Schule in den Ferien, das ist neu in Österreich.

Foto: Regine Hendrich

Mehr als acht Wochen waren Österreichs Schulen für die meisten Kinder und Jugendlichen geschlossen. Manche konnten zu Hause gut lernen, andere weniger. Um Benachteiligungen entgegenzuwirken, hat das Bildungsministerium Sommerschulen im Fach Deutsch für die letzten zwei Ferienwochen eingerichtet. Doch was lässt sich in dieser Zeit überhaupt aufholen? Man könne vor allem dabei helfen, das Selbstbewusstsein zu stärken, meint Julia Schreiner, die schon im vergangenen Sommer in den Camps der Stadt Wien unterrichtet hat. Kritik am Konzept des Bundes gibt es dennoch.

Studierende unterrichten

Geplant waren die Sommerschulen schon im Regierungsprogramm, durch die Corona-Krise sind sie nun schneller gekommen als gedacht, allerdings nur im Fach Deutsch. Die Kinder und Jugendlichen im Alter zwischen zehn und fünfzehn Jahren lernen vormittags von 8 bis 12 Uhr. Über die Standorte entscheidet das Bildungsministerium. Unterrichten sollen Lehramtsstudierende, die sich die Tätigkeit an der Universität anrechnen lassen können. Verpflichtend ist die Teilnahme an der Sommerschule nicht, das Ministerium bittet die Schulen aber, sie vor allem Schülerinnen und Schülern mit Deutschproblemen nahezulegen.

Anmeldezahlen gering

Am vergangenen Montag ist die Anmeldefrist abgelaufen. Besonders viele von den 41.000 Schülerinnen und Schüler, die infrage kommen, haben sich aber nicht angemeldet. Darauf lassen erste Anmeldungszahlen schließen, die dem STANDARD vorliegen. Etwas besser angenommen wurde das Angebot in Niederösterreich und Tirol. Im Bildungsministerium sieht man trotzdem einen "relativen Erfolg". Schließlich sei es das erste Mal, dass es dieses Angebot gebe, sagt eine Sprecherin von Bildungsminister Heinz Faßmann (ÖVP).

Paralleles Angebot der Stadt Wien

Besonders in Wien ist die Zahl der Einschreibungen gering. Mit den "Summer City Camps" hat die Hauptstadt schon seit mehreren Jahren ein ähnliches Angebot, allerdings auch in den Fächern Mathematik und Englisch. Diesen Sommer werden die beiden Angebote parallel stattfinden. Im Bildungsministerium glaubt man nicht, dass die beiden Projekte in Konkurrenz zueinander stehen. In der Hauptstadt gebe es so viele außerordentliche Schüler, da würde sich locker beides ausgehen, so eine Sprecherin. Bei den Grünen heißt es, dass man sich bemühen wolle, bis zum nächsten Sommer eine Kooperationsmöglichkeit mit der Stadt Wien zu finden.

Julia Schreiner hat ein Masterstudium im Fach Deutsch als Zweitsprache abgeschlossen und ist bei Interface aktiv, das sich für die Integration von Kindern und Jugendlichen einsetzt. Bei den "Summer City Camps" hat sie schon im vergangenen Sommer unterrichtet. Für die Lernförderung im Sommer sei es besonders wichtig, nicht klassisch zu unterrichten, sagt sie. Also nicht als Lehrerin vor der Klasse zu stehen und Inhalte zu diktieren. "Die Kinder haben Ferien." Schreiner setzt deshalb auf Projekt- und Gruppenarbeiten.

Nicht nach Schulbuch unterrichten

Um herauszufinden, auf welchem Stand die Deutschkenntnisse ihrer Schützlinge sind, lässt sie die Pädagogin zuerst kurze Texte schreiben und viel sprechen. Grammatik lehrt sie nicht nach Schulbuch. Sie fragt die Kinder und Jugendlichen, welche Magazine oder Foren sie gerne lesen – und druckt ihnen diese Texte aus. "Dann unterstreichen wir zum Beispiel alle Adjektiv-Steigerungen."

Ihr oberstes Ziel sei, Selbstständigkeit und Selbstbewusstsein zu vermitteln, sagt Schreiner. Die Kinder und Jugendlichen sollen am Ende des Kurses motiviert sein und sich für das kommende Schuljahr mehr zutrauen. "Dafür sind Erfolgserlebnisse sehr wichtig." Die Schülerinnen und Schüler schreiben beispielsweise kleine Gedichte, bei denen sie nicht allzu sehr auf die Grammatik achten müssen.

Projektarbeiten

Auch das Bildungsministerium bittet die Schulen, die Sommerkurse nicht als "Paukerei" zu verstehen. Die Kinder und Jugendlichen sollen in den zwei Wochen an einem Projekt arbeiten, das sie am letzten Tag ihrer Gruppe präsentieren. Was genau das ist, schreibt das Ministerium nicht vor. Als Beispiele werden Kurzvideos, Hörtexte, Blogs, Podcasts, Poster, Theaterstücke oder eine Zeitung genannt.

Zielgruppe der Sommerschulen sind insbesondere Schülerinnen und Schüler der Deutschförderklassen, die im Schuljahr 2018/19 von der damals türkis-blauen Bundesregierung verpflichtend für jene eingeführt wurden, die aufgrund mangelnder Deutschkenntnisse "dem Unterricht nicht folgen können". Nach jedem Semester ist ein Test vorgesehen, der darüber entscheidet, ob die Kinder und Jugendlichen in die Regelklassen übertreten dürfen. Insgesamt dauern diese Klassen aber nicht mehr als vier Semester.

Kritik vom Sprachwissenschafter

Bildungsminister Faßmann hatte ursprünglich vorgesehen, dass diese Prüfungen – wie ansonsten auch – vor den Sommerferien stattfinden. Nach einiger Kritik an dieser Regelung hat Faßmann die Möglichkeit eingeführt, in den Sommerschulen die Deutschkenntnisse aufzufrischen und die Prüfung erst im Herbst zu machen.

Hannes Schweiger, Assistenzprofessor für Deutsch als Zweitsprache an der Universität Wien, findet diesen Kompromiss nicht sinnvoll. Er zweifelt daran, dass ein zweiwöchiger Kurs neun Wochen Lockdown wettmachen kann. "Das halte ich für unrealistisch", sagt er. Dazu kämen die langen Sommerferien, in denen die Kinder vieles vergessen würden.

Zweierlei Maß

Der Wissenschafter hätte es besser gefunden, die Tests ganz auszusetzen. Das Argument, dass man die Kinder und Jugendlichen dann in den regulären Klassen überfordere, lässt er nicht gelten. "Das würde ja auch auf jene Schülerinnen und Schüler zutreffen, die heuer ohne Prüfung mit einem Nicht genügend aufsteigen dürfen." Das Ministerium messe hier mit zweierlei Maß.

Statt der Sommerschulen plädiert Schweiger für Sprachförderung im regulären Unterricht und für eine notwendige massive Aufstockung der Mittel. "Man hätte 2020/21 zu einem Jahr der Sprachoffensive machen können", sagt der Universitätsprofessor.

Studierende zu wenig vorbereitet

Kritik übt Schweiger auch daran, dass für die Sommerschulen Lehramtsstudierende eingesetzt werden. "Für mich ist das sehr problematisch", sagt er. Er sei zwar sicher, dass sich sehr engagierte junge Menschen für die Kurse finden würden. Sprachförderung komme in der Ausbildung aber derzeit noch viel zu kurz, die Studierenden seien dafür nicht ausreichend ausgebildet. Dazu komme, dass sich die Lerngruppen aus Schülerinnen und Schülern verschiedenen Alters und mit unterschiedlichem Sprachstand im Deutschen zusammensetzen würden. Auch wenn die Studierenden an jedem Standort eine erfahrene Lehrkraft als Mentorin bekommen, sei diese Situation für sie eine "enorme Herausforderung", sagt Schweiger.

Das Bildungsministerium freut sich jedenfalls über "tausende" Anmeldungen von Studierenden, die unterrichten möchten. Pro Standort würden nicht wie geplant eine, sondern zwei fertig ausgebildete Lehrkräfte als Mentoren zur Verfügung stehen. (Lisa Kogelnik, 23.6.2020)