Als Sebastian Kurz vor dem Untersuchungsausschuss zu dem von der FPÖ inspirierten Überfall auf den Verfassungsschutz aussagte, berief er sich darauf, dass er alles nur aus den Medien wisse und – obwohl Kanzler – überhaupt nicht eingebunden gewesen sei. Im Vorfeld seiner für Mittwoch vorgesehenen Aussage im Ibiza-Ausschuss wurde spekuliert, dass er sich wieder auf diese Linie zurückziehen werde.

Daher, allfällige Überraschungen einmal ausgeschlossen, musste Kurz (oder auch Blümel) die Aussage vor dem Ausschuss nicht besonders fürchten. Warum gibt es dann massives Sperrfeuer der Türkisen bzw. seltsame Nebelwerferaktionen in diversen Medien knapp vor dem Ausschuss?

Die Antwort vorweggenommen: Das türkise Selbstverständnis erträgt es nicht, dass der Eindruck von Kontrollverlust und politischer Schwäche bei Kurz und bei seiner Mannschaft entsteht. Eine harte Befragung vor dem U-Ausschuss, bei der sich die Befragten auf "Ich habe nichts gewusst" oder "Ich kann mich nicht erinnern" zurückziehen, könnte dieses Image erschüttern.

Der U-Ausschuss-Vorsitzende Wolfgang Sobotka.
Foto: APA/ROLAND SCHLAGER

Die größte Wirkung des Kurz-Auftritts vor dem Ausschuss könnte eine politische sein.

Abmachungen

Auffällig ist, was sich im Vorfeld abspielt. Die Neos-Abgeordnete Stefanie Krisper verlangte, zu "Postenbesetzungen, Spenden etc." brauche man seine "Kalendereinträge, Mails, elektronischen Nachrichten ...".

Und siehe, die Gratiszeitung "Österreich" bzw. ihre Website oe24.at veröffentlicht flugs die "geheimen SMS" zwischen Kurz und Strache und fügt gleich den Freispruch hinzu: "Interessant, aber nicht belastend." Tatsächlich geht es bei den SMS unmittelbar vor Auffliegen der Affäre darum, dass Kurz von Strache wissen will, was los ist, wobei dieser hinhaltend reagiert. Darüber, ob weit früher Absprachen stattgefunden haben und dokumentiert wurden, sagen die veröffentlichten Botschaften, die wohl aus Straches beschlagnahmten Handy stammen, gar nichts aus. Andere Passagen beweisen nur, dass sich Kurz und Strache um angebliche sachpolitische Abmachungen stritten.

Zuvor hatte schon der ÖVP-Abgeordnete Klaus Fürlinger auf nie dagewesene Weise verlangt, die Staatsanwaltschaft (!) müsse "dringend die fragwürdigen Aktivitäten von Stefanie Krisper im U-Ausschuss" überprüfen. Nun ist Fürlinger immerhin auch Rechtsanwalt; als solcher müsste er einen Begriff vom demokratischen Rechtsstaat haben.

Dazu noch die massiven Anstrengungen, den Nationalratspräsidenten Wolfgang Sobotka trotz des Anscheins von Befangenheit als Vorsitzenden des U-Ausschusses zu halten – und es wird eine ganze Nebelgranaten-Kanonade daraus.

Dabei ist festzuhalten: Es gibt Vermutungen, aber keinen direkten Beweis, dass der Kanzler oder die Türkisen überhaupt in das Thema des Ausschusses "mutmaßliche Käuflichkeit der türkis-blauen Regierung" (vor allem im Zusammenhang mit Glücksspiel) maßgeblich verwickelt waren. Es gibt auch Hinweise, dass versucht wurde, eine etwaige Aufklärung zu behindern. Aber nichts, was Kurz und Co auf den ersten Blick substanziell fürchten müssten.

Außer eben den Verlust des Images als verschworene kleine Schar, die alles unter Kontrolle hat. (Hans Rauscher, 23.6.2020)