Maschinen bei der Chipherstellung: In Zukunft könnte die Produktionsanlage nach dem Schwarmprinzip arbeiten.

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Wer erklärt in einem Heuschreckenschwarm, wo es langgeht? Die Selbstorganisation in Schwärmen ist für die Wissenschaften bis heute faszinierend. Fische, Fledermäuse, Vögel, Insekten – vielen Spezies hat die Evolution die notwendigen Fähigkeiten mitgegeben. Sie folgen wenigen, einfachen Regeln, um im Schwarm gemeinsam Vorteile zu lukrieren – etwa mehr Sicherheit vor Feinden oder effizientere Nahrungssuche.

Gerade in Computertechnologie und Robotik interessieren sich Forscher für diese Organisationsformen. Mittlerweile können Drohnen oder Logistikroboter nach dem Schwarmprinzip navigieren. Doch künftig könnten sich noch viele weitere Anwendungen von Heuschrecke und Co inspirieren lassen.

Das illustriert etwa das Projekt Swilt. Wissenschafter der Universität Klagenfurt und des Forschungsinstituts Lakeside Labs, wo auch die Projektkoordination liegt, arbeiten hier mit Firmenpartnern daran, dank der Anleihen aus der Natur ganze industrielle Fertigungsanlagen effizienter zu organisieren.

Losgrößen und Kapazitäten

Ein Szenario für die Produktion nach dem Schwarmprinzip findet sich in der Halbleiterindustrie. Computerchips werden in Form von Wafern produziert, dünne Halbleiterscheiben, aus denen – in vielen Produktionsschritten – integrierte Schaltungen aufgebaut werden. Es wird geätzt, belichtet, gebrannt, poliert. Je nach Produkt wiederholen sich manche Prozesse, andere bleiben einmalig.

Zudem durchlaufen mehrere Produktlose mit jeweils eigenen Abläufen gleichzeitig die Fertigungsanlage. "Man kann sich das so vorstellen, dass die Produkte jeweils ein komplexes Rezept haben, das es abzuarbeiten gilt", erklärt Wilfried Elmenreich vom Institut für Vernetzte und Eingebettete Systeme der Uni Klagenfurt. "Sie besuchen nacheinander verschiedene Maschinen und konkurrieren dort um die jeweiligen Fertigungsslots."

Dazu kommen viele weitere Faktoren, die es in einem optimierten Produktionsablauf zu berücksichtigen gilt: Manche Maschinen müssen zwischen verschiedenen Losen umgerüstet werden, andere arbeiten in Batches und sind erst ab einer gewissen Stückzahl sinnvoll zu betreiben.

Auftragsfristen einhalten

Es gibt Auftragsfristen, die einzuhalten sind, verschiedene Losgrößen und Kapazitäten. Fällt eine Maschine aus, ergibt sich sofort ein Rückstau, der auch andere Anlagen betrifft. Insgesamt also eine "extrem komplexe" Systematik, die auch ein Computerprogramm nicht ohne weiteres optimieren und bei Bedarf flexibel adaptieren kann.

Wie könnte nun die Steuerung per "Schwarmalgorithmus" aussehen? "Die Schwärme in der Natur werden nicht zentral gesteuert, die Individuen orientieren sich lediglich an ihren Nachbarn, also an lokal vorhandener Information. Genau das wollen wir auch tun, um Produkte oder Maschinen ihrem Umfeld entsprechend zu koordinieren", erklärt Elmenreich.

"Bei diesem Ansatz gibt es also keine von vornherein feststehende Lösung, sondern nur gewünschte Effekte, zu denen wir möglichst einfache lokale Regeln finden müssen." Auf Basis dieses Gedankens soll das Produktionssystem aus Losen und Rezepten in eine Netzwerkstruktur umgerechnet werden, in denen sich Maschinen und Produkte Signale übermitteln, die das Verhalten dieser Mitspieler verändern können.

Anziehung und Abstoßung

Das könnte etwa dazu führen, dass zwischen Losen, die denselben Arbeitsschritt in einer Maschine mit hoher Batch-Größe benötigen, eine Anziehungskraft entsteht, sodass ein Los gleichartige andere mit sich zieht. Umgekehrt könnten sich Lose, die unterschiedlich konfigurierte Maschinen benötigen, abstoßen, sodass sie möglichst nicht in zeitlicher Nähe dort ankommen. Auch Maschinen könnten Signale aussenden, die anziehend oder abstoßend wirken – ähnlich Hormonen in der Biologie.

Sie könnten etwa anzeigen, ob mehr oder weniger Lose vor Ort benötigt werden. Bei einem Bedarf, der länger nicht erfüllt wird, würden sich auch die Hormone ansammeln und an Einfluss im Netzwerk gewinnen. "Wichtig ist, gegensätzliche Mechanismen zu haben, die in ihrem Wechselspiel einen Abgleich schaffen und das System als Ganzes optimieren", sagt Elmenreich.

Am Projektende soll ein Steuerungsalgorithmus stehen, der zentral regierte Prozesse zumindest leicht übertrifft. "Die Umsetzung dieses Ziels ist alles andere als einfach", sagt der Forscher. "Schwärme basieren auf sehr einfachen Regeln. Diese zu finden – so wie es in der Natur die Evolution getan hat – ist das Schwierige." (Alois Pumhösel, 10.7.2020)