"Ganz ehrlich: Es ist einfach nur scheiße, und ich habe es so satt. Wirklich total satt." Man kann die Wut von Cordula M. nicht überhören. Die 44-Jährige hat auch nicht viel Zeit, sie muss heim zu den Töchtern, sieben und zehn Jahre alt.

"Die sind jetzt wieder zu Hause, alle Schulen haben geschlossen", sagt sie und fügt hinzu: "Wir dachten, wir sind durch mit Corona, wir haben das Schlimmste hinter uns und den Lockdown überstanden. Aber nein, jetzt geht der Mist wieder von vorne los." Dann lacht sie doch ein bisschen und sagt: "Ich möchte Herrn Tönnies am liebsten verwursten."

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Sie ist nicht die Einzige in Rheda-Wiedenbrück, der 47.000 Einwohner-Stadt in Nordrhein-Westfalen, wo Tönnies seinen Stammsitz hat und 6500 Leute beschäftigt. Zwar sind Restaurants und Geschäfte im Landkreis Gütersloh, also auch in Rheda-Wiedenbrück, (noch) geöffnet, aber nicht mehr Schulen und Kindergärten. So sollen noch mehr Infektionen mit Corona verhindert werden. Update: Am Dienstag wurde dann ein regionaler Lockdown verhängt.

Über 1.500 Infizierte

Mehr als 1.500 Mitarbeiter des Großschlachters sind infiziert, die komplette Belegschaft musste in Quarantäne. Es zeige sich, "dass die Zahl der positiven Befunde außerhalb der Zerlegung deutlich niedriger sind als in diesem Betriebsteil", heißt es in einer Mitteilung des Landkreises. Will heißen: Dort, wo vor allem billige Arbeitskräfte aus Osteuropa schuften, gibt es besonders viele Ansteckungen.

"Hier nix Corona. Alles gut!", ruft ein junger Bulgare aus dem Fenster eines dunkelroten Einfamilienhauses in Herzebrock, unweit von Rheda-Wiedenbrück. Kaum hat er Kontakt aufgenommen, tauchen an den Fenstern sechs Kollegen auf. 15 seien sie im Haus, sagt einer. Alle arbeiten bei Tönnies, aber jetzt: "Quarantäne, viel schlafen, Handy."

Einmal am Tag kommt der Chef der Kolonne, ein Pole, und bringt Essen. Die Polizei schaut auch immer wieder vorbei, um zu kontrollieren. Wie lange sie noch in ihrem Quartier bleiben müssen, wissen sie nicht. "Wir wollen arbeiten", ruft einer.

Regierung will Werkverträge verbieten

Geht es nach der deutschen Regierung, werden diese Männer ab 2021 nicht mehr wie bisher für Tönnies und andere Schlachthöfe tätig sein können. Die große Koalition plant ein Verbot von Werksverträgen in der Fleischindustrie. Dann müssen Betriebe alle Menschen, die für sie arbeiten, anstellen, also auch bei der Kranken- und Pensionsversicherung anmelden und einzahlen. Das System, Aufträge an Subunternehmer zu vergeben, wäre nicht mehr möglich. Allerdings gibt es vor allem in der Union nicht nur verfassungsrechtliche Bedenken.

Armin Laschet (CDU), der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, hatte anfangs seine eigene Erklärung, woher das Virus bei Tönnies gekommen sei: von "Rumänen und Bulgaren". Über die erbärmlichen Bedingungen, unter denen die Arbeiter oft hausen, hat er nicht so gesprochen, was große Empörung auslöste.

Ein Pensionist, der seinen Namen nicht nennen möchte, sieht darin kein Problem. "Das ist ja nicht böse gemeint, aber die sind das mit der Hygiene einfach nicht so gewohnt. Da kann auch der Herr Tönnies nichts dafür." Ja, klar, das sei jetzt alles schon "sehr blöd" für die Region. Er erzählt auch von seinen Kindern, die "sauer" seien und auf die "Fleischfabrik" schimpfen, weil ihr Nachwuchs nicht mehr in den Kindergarten gehen kann.

Das billige Fleisch

Aber, so, der Mann: "Tönnies hat sich entschuldigt, er spendet auch viel, und ohne ihn und seine Arbeitsplätze wäre die Region um einiges ärmer." Er findet zudem: "Wir wissen alle, warum Fleisch billig ist. Weil es billig erzeugt wird. Niemand muss so tun, als würde er das jetzt erfahren."

Der "großzügige Herr Tönnies", der die Stadt unterstützt, ist immer wieder Thema, wenn man Menschen auf den Unternehmer anspricht. Weiter draußen, ein bisschen von der schmucken Innenstadt entfernt, liegt sein Riesenbetrieb, über dem nun eine eigentümliche Stille schwebt.

Die Lastwagen stehen in Reih und Glied auf den Parkplätzen, es gibt nichts anzuliefern oder abzuholen. Auch Kantine und Werksverkauf sind geschlossen. Im Schaufenster, in der prallen Sonne, wartet eine Palette mit Würstchen auf Kunden, die nicht mehr kommen und vielleicht auch keinen Appetit mehr haben. "Firma kaputt", sagt ein Lkw-Fahrer und fährt vom Gelände, vorbei an der vorbildlich angelegten bunten "Tönnies Bienenblumenwiese".

Hohe Kosten drohen dem Unternehmen

Auf Firmenchef Clemens Tönnies könnten hohe Kosten zukommen. Der deutsche Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) will zivilrechtliche Haftungsmöglichkeiten prüfen. Schließlich kosten die Maßnahmen zur Eindämmung von Corona eine Menge Geld.

32 mobile Teams sind unterwegs, um Tönnies-Mitarbeiter und ihre Angehörigen zu testen und aufzuklären. "Bitte sagen Sie den Menschen, dass sie auf keinen Fall das Haus verlassen dürfen, Lebensmittel werden ihnen vor die Tür gestellt", ersucht gegenüber des Bahnhofs eine Frau im Schutzanzug einen Dolmetscher. Er nickt und spricht dann eindringlich auf ein Paar ein.

Mancherorts werden die Quartiere der Mitarbeiter von der Polizei abgeriegelt, um zu verhindern, dass sich jemand ins Ausland absetzt. Und immer schwebt über allem ein neuerlicher drohender Lockdown, den Laschet unbedingt umgehen möchte. Wenn das nicht gelingt, meint die wütende Zweifachmama Cordula eines zu wissen: "Dann braucht der Tönnies sich nie wieder beim Schützenfest hier oder sonst wo blicken lassen." (Birgit Baumann aus Rheda-Wiedenbrück, 23.6.2020)

Update: Am Dienstag wurde ein regionaler Lockdown verhängt.