Die Pharmazeutin Evelyn Jantscher-Krenn forscht an der Med-Uni Graz zu Humanen Milch-Oligosacchariden und perinataler Mikrobentransfer.

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HMOs finden sich nicht nur in der Muttermilch, sondern auch schon im Blutkreislauf Schwangerer.

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Zuckermoleküle in der Muttermilch werden Humane Milch-Oligosaccharide (HMOs) genannt. Sie stärken das Immunsystem Neugeborener. Interessanterweise sind sie auch schon im Blutkreislauf von Schwangeren nachweisbar. Evelyn Jantscher-Krenn forscht, wie sich mit HMOs Schwangerschaftskomplikationen verhindern lassen könnten.

STANDARD: Was wissen wir über die Wirkung von HMOs?

Jantscher-Krenn: Die Wirkung bei Kindern ist weitaus besser untersucht als bei Müttern. HMOs sind bioaktive Stoffe, die präbiotisch wirken. Sie tragen zum Aufbau eines gesunden Mikrobioms beim Kind bei und blockieren außerdem direkt Andockstellen von Krankheitserregern. Sie verhindern also, dass Bakterien und Viren beispielsweise an die Darmschleimhaut andocken können. Und sie wirken immunmodulierend, was sich im späteren Leben beispielsweise auf die Entwicklung von Allergien auswirken kann.

STANDARD: Und was weiß man darüber, wie sie sich bei werdenden Müttern verhalten?

Jantscher-Krenn: Es gab schon in den 1970er-Jahren Hinweise darauf, dass HMOs bereits in der Schwangerschaft produziert werden, weil sie im Harn schwangerer Frauen nachgewiesen wurden. Es ist total verwunderlich, dass das seither nie wirklich aufgegriffen wurde. Mittlerweile weiß man, dass es über 150 verschiedene HMOs gibt, von denen wir manche schon ab der zehnten Schwangerschaftswoche im Blut von Schwangeren nachweisen konnten. Während der Schwangerschaft sieht man dann einen Anstieg – allerdings in ganz unterschiedlicher Konzentration. Dadurch setzt sich bei jeder Frau ein ganz eigenes Profil an HMOs zusammen. Die noch offene Frage ist: Welche Rolle spielen diese HMOs eigentlich?

STANDARD: Was denken Sie?

Jantscher-Krenn: Wir untersuchen, ob es Zusammenhänge mit bestimmten Schwangerschaftskomplikationen gibt – Schwangerschaftsdiabetes zum Beispiel oder Frühgeburten. Ob also ein bestimmtes Profil der HMO im Blut der Mutter damit in Zusammenhang stehen könnte. Und wir haben auch die Hypothese, dass sich die HMOs auf das mütterliche Mikrobiom im Darm auswirken. Dass die HMOs also auch dazu dienen, das Mikrobiom der Mutter umzubauen, damit sie zum Beispiel in der Schwangerschaft bestimmte Nährstoffe besser aufnehmen kann oder – eine andere These – die Mutter auf diese Weise ein bestimmtes Mikrobiom auf das Kind überträgt.

STANDARD: Kann man die HMO-Zusammensetzung als Schwangere auch selbst beeinflussen?

Jantscher-Krenn: Dazu weiß man noch sehr wenig. Grundsätzlich sind gesunde Ernährung und Bewegung sicher gut. Wie sich das auf das HMO-Set auswirkt und was ein gutes HMO-Set überhaupt ist, wissen wir aber noch nicht. Wir haben aber beispielsweise nachgewiesen, dass ein hoher Körperfettanteil negativ mit bestimmten HMOs korreliert. Eine dickere Fettschicht bedeutet also weniger von einem bestimmten HMO. Ob das aber ein Nachteil ist, wissen wir noch nicht. Und noch eine Erkenntnis: Es gibt Hinweise darauf, dass höhere Konzentrationen eines bestimmten HMO früh in der Schwangerschaft bei übergewichtigen Frauen ein Indikator für einen späteren Schwangerschaftsdiabetes sein können.

STANDARD: In die Zukunft gedacht könnte dieses Wissen also bedeuten, dass man ein bestimmtes HMO substituieren könnte, um beispielsweise eine Fehlgeburt zu verhindern?

Jantscher-Krenn: Das ist das Ziel. Aber zuerst müssen wir herausfinden, welche Zusammensetzungen und Konzentrationen bei HMOs überhaupt "normal" sind – und welche pathologisch. HMOs einfach nur zu substituieren, ohne zu wissen, warum, ist zum derzeitigen Zeitpunkt nicht sinnvoll.

STANDARD: Bestimmte HMOs werden Säuglingsnahrung mittlerweile beigemischt.

Jantscher-Krenn: Dazu muss man wissen: 75 Prozent der Frauen in Europa haben bestimmte genetische Voraussetzungen und können bestimmte HMOs bilden, darunter die 2’Fucosyllactose, die die restlichen 25 Prozent nicht bilden können. Aber was das für Mutter und Kind genau bedeutet, müssen wir erst herausfinden. Die Frage ist dann immer, ob man diese HMOs substituieren soll – oder ob Muttermilch, die bestimmte HMOs nicht enthält, dafür andere mit entsprechend anderen Vorteilen mit sich bringt. 2‘-Fucosyllactose kann mittlerweile biotechnologisch hergestellt werden und wird Säuglingsnahrung beigemengt. Die derzeitige Zugabe eines einzelnen HMO, das ein gewisser Prozentsatz der Kinder über die Muttermilch gar nicht bekommen würde, kann aber sicher noch nicht die vielfältigen Wirkungen der in Muttermilch vorhandenen HMOs nachahmen.

STANDARD: Aber wenn HMOs auch im Blutkreislauf Schwangerer nachweisbar sind, bedeutet das auch, dass auch Kinder von Frauen, die später nicht stillen können, davon schon im Mutterleib profitieren?

Jantscher-Krenn: Ja, das ist auf jeden Fall ein sehr positiver Aspekt. Die HMOs gelangen sehr wahrscheinlich während der Schwangerschaft auch zum Kind. HMOs sind auch im Blutkreislauf des Kindes und im Fruchtwasser. Das Ungeborene ist also umgeben und durchdrungen von HMOs. Natürlich ist Muttermilch die beste Option für Neugeborene, aber es ist zumindest beruhigend, zu wissen, dass das Kind schon vor der Geburt mit diesen sehr wichtigen Bestandteilen der Muttermilch in Berührung gekommen ist. (Franziska Zoidl, 28.6.2020)