Neil Young hat aus seinem Archive das Album Homegrown veröffentlicht. Aufgedrängt hat sich diese Entscheidung nur für die Fans.

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Kunst und Sammeln, das gehört zusammen wie Pferd und Kutsche, wie schon Frank Sinatra sang. Die Perspektive der Psychologie auf das Jagen und Sammeln ist nicht nur schmeichelhaft. Selbst wenn es nicht um messiehaftes Anhäufen geht, wird Sammlern ein gesteigerter Dominanztrieb nachgesagt. Das Sammeln, so die These, sei eine Machtdemonstration. Wer viel hat, ist viel wert. Zumindest in der Selbstsicht des Kollektors.

Über die soziale Kompetenz solcher Zeitgenossen herrscht Uneinigkeit. Einerseits gilt ihre Neigung als eigenbrötlerisch, andererseits als Anbahnung, um mit Gleichgesinnten Kontakt aufzunehmen. Zum Zwecke des Austauschs oder des Vergleichs: Wer hat den längeren Plattenständer? In beiden Sichtweisen taucht der Begriff Narzissmus auf, oft versehen mit dem Zusatz "Störung".

Gut und gut gemeint

Die Verwertungsmaschine der Popkultur baut auf derlei Wesenszüge. In der Musik gibt es zumindest zwei Weltstars, die seit Jahren massiv aus dem eigenen Archiv veröffentlichen und ihren Sammlern einiges zumuten, im Guten wie im Gutgemeinten.

Bob Dylan veröffentlicht schon seit 1991 seine Bootleg Series. Das sind meist mehrere Tonträger voller Raritäten und anderen Versionen schon bekannter Lieder aus diversen Schaffensperioden des US-Singer-Songwriters. 15 solcher oft ins Ziegelige gehende Sammlungen hat Dylan bisher veröffentlicht.

Ein Mann braucht eine Maid

Neil Young, ein Wegbegleiter und Freund Dylans, veröffentlicht seinerseits eine Archivserie. Eben hat er sein Album Homegrown aufgelegt. Das entstand 1975 unter dem Eindruck der sich abzeichnenden Trennung von der Schauspielerin Carrie Snodgress. Ihr war auf Youngs Album Harvest das nur bedingt schmeichelnde Man Needs A Maid zugedacht.

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Homegrown fiel mit seinen meist im Midtempo schleichenden Country-Rockern sehr persönlich aus. Zu persönlich, wie Young befand und stattdessen Tonight’s The Night den Vorzug gab und Homegrown für die nächsten 45 Jahre ins Regal stellte. Dort gedieh es zu einem der vielen mythenumrankten Werke des 74-jährigen Kanadiers mit US-Staatsbürgerschaft.

Vor allem, weil einzelne Songs daraus den Weg in Konzerte oder später aufgenommene Alben fanden: Star of Bethlehem tauchte 1977 auf American Stars ’n Bars auf, Little Wing 1980 auf Hawkes and Dowes, White Line 1990 auf Ragged Glory. Derlei Details zeigen schon, in welch nerdige Gefilde das driftet.

Launige Kleinode

Doch nur wenige Mythen bestehen im Reality-Check. Zwar ließ Young Mitte der 1970er mit einer Reihe bestechender Arbeiten aufhorchen, Homegrown reicht an deren Klasse nicht heran. Das liegt an einigen Liedern, die wie bessere Wegbeschreibungen und höhere Skizzen klingen. Diese launigen Kleinode mögen ihrem Schöpfer wie wertvolle Erinnerungen erscheinen, den gemeinen Konsumenten erreicht er damit nicht. Doch gehört der überhaupt zur Zielgruppe solcher Veröffentlichungen? Wohl kaum.

Es geht bei diesen Archivalben um die Bedienung der globalen Fangemeinde, die Künstlern wie Dylan oder Young mit fast religiöser Anmutung folgen und entsprechend verblendet sind. Das ist okay, der Fan schult sich ja im Fanatismus.

Neil Young - Topic

Für diese Klientel sind diese Arbeiten Mosaiksteine in tatsächlich epochalen Karrieren. Sie sind wohl weniger als Einzelleistung bedeutsam als im Sinne eines möglichst umfassend abzubildenden Lebenswerks dieser Künstler. Doch dann und wann muss jeder Fan zugeben, dass es besser gewesen wäre, der Meister hätte nicht jedes Mal gleich den Aufnahmeknopf gedrückt, wenn er auf dem Weg in die Küche an der Gitarre vorbeigekommen ist.

Nichts oder sehr wenig

Nicht jeder bekiffte Dialog mit Mitmusikern ist künstlerisch wertvoll, nicht aus jeder launigen Zeile wird ein vollständiger Song. Oft wird nichts daraus oder nur sehr wenig. Misst man Homegrown an damals tatsächlich erschienenen Alben wie On The Beach, wird die Entscheidung nachvollziehbar, es nicht zu veröffentlichen. Sagt der Kritiker. Der Fan hat es natürlich längst angeschafft. Schon der Vollständigkeit wegen. (Karl Fluch, 23.6.2020)