Lothar Lockl ist neuer ORF-Stiftungsrat auf einem Regierungsticket der Grünen. Trotz Corona-bedingten Sparbedarfs sieht er keine Zeit für eine GIS-Debatte, aber für mehr Miteinander in der Medienbranche.

Lothar Lockl (51) ist seit wenigen Wochen im obersten ORF-Entscheidungsgremium. Er war Manager der Grünen, machte sich 2009 als Kommunikationsberater selbstständig, managte 2016 den Präsidentschaftswahlkampf von Alexander Van der Bellen.

Mit der Regierungsbeteiligung bekamen die Grünen so viele Mandate im ORF-Stiftungsrat wie noch nie. Und doch sind es nur drei aus 35. Die Kanzlerpartei ÖVP kommt mit ihr nahestehenden Räten seit Frühjahr allein auf eine Mehrheit im ORF. Mit der kann die Volkspartei 2021 die nächste ORF-Führung ebenso allein bestimmen wie die spätestens Ende 2021 anstehende nächste Gebührenerhöhung.

Lockl gilt als Nachfolgekandidat von Norbert Steger (76, FPÖ), als Vorsitzender des Stiftungsratsrats. Im STANDARD-Interview hält er sich dazu ebenso bedeckt wie zu den Aussichten von ORF-Chef und Sozialdemokrat Alexander Wrabetz, 2021 ein drittes Mal wiederbestellt zu werden.

"ORF als eine Art Gütesiegel für Informationen"

Lothar Lockl über Regierungsdeals, Generalswahl, GIS – sehr zurückhaltend.
Foto: Heribert Corn

STANDARD: Großes Thema im ORF und im Stiftungsrat am Donnerstag sind 75 Millionen Euro Einsparungsbedarf in Österreichs größtem Medienkonzern. Stiftungsrat Heinz Lederer (SPÖ) hat im STANDARD-Interview an die Verantwortung der Regierung appelliert, dass sie den ORF mit den Corona-Folgen für das Unternehmen nicht alleinlassen möge. Lederer forderte eine Abgeltung von Gebührenbefreiungen, eine Rundfunkabgabe für alle Haushalte oder eine GIS-Erhöhung.

Lockl: Klar wünscht man sich immer mehr Geld. Aber jetzt ist die Priorität, dass der ORF mit dem Geld auskommt, das im Moment zur Verfügung steht. Darauf liegt der Fokus im Stiftungsrat und in der ORF-Führung. Das halte ich für klug. Aber ja, natürlich ist es finanziell eine extrem herausfordernde Situation.

STANDARD: Spätestens gegen Ende 2021 muss es laut ORF-Gesetz einen Gebührenantrag an den Stiftungsrat geben, und mit einem Antrag auf Gebührensenkung ist eher nicht zu rechnen.

Lockl: Ich weiß aus meiner Polittätigkeit noch gut, wann man sinnvollerweise welche Diskussion führt. Wir haben jetzt Juni 2020, und es ist klug, den Fokus auf die aktuellen Problemstellungen zu legen. Ich will nicht heute über Dinge spekulieren, wo wir die Fakten noch nicht kennen.

STANDARD: Nach der Polittätigkeit kam die Beratungsagentur von Lothar Lockl, die auch politische Kunden hat, deren Kunden von Lothar Lockl erwarten, Öffentlichkeit für ihre Anliegen zu schaffen. Wie lässt sich das vereinbaren mit der Aufsichtsfunktion im größten öffentlichen Medienunternehmen? Das klingt nach Interessenkonflikten.

Lockl: Die Unabhängigkeit nehme ich sehr ernst. Es geht mir als Stiftungsrat um die Weiterentwicklung, Absicherung und Stärkung des ORF und des Medienstandortes, auch aus demokratiepolitischen Überlegungen. Kein Politiker freut sich, wenn er kritisiert wird, aber man wird dafür kämpfen müssen, dass auf sachlicher Basis journalistische Arbeit und Pressefreiheit gewährleistet sind.

STANDARD: Kunden könnten erwarten, dass Sie als Stiftungsrat ein Wort für sie einlegen. Soll schon vorgekommen sein, dass sich ORF-Stiftungsräte der Grünen sehr aktiv eingebracht haben auch in den redaktionellen Alltag.

Lockl: Für mich ist das völlig undenkbar. Meine Aufgaben hier sind die Interessen des ORF und seine Zukunftsfähigkeit und die Kontrolle des Managements und keine andere. Das trenne ich sorgsam. Im Übrigen: Ich bin nicht der einzige Kommunikationsberater im Gremium.

STANDARD: Die Stiftungsräte sind laut Gesetz unabhängig, de facto entscheiden sie häufig entlang von Parteigrenzen. Wie haben Sie die ersten Sitzungen – bisher von Ausschüssen des Stiftungsrats – erlebt?

Lockl: Es gibt eine gute Basis der Zusammenarbeit, ein hohes Verantwortungsbewusstsein. Man kann offener miteinander reden und mehr im Sinne der Sache, als ich das dachte. Ich werde mich bemühen, dass die Kultur der Zusammenarbeit im Gremium und mit der Geschäftsführung respektvoll, auf Augenhöhe und zukunftsorientiert ist.

STANDARD: Das klingt nach einer Wahlrede für den Vorsitz des Stiftungsrats.

Lockl: Es gibt einen Stiftungsratsvorsitzenden.

STANDARD: Mit Norbert Steger (FPÖ) einen wegen einiger Aussagen über den ORF und seine Journalisten umstrittenen Vorsitzenden, der im März 76 wurde. Würde Sie die Funktion interessieren?

Lockl: Ich bin seit wenigen Wochen einer von 35 Stiftungsräten und damit beschäftigt, mich einzuarbeiten.

STANDARD: Das klingt nicht nach: Nein, auf keinen Fall!

Lockl: Ich habe enormen Respekt vor dieser neuen Aufgabe als Stiftungsrat und bin derzeit damit ausgelastet.

STANDARD: Es gibt drei den Grünen zugeordnete ORF-Stiftungsräte (von 35), so viele wie noch nie. Gibt es schon einen grünen "Freundeskreis", der wie etwa ÖVP und SPÖ und FPÖ Sitzungen vorbespricht?

Lockl: Wir diskutieren miteinander, und ich habe eine Koordinationsrolle. Das ist es. Und wir versuchen, auch zu allen anderen Stiftungsräten eine gute Gesprächsbasis aufzubauen.

STANDARD: Im Sommer 2021 kommt die Bestellung der nächsten ORF-Führung auf den Stiftungsrat zu. Was muss denn ein idealtypischer ORF-Chef, eine idealtypische ORF-Chefin können – oder ein ORF-Vorstand, falls das Gesetz das noch ändert.

Lockl: Wenn man neu in ein Gremium kommt, muss man sich einen Überblick verschaffen, mit vielen reden, andere Sichtweisen kennenlernen. Ich will mir die Zeit geben, mich da einzuarbeiten. Das gebietet die Seriosität.

STANDARD: Eine grobe Vorstellung werden Sie hoffentlich haben.

Lockl: Das muss eine Person sein, die den ORF gut repräsentiert, die Leadership-Erfahrung hat, hohes Verständnis für den Journalismus gerade in Fernsehen, Radio, online. Aufgeschlossen für moderne, zukünftige Entwicklungen. Der oder die internationale Entwicklungen mitdenkt. Aber momentan ist nicht die Zeit für dieses Thema. Der ORF hat ein Management. Jetzt liegt die volle Priorität auf der Bewältigung der Corona-Krise. Daneben muss natürlich Platz sein für strategische Fragen, wie sich der ORF in Zukunft ausrichtet.

STANDARD: Vielleicht stellt sich die Frage Ihnen gar nicht so sehr, weil ÖVP und Grüne in einer Nebenabsprache zur Regierung ohnehin festgelegt haben – wie zuvor schon ÖVP und FPÖ –, dass die Entscheidung über die ORF-Führung bei der ÖVP liegt und der kleinere Regierungspartner den Vorsitz im Stiftungsrat bekommt – siehe Norbert Steger bei der FPÖ. Und die ÖVP hat schon mit den ihr nahestehenden ORF-Stiftungsräten die nötige Mehrheit, um die nächste ORF-Führung allein zu bestellen.

Lockl: Die Besetzung der nächsten ORF-Führung ist Sache des Aufsichtsratsgremiums. Ich werde mir – wie alle anderen Stiftungsräte – rechtzeitig darüber Gedanken machen.

STANDARD: Hat Alexander Wrabetz dann Ende 2019 zu Unrecht aufgeatmet über die Regierungsbeteiligung der Grünen und womöglich schon eine Flasche auf seine nächste Verlängerung aufgemacht?

Lockl: Der Fokus liegt auf der Situation heute, auf dem Sparprogramm, auf der programmatischen Ausrichtung für die Zukunft des ORF und seinem Publikum. Wie geht der ORF gestärkt hervor aus dieser Zeit, in der er seine Leistungsfähigkeit unter schwierigsten Bedingungen gezeigt hat? Es herrscht momentan keine Langeweile, die Zeit für Spekulationen lässt. Wir werden sehen, was in einem Jahr ist. Bis dahin haben wir viele schwierige Monate vor uns.

STANDARD: Eine Personalfrage muss ich noch stellen: Ist der Grüne Pius Strobl, gerade noch 63 und derzeit im ORF sehr selbstbewusster Chef von Sicherheit, Bauprojekt Küniglberg, Humanitarian Broadcasting und allerlei mehr, die grüne Hoffnung für das nächste ORF-Management, wie recht oft spekuliert wird?

Lockl: Wenn ich mich nicht an Personalspekulationen beteiligen will, dann gilt das für jede dieser Spekulationen. Ein Fußballtrainer hütet sich extrem davor, einzelne besonders hervorzuheben oder zu kritisieren. Das ist eine Teamleistung. Und das Team ORF, gerade die Redaktionen, hat in den vergangenen Wochen und Monaten einen hervorragenden Job gemacht.

STANDARD: Das heißt: Beste Voraussetzungen, um den amtierenden Generaldirektor Alexander Wrabetz 2021 in eine weitere Amtszeit zu schicken?

Lockl: Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Die aktuelle Geschäftsführung ist jetzt im Amt, und es geht um das bisher Geleistete. Ich beziehe das explizit nicht nur auf die Geschäftsführung, sondern auf das gesamte Haus.

STANDARD: Und wie sollte sich das gesamte Haus ORF nun nach Ansicht eines grünen Regierungs-Stiftungsrats ausrichten?

Lockl: Meine Vision ist, dass der ORF in Zukunft ein modernes, digitales Unternehmen wird. Ein Herzstück der Demokratie in Österreich, wo sich gesellschaftliche Debatten in all ihrer Breite wiederfinden. Und wo vor allem der ORF eine Art Gütesiegel für Informationen ist. Dass ich mich darauf verlassen kann: Wenn etwas im ORF berichtet wird, dann ist es doppelt und dreifach gecheckt. Das ist ein klares Unterscheidungsmerkmal in Zeiten von amerikanischen und chinesischen IT-Plattformen, die im Prinzip wie Medien arbeiten, aber die entsprechenden Gesetze nicht einhalten wollen. In Zeiten von mehr und mehr Falschnachrichten ist man mit einer solchen Positionierung als öffentlich-rechtliches Gütesiegel ein Fundament für die Demokratie in Österreich – wie auch andere Medien. Der ORF ist ein Leitbetrieb in Österreich und hat auch eine besondere Verantwortung.

STANDARD: Das klingt nach dem neuen Cheflobbyisten des ORF, der mit seinen sehr guten Kontakten zu Grünen und auch ÖVP das neue ORF-Gesetz entriert mit weniger Beschränkungen und mehr Möglichkeiten für den ORF im Web.

Lockl: Als Mitglied des ORF-Stiftungsrats habe ich natürlich die Interessen des ORF im Auge, das verlangt schon das Gesetz. Der ORF ist ein Leitbetrieb für den Medienstandort, und da hat er auch eine Verantwortung für andere Medien. Ich halte wenig von Kannibalisierung und Grabenkämpfen innerhalb der Medien in Österreich. Das kenne ich aus dem Energiesektor. Dort haben die alternativen Energie-Erzeuger zu einem neuen, gemeinsamen Branchenbewusstsein gefunden. Da müssen die ORF-Führung und der Gesetzgeber den Gesamtmarkt im Auge behalten.

STANDARD: Was soll denn der ORF dürfen? Die Regierung soll schon recht weit sein mit einem Entwurf für eine ORF-Novelle, die insbesondere einige Online-Beschränkungen streicht.

Lockl: Ich bin recht optimistisch, dass es moderne Rahmenbedingungen geben wird. Aber ich will da zum jetzigen Zeitpunkt nicht ins Detail gehen.

STANDARD: Man kann davon ausgehen, dass Sie kein Fan der Abrufbeschränkung auf sieben Tage sind, vom Verbot für den ORF, Videobeiträge zunächst oder allein fürs Web zu produzieren ...

Lockl: Das stimmt so.

STANDARD: Man kann auch davon ausgehen, dass Sie einen ORF-Player für sinnvoll halten, wie er derzeit etwa mit einem Info-Kanal, einem Sport-Kanal, einem Kinder-Kanal, einem Kanal für Kultur/Wissenschaft/Bildung und mit Social-Media-Funktionen und Foren entworfen wird?

Lockl: Der ORF braucht digitale Möglichkeiten, gerade um junge Menschen zu erreichen. Wir haben gesehen, wie wichtig öffentlich-rechtliche Informationsquellen in Krisensituationen sind. Man muss aber auch im Blick haben, dass es auch zu Win-win-Situationen mit anderen Medien kommen kann. Journalismus und Medien in Österreich sind essenziell für die Gesellschaft. Da sollte man eher mehr als weniger zusammenarbeiten. Man wird es nicht allen recht machen können. Aber neue Möglichkeiten des Gesetzgebers sind essenziell mit den großen Herausforderungen der digitalen Welt. Und der Player ist da ein erster Einstieg.

STANDARD: Was haben private Medien davon?

Lockl: Wenn man kooperiert, kann eins und eins drei sein. Aber ich will mich da jetzt bewusst nicht auf einzelne Dinge festlegen. Ich bin für die ersten digitalen Schritte optimistisch, dass dem Gesetzgeber vielleicht mehr als in der Vergangenheit bewusst ist, dass der österreichische Medienstandort noch nie so herausgefordert und bedroht war wie heute. Da braucht es neue Rahmenbedingungen.

STANDARD: Nämlich?

Lockl: Mir ist wichtig, dass wir im ORF unsere Hausaufgaben machen und mit dem Geld, das wir haben, auskommen, und trotzdem Weichen in die Zukunft stellen. Dass man nicht aus den Augen verliert, dass es um den Medienstandort Österreich insgesamt geht. Dass man noch einmal klarmacht, wie wichtig der ORF und Medien insgesamt für Demokratie, Pressefreiheit und den Diskurs sind. Dass der ORF zur kritischen Infrastruktur gehört wie Telekomunternehmen, Energieversorger, Gesundheitseinrichtungen.

STANDARD: ... und auch private Medien.

Lockl: Natürlich. Es fehlt an einem Branchenbewusstsein im Mediensektor. Dem Tourismus wirft man derzeit vor, das Österreichische zu sehr zu betonen. Es würde uns in der Medienbranche nicht schaden, das Österreichische und das Europäische zu betonen und damit mehr Miteinander als Gegeneinander. (Harald Fidler, 24.6.2020)