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Facebook machte sich immer wieder gegen eine Verschärfung seiner Moderationsverpflichtungen stark.

Foto: Reuters

"Wir haben im Kampf gegen Hassrede in den letzten Jahren sehr große Fortschritte gemacht." Dieses Attest stellte sich Facebook selbst aus, als der Betreiber des weltgrößten sozialen Netzwerks von deutschen Reportern mit einer Anfrage konfrontiert wurde. Mitarbeiter des Bayerischen (BR), Norddeutschen (NDR) und Westdeutschen Rundfunks (WDR) haben 2,8 Millionen Postings und Kommentare aus den letzten zehn Jahren analysiert und dabei zahlreiche Inhalte gefunden, die trotz offenkundiger Rechtswidrigkeit seit Jahren online sind.

Sich diese Postings zu erschließen erwies sich dabei als wenig kompliziert. Sie stammen aus 138 Facebook-Gruppen, von denen der Großteil meist geschlossen, also erst nach Aufnahme durch einen Gruppenmoderator zugänglich, war. Nach dem Hinweis eines Informanten sicherten sich die Journalisten Einsicht über eine Beitrittsanfrage mit Fakeaccounts. Die Aufnahme erfolgte in der Regel sehr schnell und ohne weitere Prüfung.

Hassrede nahm massiv zu

Die nichtrepräsentative Auswahl förderte zahlreiche problematische Postings zutage. Nutzer posteten etwa SS-Runen, betrieben Holocaustleugnung oder riefen zu Vergewaltigung und anderen Gewalttaten auf. Dazu wurden mehr als 10.000 potenziell rechtlich relevante Beleidigungen entdeckt. Als Tendenz konnte man bemerken, dass der Anteil "hassgeladener Sprache" sich zwischen 2012 und 2018 vervierfachte.

25 Gruppen nahmen Bezug auf die AfD, ohne allerdings ein offizieller Auftritt dieser zu sein. Unter den Mitgliedern waren auch Landtags- und Bundestagsabgeordnete der Partei zu finden. Auf eine Anfrage dazu reagierte die AfD nicht.

Facebook stemmte sich gegen Regulierung

In Deutschland wurde erst vor kurzem das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) verschärft. Facebook, Twitter und andere soziale Netzwerke müssen Verhetzung sowie Aufrufe zu Gewalt und Mord künftig nicht nur löschen, sondern auch den Behörden melden. Justizministerin Christine Lambrecht sieht dies als Vorstoß, um problematische Auswüchse im Netz der Strafverfolgung zu unterwerfen.

Die Journalisten werteten auch interne Unterlagen der deutschen Bundesregierung aus. Dabei zeigte sich, dass Facebook in der Vergangenheit versucht hatte, gegen eine Verschärfung der Regelungen zu lobbyieren. Bei der ablehnenden Haltung berief man sich darauf, dass man als Firma nicht einschätzen müssen sollte, welche Postings strafbar seien, das dies dem Staat obliege. Facebook muss nicht aktiv nach problematischen Kommentaren suchen, sondern wird erst tätig, wenn Beiträge von Usern gemeldet werden.

Schon seit 2015 erklärt der Konzern immer wieder, sein Vorgehen gegen Hassrede zu intensivieren. "Wir möchten Hassrede natürlich löschen", heißt es auf die Anfrage der deutschen Rundfunkanstalten. Jedoch werde diese Arbeit "nie beendet sein", da es sich um ein "breites gesellschaftliches Problem" handle.

Verschärfungen in Österreich geplant

Auch in Österreich könnte es in absehbarer Zeit zu gesetzlichen Verschärfungen kommen, die Facebook und Co stärker in die Pflicht nehmen. Am Freitag und Montag sprachen Justizministerin Alma Zadić (Grüne) und Kanzleramtsministerin Karoline Edstadler (ÖVP) mit Experten. Es sei unumgänglich, die Plattformen stärker in die Pflicht zu nehmen, argumentierte man in einer Aussendung.

Wenngleich man eine europäische Lösung anstrebe, will man schon vorher auf nationaler Ebene Maßnahmen setzen. Es soll ein "umfassendes Maßnahmenpaket" geschnürt werden, sowohl bei den Verpflichtungen der Betreiber als auch bei den Rechten und Möglichkeiten von Betroffenen. (red, 23.06.2020)