Überdenkt Anzeige gegen "Taz"-Kolumnistin: Deutschlands Innenminister Horst Seehofer.

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Berlin – Der deutsche Innenminister Horst Seehofer (CSU) erhält Unterstützung aus der Unionsfraktion für seinen Plan, eine Autorin der "taz" wegen einer polizeikritischen Zeitungskolumne anzuzeigen. "Eine Anzeige des Bundesinnenministers wäre aus meiner Sicht ein starkes Signal", sagte Unionsfraktionsvize Thorsten Frei (CDU) der "Welt" vom Dienstag. "Jeder muss sich an rechtsstaatliche Regeln halten, auch die Presse."

Ob Seehofer die Strafanzeige aber tatsächlich stellt, war zunächst offen. Entgegen seiner Ankündigung vom Sonntag verzichtete der Minister am Montag vorerst auf einen solchen Schritt. "Die Entscheidung ist noch nicht gefallen", sagte ein Ministeriumssprecher am Montagabend der Deutschen Presse-Agentur.

Kanzlerin Merkel und der Innenminister stünden dazu in "vertraulichen Gesprächen", sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Montag. Ob Merkel Seehofer von einer Anzeige abgeraten habe, wollte er nicht sagen. Die Journalistengewerkschaft dju bezeichnete eine Anzeige als einen "völlig falschen Weg".

Polizei und Müll

Auslöser des Konflikts ist eine Kolumne in der Tageszeitung "taz". Darin hatte die Autorin vor einer Woche ein Gedankenspiel angestellt, wo Polizisten arbeiten könnten, wenn die Polizei abgeschafft würde, der Kapitalismus aber nicht. Am Ende hieß es: "Spontan fällt mir nur eine geeignete Option ein: die Mülldeponie. Nicht als Müllmenschen mit Schlüsseln zu Häusern, sondern auf der Halde, wo sie wirklich nur von Abfall umgeben sind. Unter ihresgleichen fühlen sie sich bestimmt auch selber am wohlsten."

Der Text löste Empörung aus, die Chefredaktion der Zeitung äußerte später ihr Bedauern. Am Sonntag kündigte Seehofer dann in der "Bild" an, am Montag Strafanzeige gegen die Autorin zu stellen – als Straftatbestände kämen aus seiner Sicht Volksverhetzung oder Beleidigung in Frage. Dieses Vorhaben stieß wiederum auf scharfe Kritik in der Medienbranche. Auch Kanzlerin Angela Merkel (CDU) war dazu im Gespräch mit Seehofer, wie Regierungssprecher Steffen Seibert am Montag sagte.

Kritik an Seehofers Vorgehen

Ob Seehofer trotzdem an seinem Vorhaben festhält, war zunächst unklar. Die Vorstellung des Verfassungsschutzberichts 2019 sagte das Innenministerium am Montagabend kurzfristig ab. Seehofer wollte den Bericht eigentlich an diesem Dienstag zusammen mit Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang in Berlin präsentieren. Gründe für die Absage nannte das Ministerium nicht.

Der innenpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Konstantin Kuhle, kritisierte das Vorgehen Seehofers. "Der Bundesinnenminister kippt mit der Ankündigung einer Strafanzeige gegen die 'taz' weiter Öl ins Feuer einer völlig verkorksten Debatte", sagte er den Medien des Redaktionsnetzwerks Deutschland vom Dienstag.

Aus der Unionsfraktion erhielt Seehofer dagegen Rückendeckung. Es sei legitim, prüfen zu lassen, ob Grenzen überschritten worden seien, sagte Fraktionsvize Frei der "Welt". Und es sei richtig, dass sich Seehofer als oberster Dienstherr schützend vor die Polizei stelle.

Die CDU-Medienpolitikerin Elisabeth Motschmann meinte: "Selbst wenn der Artikel unter die Pressefreiheit, die ich immer verteidigen werde, fallen sollte, ist es wichtig, dass der Bundesinnenminister versucht, uns für die fortschreitende Verrohung in unserer Gesellschaft zu sensibilisieren." Beim Lesen der "Taz"-Kolumne sei ihr übel geworden. (APA, dpa, 23.6.2020)