Weit entfernt und doch so nah: "Die Sehnsucht der Schwestern Gusmão".

Mahado

Eurídice und Guida sind zwei Schwestern in einer brasilianischen Familie in den 1950erJahren. Sie sind durchaus unterschiedlich, fühlen sich aber eng miteinander verbunden. Guida brennt mit einem griechischen Seemann durch, und als sie bald darauf mit einem Kind im Bauch wieder da ist, verstößt der strenge Vater sie – und lässt sie in dem Glauben, Eurídice wäre längst in Wien, um am Konservatorium ihren großen Traum zu verwirklichen. Sie will Klavier spielen.

Dabei hat sich auch Eurídices Lebens deutlich anders entwickelt, als sie es sich vorgestellt hat: Sie hat sich in eine pragmatische Ehe gefügt, bald zieht auch noch der Vater bei ihnen ein. Und so leben die beiden Schwestern in zwei unterschiedlichen Vierteln, aber de facto nicht so weit voneinander entfernt in Rio de Janeiro, und sind doch durch Welten getrennt.

Die Jahre ziehen ins Land, und zunehmend wird der Suspense stärker, ob sie einander zufällig einmal begegnen oder ob es eine andere Erfüllung für diese sehr spezielle Liebesgeschichte gibt.

Konsequente Farbdramaturgie

Der vielseitige Karim Aïnouz, ein Weltbürger mit algerischem Vater und brasilianischer Mutter, der inzwischen in Berlin lebt, debütierte 2002 mit Madame Satã, einem historischen Drama über einen Transvestiten in Rio. Zuletzt hat er den Dokumentarfilm Zentralflughafen THX (2018) gemacht, in dem er seine Sicht auf die "Flüchtlingskrise" im Auffanglager Tempelhof in Berlin darlegte. Nun ist er zum Spielfilm zurückgekehrt, und in seine Heimat Brasilien. Die Sehnsucht der Schwestern Gusmão beruht auf einem Roman von Martha Batalha, der im Suhrkamp-Verlag auch auf Deutsch vorliegt, an dem Aïnouz aber entscheidende Änderungen vorgenommen hat. Sie sind alle zum Vorteil des Films: Das Ergebnis ist ein episches Melodram, das zugleich durch Stilisierungen (zum Beispiel eine konsequente Farbendramaturgie) und durch Emotionalität überzeugt und das mit zwei großartigen Darstellerinnen zwei Frauenschicksale in einer stark patriarchalisch geprägten Gesellschaft nahebringt. (Bert Rebhandl, 23.6.2020)