Präsident Aleksandar Vucic freut sich noch in der Nacht auf Montag über seinen Wahlsieg.

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Belgrad – Die von der Opposition weitgehend boykottierte Parlamentswahl in Serbien hat die Macht von Präsident Aleksandar Vučić massiv gestärkt. Die von Vučić geführte rechtsnationale Serbische Fortschrittspartei (SNS) kam am Sonntag auf 63 Prozent der Stimmen und erlangt damit eine Dreiviertelmehrheit im Parlament.

Das teilte die Wahlforschungsgruppe CESID nach beinahe vollständiger Auszählung der Stimmen in der Nacht auf Montag mit. Die SNS wird in der neuen Volksvertretung 189 von 250 Mandaten haben statt wie bisher 105 und erhöht damit ihren Anteil an den Parlamentssitzen von 42 auf 76 Prozent.

Nur zwei weitere Parteien schafften aus eigener Kraft den Einzug ins Parlament: die mit Vučić verbündete Sozialistische Partei Serbiens (SPS) kam auf elf Prozent der Stimmen und 32 Mandate (bisher 22) und die rechtspopulistische neue Partei SPAS (Rettung) des ehemaligen Wasserballers Aleksandar Sapic auf vier Prozent der Stimmen und zwölf Mandate. Die SPS stellt mit Ivica Dacic seit 2014 den Außenminister. Darüber hinaus sind einigen ethnischen Minderheiten – den Ungarn, den Bosniaken und den Albanern – Parlamentssitze zugesichert.

Boykott des Urnengangs

Die wichtigsten Oppositionsparteien boykottierten die Wahl. Sie hatten schon vor der Coronakrise die Voraussetzungen für freie und faire Wahlen aufgrund der Mediensituation im Land nicht für erfüllt gesehen.

Vučić regiert seit 2014 als Ministerpräsident und seit 2017 als Präsident zunehmend autoritär über das Balkanland. Die meisten Medien werden von ihm und seinen Geschäftsfreunden kontrolliert. Mit dem Zugriff auf die staatlichen Ressourcen sichern sich Vučić und die seit 2012 regierende SNS eine übermächtige Präsenz in der Öffentlichkeit.

Die Wahlnacht dominierten nicht die Erklärungen der Wahlsieger und Wahlverlierer, sondern die des Super-Siegers und der boykottierenden Opposition. Vučić, dessen Partei nicht mit ihrem Namen, sondern mit der Listenbezeichnung "Aleksandar Vučić – Für unsere Kinder" auf den Stimmzetteln stand, sprach am späten Sonntagabend von einem "historischen Triumph" seiner SNS. "Von 3,3 Millionen Stimmen haben wir mehr als zwei Millionen gewonnen", gab er sich euphorisch. Wahlberechtigt waren rund 6,6 Millionen Bürger.

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"Serbien hat heute unzweideutig Nein gesagt zum Regime von Aleksandar Vučić", sagte hingegen der Oppositionsführer Dragan Djilas, früher Bürgermeister von Belgrad, mit Verweis auf die Beteiligung von nur rund der Hälfte der Wahlberechtigten. In Großstädten wie Belgrad oder Nis war die Beteiligung noch geringer. "Der Boykott hat sein Ziel erreicht, er hat das Regime bloßgestellt, den Irrsinn, dem wir seit Jahren ausgesetzt sind."

Zugleich war die serbische Wahl am Sonntag der erste solche Urnengang in einem europäischen Land, seit sich die Corona-Pandemie über den Kontinent ausgebreitet hat. In den fast 8.400 Wahllokalen herrschte für das Wahlpersonal Maskenpflicht, den Wählern war das Tragen einer Maske empfohlen worden. Gewählt wurden am Sonntag auch die Abgeordnetenkammer der halbautonomen Nordprovinz Vojvodina, wo eine bedeutende ungarische Minderheit lebt, sowie Gemeindevertretungen im ganzen Land.

Beobachter gehen von einer zügigen Regierungsbildung aus. Die Entscheidungen trifft – obwohl so nicht von der Verfassung vorgesehen – Vučić nahezu ausschließlich selbst. Er ist auch weiterhin Vorsitzender der SNS. Die seit 2017 amtierende Ministerpräsidentin Ana Brnabic galt mehr oder weniger als Erfüllungsgehilfin seiner Vorstellungen und Pläne. Zuletzt hatte Vučić angedeutet, dass er nach der Wahl jemanden anderen mit der Regierungsführung betrauen könnte. (APA, 22.6.2020)