Die Anzahl der Firmenpleiten ist in Österreich seit der Corona-Krise um etwa die Hälfte gesunken.

Foto: imago images/Michael Weber

Die Wirtschaft legte in der Corona-Krise beinahe eine Vollbremsung hin. Arbeitnehmer bangen um ihre Jobs, Unternehmer um ihre Existenzen. Allein – seither ist die Anzahl der Firmenpleiten in Österreich um etwa die Hälfte gesunken. Das weckt Sorgen bei Gerhard Weinhofer. Der Geschäftsführer des Gläubigerschutzverbands Creditreform warnt daher eindringlich vor dem massiven Entstehen sogenannter Zombie-Unternehmen. Also Firmen, bei denen es zum Leben zu wenig ist, aber zum Sterben zu viel – und das auf Dauer.

"Zombie-Unternehmen gibt es mehr als genug", sagt Weinhofer dem STANDARD. Wegen der extremen Tiefzinspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) könnten etliche Unternehmen dank billiger Kredite überleben. "Das Problem war schon da und ist durch Covid-19 aktueller und brisanter geworden." Denn die Finanz und die Gesundheitskassen beantragen seit Krisenbeginn keine Insolvenzen mehr, zudem müssen überschuldete Betriebe derzeit keine Anträge stellen, bei Zahlungsunfähigkeit erst nach 120 statt bisher 60 Tagen – was Weinhofer zufolge zu dem Rückgang der Firmenpleiten führte.

Liquidität bereitzustellen und Abgaben zu stunden sei "gut und richtig", betont Weinhofer. Der Experte stellt allerdings auch die Frage in den Raum: "Wie lange möchte man das durchtragen?" Und er warnt: Man dürfe nicht Insolvenzrecht in Insolvenzvermeidungsrecht umdeuten.

Insolvenzverschleppung

Ist die Lage in Österreich aber wirklich schon so dramatisch? Wifo-Ökonom Thomas Url stuft sie wie folgt ein: "Ja, sie begünstigt die Entwicklung von Zombiefirmen. Aber nein, wir erleben sie noch nicht."

Soll heißen, die derzeitigen Maßnahmen und Lockerungen führen seiner Ansicht nach zur Verschleppung von Insolvenzen – aber das allein macht Firmen nicht zu Zombie-Unternehmen.

Dazu müsste dieser Zustand dauerhaft verlängert werden, indem der Betrieb mit neuen Krediten immer gerade mal so über Wasser gehalten wird.

Dazu könnte es Url zufolge jedoch kommen, sollten die Lockerungen des Insolvenzrechts zu lange aufrechterhalten werden – oder gar zum Dauerzustand werden. Er spricht sich dafür aus, das Insolvenzrecht gleichzeitig mit den liquiditätsstützenden Maßnahmen des zweiten Konjunkturpakets, das auf etwa sechs Monate ausgelegt sei, wieder "in Normalzustand zu bringen". Dann müsse der Markt aussieben, welche Unternehmen nicht überlebensfähig seien.

Mittelweg gesucht

Stefan Bruckbauer, Chefökonom der Unicredit Bank Austria, erwartet, dass ab Herbst die Diskussion um die Rückführung des Insolvenzrechts aufflammen wird. Also zwischen jenen wie Weinhofer, die den Vor-Corona-Zustand möglichst bald wiederherstellen wollen, und anderen, die dies vermeiden oder hinausschieben wollen. "Dabei einen guten Mittelweg zu finden wird wichtig sein."

Ohne Leben, aber nicht tot: Dieses Schicksal könnte vielen Betrieben drohen.
Foto: EPA/Friedemann Vogel

Bruckbauer sieht eher die Gefahr, dass es zu schnell gehen könnte, denn: "Derzeit ist das Risiko größer, dass ein gesundes Unternehmen stirbt, als Zombiefirmen zu schaffen." Zumal auch die strengen Auflagen in der Kreditwirtschaft dagegen sprechen würden, schwer angeschlagene Firmen mit immer neuen Krediten zu füttern – und so tatsächlich Zombies zu schaffen.

Verlorenes Jahrzehnt

Welchen Schaden deren massives Auftreten anrichten kann, zeigt sich Url zufolge am "verlorenen Jahrzehnt Japans". Nach dem gleichzeitigen Platzen einer Aktien- und Immobilienblase wurden in den 1990er-Jahren viele Unternehmen künstlich am Leben erhalten. Url fasst das Problem so zusammen: Die sich dahinschleppenden Zombiefirmen binden Kapital und Arbeitskräfte, die in gesunden Unternehmen besser aufgehoben wären.

Zudem konkurrieren sie noch immer auf den Absatzmärkten und um Finanzierungen. Kurz gesagt: Mit jedem Zombie kommt etwas mehr Sand ins volkswirtschaftliche Getriebe. In Japan war wirtschaftlicher Stillstand die Folge – wobei Url gewisse Ähnlichkeiten zur derzeitigen Lage in Italien sieht.

Wettbewerb als Schutz

In Europa betrachtet Bruckbauer auch den starken Fokus auf Wettbewerb am Binnenmarkt als Schutz vor Unternehmen, bei denen nicht klar sei, ob sie vom Umsatz oder von Finanzierungen leben. Das könnte sich ändern, sollte ein grundlegender Sinneswandel dahin einsetzen, alles lokal erzeugen zu wollen – also Standort und Arbeitsplätze mehr Bedeutung gewinnen als Produktivität und Gewinne.

"Wenn wir diese Mentalität in größerem Ausmaß erleben", sagt Bruckbauer, "dann haben wir in fünf oder zehn Jahren in Europa Zombiefirmen." (Alexander Hahn, 22.6.2020)