Der Theaterdirektor und seine Wutreden: Herbert Föttinger.

Foto: Jan Frankl

Sein Haus ist wie wenige sonst von den Einnahmen an der Theaterkasse abhängig. Als Privattheater bekommt das Theater in der Josefstadt zwar neuerdings 1,7 Millionen mehr von der Stadt Wien, die Subventionen reichen angesichts der Corona-Unwägbarkeiten aber bei weitem nicht. Was also tun? Der Josefstadt-Direktor hätte da ein paar Antworten.

STANDARD: Sie waren einer der lautesten Regierungskritiker. Während andere Theatermacher nach der Bekanntgabe der neuen Regelungen versuchten, etwas auf die Beine zu stellen, bleibt bei Ihnen das Haus bis Mitte September zu. Warum spielen Sie nicht?

Föttinger: Es gab ursprünglich ein Aufführungsverbot bis Ende Juni, erst Ende Mai wurde dieses aufgehoben.

STANDARD: Jetzt sind wir schon Ende Juni, und die Josefstadt ist noch immer zu.

Föttinger: Es ist nicht mein Ansatz zu improvisieren. Ich freue mich, wenn wir am 17. September eröffnen. Sie sagen, ich war besonders laut. Ich habe aber nie eingefordert, dass morgen gespielt werden muss. Ich wollte eine Perspektive.

STANDARD: Sie haben vehement die Freiheit der Kunst eingefordert. Das klang so, als ob sich Theater nicht an die behördlichen Bestimmungen halten sollten.

Föttinger: Blödsinn. Die Politik sollte uns Theatermachern zugestehen, dass das, was auf der Bühne passiert, keinen gesundheitlichen Regeln unterliegt. Es ging nie um den Zuschauerraum, immer um die Bühne. Dort darf es keine Einschränkungen geben. Das Entscheidende ist doch: Wenn es zu Einschränkungen kommt, dann hat der Staat die Verpflichtung, den Entfall der Einnahmen zu ersetzen. Bedingungslos.

STANDARD:Sie haben einen Entfall von vier Millionen. Welche Signale bekommen Sie von der Politik?

Föttinger: Ich hatte ein sehr gutes Gespräch mit der neuen Staatssekretärin. Sie ist eine tolle Kämpferin für die Kultur, hat aber kein Pouvoir. Sie ist abhängig vom Vizekanzler, der endlich entschlossen für die Kultur kämpfen müsste, und sie ist abhängig vom Finanzminister. Die Regierung könnte sich an der Stadt Wien ein Beispiel nehmen. Diese hat beschlossen, unsere Sockelförderung um 1,7 Millionen anzuheben. Kulturstadträtin, Finanzstadtrat und Bürgermeister haben an einem Strang gezogen.

STANDARD: Die neue Staatssekretärin Andrea Mayer ist seit vier Wochen im Amt und hat bereits einiges auf den Weg gebracht. Warum sind Sie so pessimistisch?

Föttinger: Ich bin nicht pessimistisch, ich sage nur, dass Frau Mayer vom Willen anderer abhängig ist. Es wäre schön, wenn auch über der Kultur der Herr Sebastian Kurz schweben würde, aber der schwebt lieber mit seiner Klientel, den Bauern und der AUA zum Beispiel. Das ist ja auch in Ordnung, aber er redet immer wieder von der Kulturnation, kaum wird es jedoch konkret, ist er auf Schwebeflug. Wann werden die Ausgaben für die Kultur auf mindestens ein Prozent des BIPs angehoben? Wann kommt endlich ein großer Schutzschirm für die Kultur?

STANDARD: Auch wenn die jetzigen Einnahmenausfälle kompensiert werden, wird es im Herbst mit den Abstandsregeln finanziell wieder knapp werden.

Föttinger: Die Spatzen pfeifen von den Dächern, dass es die Ein-Meter-Abstand-Regelung im Herbst nicht mehr geben soll, aber auf Spatzen kann ich als Direktor nicht bauen. Falls die Abstandsregelung doch bleibt, werden wir circa 30 Prozent weniger einnehmen. Bei Einnahmen von zehn Millionen Euro in normalen Zeiten kann man sich ausrechnen, was das bedeutet. Auch diese Summe muss die Bundesregierung abdecken.

STANDARD: Sie verändern die Bestuhlung sowohl des Theaters in der Josefstadt als auch der Kammerspiele. Damit verlieren Sie nochmals Geld.

Föttinger: Wir nehmen zwei Reihen raus und werden den Abstand zwischen den Reihen auf einen Meter erweitern. Wir bekommen damit ein bequemeres, sichereres Theater. Jetzt haben wir knapp 600 Plätze, wenn wir einberechnen, dass wir Plätze frei lassen müssen, kommen wir im Herbst auf 400 Plätze. Ein Drittel bleibt also leer. Aber ich gehe davon aus, dass die Ein-Meter-Regel fällt.

STANDARD: Ihr Publikum ist nicht das jüngste. Woher nehmen Sie die Zuversicht, dass Ihre Besucher überhaupt nebeneinandersitzen wollen?

Föttinger: Unser Publikum wird immer viel älter gemacht, als es ist. Es hat ein Durchschnittsalter von 48 Jahren. Im Burgtheater ist es älter. Ich habe so viele Zuschriften bekommen: Unser Publikum freut sich ungemein, wenn wieder gespielt wird. Jene, die Angst haben, werden nicht kommen. Ich habe nie gesagt, dass es im Herbst einfach werden wird.

STANDARD: Sie eröffnen die Saison mit einer Inszenierung von Claus Peymann: "Der deutsche Mittagstisch" von Thomas Bernhard. Man hört, dass es hinter den Kulissen knirscht.

Föttinger: Wir haben ein fantastisches Verhältnis. Man muss ihm mit einer gewissen Geradlinigkeit entgegenkommen, dann funktioniert es. Ich habe ihm 16 Wohnungen für seine Zeit hier in Wien gezeigt. Am 1. August beginnen die Proben.

STANDARD: Manche bezeichnen Sie bereits als neuen Peymann.

Föttinger: Das bin ich nicht, aber das Kompliment höre ich gern. Claus Peymann versteht wirklich etwas vom Theater.

STANDARD: Die Zuschreibung ist das Ergebnis Ihres öffentlichen Aufschreis.

Föttinger: Soll ich ruhig bleiben, wenn das Theater in Gefahr ist? Ich bin kein Trappist, und zur Gattung der Hosenscheißer zähle ich auch nicht. Manche deutsche Theaterdirektoren haben überlegt, ob sie auf der Bühne Corona-taugliche Maßnahmen einführen sollen. Die Schauspieler tragen Reifröcke, damit sie sich nicht zu nahe kommen. Das ist für mich nicht Kreativität in schwierigen Zeiten, sondern schlicht und einfach Blödsinn. (Stephan Hilpold, 22.6.2020)