unter Slobodan Milošević erinnert. Vučić wird sich übrigens nach den Wahlen, nach Russland zur Parade anlässlich des 75. Jahrestages des sowjetischen Siegs gegen Nazi-Deutschland und danach gleich in die USA begeben. (Adelheid Wölfl, 21.6.2020)