Im Gastkommentar zeigen Alexandra Schrefler-König und David Loretto, Expertin und Experte für die Verfahrensordnung parlamentarischer U-Ausschüsse im Büro der Zweiten Nationalratspräsidentin Doris Bures auf, dass es bei der aktuellen Debatte auch um das Selbstverständnis des Parlaments und die Bedeutung parlamentarischer Aufklärung geht.

Vor mehr als einem Jahr wurde durch die Veröffentlichung des Ibiza-Videos ein innenpolitisches Erdbeben noch nie dagewesener Größenordnung ausgelöst. Das Ende von ÖVP-FPÖ, Neuwahlen und ÖVP-Grüne waren ebenso politische Folgen wie der auf Verlangen einer parlamentarischen Minderheit eingesetzte Untersuchungsausschuss.

Genau in Zusammenhang mit diesem U-Ausschuss steht besagtes Video nun neuerlich im Fokus, nachdem es dem Gremium durch einen deutschen Rechtsanwalt angeboten wurde: zu einem Zeitpunkt, als Innen- und Justizministerium gerade öffentlich ihre Differenzen rund um die vom Bundeskriminalamt sichergestellte Videoversion für beendet erklärt hatten, der Vorwurf einer selektiven und zögerlichen Übermittlung aber bislang nicht ausgeräumt werden konnte. Zu einem Zeitpunkt, als sich die Bedeutung politischer Kontrolle auch in der großen Zahl von Spitzenpolitikern und ihrem unmittelbaren Umfeld als Beschuldigte in Strafverfahren zunehmend manifestiert.

Bild nicht mehr verfügbar.

Das Ibiza-Video sorgt im parlamentarischen Untersuchungsausschuss für heftigen Streit. Momentaner Stand: Es wird offenbar nicht vollständig gezeigt.
Foto: Picturedesk / Georges Schneider

Die staatlichen Organe, auch Justiz- und Innenministerium, sind einem U-Ausschuss gegenüber zur vollständigen Vorlage ihrer Akten und Unterlagen verpflichtet, soweit für den Untersuchungsgegenstand relevant. Zugleich sind die staatlichen Organe aufgrund "amtlicher Verschwiegenheitsverpflichtungen" auch darauf beschränkt, Unterlagen im Umfang des Untersuchungsgegenstandes zu übermitteln. In der Praxis sind jedoch auch rechtswidrige Schwärzungen und andere lückenhafte Informationsflüsse dokumentiert. In welchem Umfang im Einzelnen vorgelegt wird, obliegt zunächst der Beurteilung der Verpflichteten – auch bei der Version des vom Bundeskriminalamt beschlagnahmten Videos.

Auch aus diesem Grund leisten – neben dem jeder Aufklärungsarbeit an sich immanenten Interesse – Informationen aus anderen, nicht vorlageverpflichteten Quellen in der parlamentarischen Kontrolle seit jeher einen wesentlichen Beitrag. Ihr Bezug ist (bisher) unumstritten legitimiert.

Wie sind nun die aktuell erfolgte Ablehnung der – von einem Dritten – angebotenen Version des Ibiza-Videos und die These, schon die Entgegennahme sei in diesem Fall wegen des Beweismittelverbots der Verfahrensordnung für Untersuchungsausschüsse rechtswidrig, einzuordnen? Welches Verständnis von Aufklärung politischer Vorgänge liegt dieser Entscheidung zugrunde?

Anwendung und Auslegung

Man könnte meinen, es handle sich um eine juristische Einzelfrage, die man so oder so beantworten könne, das Video käme ohnehin früher oder später. In Wahrheit geht es um weit mehr. Um das Selbstverständnis des Parlaments, die Bedeutung parlamentarischer Aufklärungsarbeit in unserer Demokratie und die Erfüllung von Aufgaben und Ausschöpfung von Möglichkeiten im Sinne des Verfassungsgesetzgebers.

Mit dem Instrument parlamentarischer Untersuchungsausschüsse enthält die Bundesverfassung das stärkste Kontrollrecht der demokratisch gewählten Volksvertretung gegenüber der Vollziehung des Bundes. Dieses Untersuchungsrecht hat erst 2015 durch seine Einrichtung als Recht der parlamentarischen Minderheit eine wesentliche Stärkung erfahren. Ob ein Untersuchungsausschuss seinen Auftrag umfassender, echter und eigenständiger Aufklärung zu politischen Zwecken erfüllen kann, liegt nicht zuletzt an der Anwendung und Auslegung der gesetzlichen Bestimmungen und Möglichkeiten.

Diesem Auftrag in Zusammenhang mit politischen Missständen folgt auch die Bestimmung in der Verfahrensordnung: Als Beweismittel kann alles verwendet werden, was geeignet ist, der Untersuchung im Rahmen des Untersuchungsgegenstandes zu dienen. Ausgeschlossen sind nur Beweismittel, die durch eine strafbare Handlung erlangt worden sind.

"Freiwillige Dritte"

Unabhängig davon, ob einem Untersuchungsausschuss Informationen von "freiwilligen Dritten" oder verpflichteten staatlichen Organen übermittelt werden, muss er immer zuerst sichten und prüfen, was er von den erhaltenen Informationen in welcher Form als Beweismittel verwenden darf und was nicht. Erst im Rahmen dieser (eigenen) Prüfung ist das Beweismittelverbot anzuwenden.

Was heißt das im konkreten Fall? Folgt man dem Obersten Gerichtshof (OGH), liegt mit dem Ibiza-Video eine im Sinn der Verfahrensordnung rechtswidrig erlangte Aufnahme vor. Allerdings – selbst bei einschränkender Auslegung – ist die Entgegennahme des Videos zur eigenständigen Durchsicht und weiteren Prüfung durch die Ausschussmitglieder nicht rechtswidrig. Im Gegenteil: Will der U-Ausschuss seiner Aufgabe umfassender Selbstinformation und Aufklärung politischer Vorgänge uneingeschränkt gerecht werden, erscheint es geradezu als Pflicht, das Video (auch) von einem nicht vorlageverpflichteten Dritten anzunehmen. Der OGH hat im Jänner 2020 in Zusammenhang mit der medialen Verbreitung festgehalten, dass zwar die Herstellung, aber die Weitergabe und im erfolgten Umfang die Veröffentlichung des Ibiza-Videos nicht rechtswidrig waren – aufgrund des bestehenden öffentlichen Interesses.

Selbst die unmittelbare Verwendbarkeit des Ibiza-Videos als Beweismittel ist im Ausschuss wegen des zweifelsfrei bestehenden öffentlichen Interesses nicht ausgeschlossen. Auch nach der Verfahrensordnung hat eine Güterabwägung im Lichte der Meinungsäußerungsfreiheit nach der Menschenrechtskonvention zu erfolgen.

Selbst wenn der Untersuchungsausschuss zur Auffassung gelangt, dass die Verwendung der Ton- und Bildaufnahme als Beweismittel rechtswidrig wäre, gilt dies keinesfalls für eine Abschrift.

Offene Frage

Die Annahme des Videos aus einer anderen Quelle zu dessen eigenständiger Prüfung, Sichtung und zumindest die Verwendung eines Transkripts als Beweismittel durch den Ibiza-Untersuchungsausschuss stehen somit im Einklang mit Gesetz, Rechtsprechung und übrigens auch bisheriger Praxis von Untersuchungsausschüssen. Sie wird gleichzeitig dem umfassenden verfassungsmäßigen Untersuchungsauftrag gerecht.

Die Frage, warum gerade bei der Kontrolle politischer Vorgänge durch den Ibiza-U-Ausschuss das eigene und das öffentliche Informationsinteresse tiefer angesetzt werden, als es regelmäßig der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, der OGH und der Verfassungsgerichtshof tun, bleibt offen. (Alexandra Schrefler-König, David Loretto, 20.6.2020)