Bei regierungskritischen Demonstrationen nehmen Beamte der Sicherheitspolizei immer wieder Protestierende fest.

Foto: Sergei GAPON / AFP

Zehn Jahre ist es mittlerweile her, dass Anna Chwiedaruk demonstriert hat, "aber ich habe es satt, Angst zu haben", sagt sie nun. Am Freitag hat sie sich mit Freunden im Minsker Stadtzentrum zu einem Protest versammelt. Die 29-jährige Angestellte wurde zwar nicht verhaftet, wie mehr als hundert andere Demonstranten, oder geschlagen, wie Videos aus anderen Städten zeigen. Aber eine Einschränkung konnte sie an diesem Abend dennoch beobachten: Stundenlang kam sie mit ihrem Handy nicht mehr ins Internet. Ihr Anbieter: A1 Belarus.

Chwiedaruk ist eine von hunderten Weißrussinnen und Weißrussen, die zuletzt gegen die Repressionen vor den Präsidentschaftswahlen am 9. August protestiert haben. Vor allem die Festnahme des populären Oppositionskandidaten, des Ex-Bankers Wiktor Babariko, der mit mehr als 400.000 Unterstützungserklärungen viermal so viele Unterschriften gesammelt haben soll wie nötig, erregte die Gemüter. Tags darauf waren es vor allem junge Weißrussen wie Chwiedaruk, die sich zu Menschenschlangen, einer "Kette der Solidarität", zusammenschlossen. Die Autos hupten, die Menschen riefen: "Otpuskaj", "Freilassung!"

Der "Internet-Shutdown" ist ein beliebtes Mittel von Autokraten, um Proteste zu unterbinden, die sich über das Netz organisieren. In Belarus hatten die Livestreams von den Protesten zuletzt ein Millionenpublikum erreicht, bei 9,4 Millionen Einwohnern im Land, am Freitagabend war das mobile Netz im Stadtzentrum stundenlang blockiert. Mittendrin A1 Belarus, eine Tochter der österreichischen teilstaatlichen A1 Telekom Austria Group und mit 4,9 Millionen Abonnenten einer der größten Mobilfunkbetreiber des Landes. "Ein Shutdown ist eine Menschenrechtsverletzung wie die Niederschlagung einer friedlichen Demonstration, nur eben online", schreibt die Menschenrechtsorganisation Human Constanta in einem Bericht.

Zweifel am Hardwarefehler

Ein "Hardwareausfall in einer kritischen Komponente in einem der beiden Rechenzentren" habe zu den Netzausfällen geführt, sagt Konzernsprecher Michael Höfler auf Anfrage. Warum es ausgerechnet zur Zeit der Proteste nicht nur bei A1, sondern auch bei anderen Betreibern zu Ausfällen kam, werde noch analysiert. Aliaxej Kazliuk, Jurist bei Human Constanta, nimmt aber auch A1 in die Pflicht. Man könne nicht genau sagen, wer die Ausfälle am Abend des 19. Juni zu verantworten habe – "die Netzbetreiber oder die Geheimdienste", so Kazliuk. "Doch in so einer Situation müssen die Betreiber für maximale Transparenz sorgen." Gerade das habe A1 aber vermissen lassen: "Die Störung wurde durch eine vorübergehende Fehlfunktion einiger Netzwerkwartungsdienste verursacht", hieß es am Samstag auf der Facebook-Seite von A1 Belarus. Dass die Nachricht kurz darauf wieder gelöscht wurde, "macht uns misstrauisch", so Kazliuk.

A1 musste sich schon in der Vergangenheit immer wieder die Frage gefallen lassen, ob es sich zum Handlanger des Autokraten Alexander Lukaschenko macht. Als Proteste in Minsk im Winter 2010 brutal niedergeschlagen wurden, wurden die Demonstranten über ihre Handydaten ausspioniert. Wie alle Netzbetreiber sei A1 Belarus (damals Velcom) gesetzlich verpflichtet gewesen, technische Schnittstellen zur Verfügung zu stellen, damit Behörden Daten abrufen können, so eine A1-Sprecherin damals. "Ein allfälliger Zugriff auf Personen- und Rufdaten erfolgt – im Gegensatz zu den meisten anderen Ländern – ohne richterlichen Beschluss und ohne Involvierung der Mobilfunkbetreiber." Ein Umstand, der noch heute gilt? Ja, heißt es dazu von A1. Gut möglich also, dass Kunden auch diesmal wieder ausspioniert wurden.

Überhaupt zeigt Österreich, der zweitgrößte Investor im Land, wenig Berührungsängste mit dem Mann, der als "letzter Diktator Europas" galt. Im November empfing es als erstes EU-Land Lukaschenko, nachdem die Sanktionen aufgehoben worden waren. Punkto Menschenrechte in Weißrussland gehört Österreich zu den Ländern, die "eher pragmatisch" sind, so Analyst Artjom Schraibman. (Simone Brunner, 21.6.2020)