Den Schildkröten geht es nicht gut: Eine nun von insgesamt 51 internationalen Fachleuten im Fachjournal "Current Biology" präsentierte Studie weist auf die globale Gefährdung der Panzerträger hin. Das Team der International Union for Conservation of Nature (IUCN) kommt zum Schluss, dass über die Hälfte aller 360 Schildkrötenarten von der Ausrottung bedroht sind. Laut der Studie wäre ein Handelsverbot für Wildfänge ein effektives Gegenmittel.

Tausendfach geschmuggelt

Jedes Jahr werden weltweit Hunderttausende von Schildkröten für den Wildtierhandel gesammelt, vor allem um sie als Heimtiere zu halten oder – insbesondere in Ostasien – um sie zu essen. Im Mai beschlagnahmten mexikanische Behörden beispielsweise 15.000 Schildkröten, die nach China geschmuggelt werden sollten. In Madagaskar wurden 2018 innerhalb weniger Monate etwa 18.000 Tiere konfisziert.

Die Callagur-Schildkröte (Batagur borneoensis) aus Südostasien steht durch die Ausbeutung als Nahrungsmittel in den letzten 30 Jahren am Rande der Ausrottung.
Foto: Gerald Kuchling

"Viele Schildkrötenarten leben sehr lange und legen nur wenige Eier. Das bedeutet, dass gerade solche Arten durch das Abfangen von geschlechtsreifen Weibchen in kürzester Zeit ausgerottet werden können", erklärt Uwe Fritz von den Senckenberg Naturhistorischen Sammlungen in Dresden. "Wenn der Handel nicht verboten oder massiv eingeschränkt wird, werden wir in den nächsten Jahren zahlreiche Schildkrötenarten unwiederbringlich verlieren. Deren Fangzahlen und die Lebensraumvernichtung sind seit Jahrzehnten so groß, dass etwas mehr als die Hälfte aller 360 Arten akut bedroht ist."

Riskanter Wildtierhandel

Fritz hat gemeinsam mit 50 internationalen Schildkröten-Fachleuten die umfassendste globale Studie zum Gefährdungsstatus aller Schildkrötenarten verfasst. Die Studie kommt zu dem Schluss, dass Schildkröten weltweit eine der am stärksten bedrohten Tiergruppen überhaupt sind und deren Handel eingestellt werden muss.
"Der Handel mit Wildtieren ist nicht nur für die entsprechenden Arten fatal, er birgt auch Gesundheitsrisiken für uns Menschen. Das neuartige SARS-Coronavirus stammt wahrscheinlich von Hufeisennasen-Fledermäusen, bevor es auf einem Wildtiermarkt auf den Menschen übertragen wurde," so Craig Stanford, Leiter der Studie von der University of Southern California.

Aktuell brechen die Bestände der Madagaskar-Strahlenschildkröte durch den übermäßigen Fang für den Tierhandel zusammen.
Foto: Craig Stanford

Die Untersuchung fordert daher nachdrücklich, dass bestehende Schutzgesetze und das CITES-Übereinkommen – das den internationalen Handel mit gefährdeten und bedrohten Arten regelt – wirksam umgesetzt werden müssen, um der drohenden Vernichtung der Schildkrötenarten entgegenzuwirken. Die Studie identifiziert zudem weltweit 16 "Schildkröten-Hotspots", an denen besonders viele Schildkrötenarten leben.

Schutz von Schildkröten-Hotspots und Zuchtprogramme

Der gezielte Schutz dieser geographischen Hotspots wäre eine besonders effektive Maßnahme viele Arten gleichzeitig zu schützen. "In diesen Gebieten könnten Beobachtungsstationen für Schildkröten aufgebaut werden, die für den Ökotourismus genutzt werden und so der lokalen Bevölkerung eine Einnahmequelle bieten", ergänzt Koautor Russ Mittermeier von der Naturschutzorganisation "Global Wildlife Conservation".

Die Española-Riesenschildkröte (Chelonoidis nigra hoodensis) Diego lebte bis 1976 im Zoo von San Diego. Nach seiner Rückkehr in die Charles-Darwin-Forschungs- und Zuchtstation auf der Insel Santa Cruz zeugte Diego mit den wenigen fortpflanzungsfähigen Weibchen so viele Nachkommen, dass die Art nun nicht mehr als gefährdet gilt.
Foto: Kaldari

Auch könnten bestimmten Schildkrötenarten Zuchtprogramme helfen – solange ein natürlicher, intakter Lebensraum vorhanden ist, um die Tiere nach erfolgreicher Vermehrung in die Freiheit zu entlassen. Die Española-Riesenschildkröte von Galapagos und die australische Falsche Spitzkopfschildkröte konnten so in ‚letzter Minute’ vor dem Aussterben gerettet werden – wir müssen auf jeden Fall schnell handeln, bevor es zu spät ist", warnt Fritz. (red, 24.6.2020)