Das Wildlederjopperl weckt eine bis dahin unbekannte Lust an der Selbstdarstellung: Jean Dujardin als manischer Jackenträger in "Monsieur Killerstyle".

Foto: Filmladen

Lex Barker trug sie als Old Shatterhand mit majestätischer Würde: eine Wildlederjacke mit Fransen an den Ärmeln. Damit machte man selbst neben einem Apachenhäuptling gute Figur. In der vegan durchwirkten Gegenwart hat das Symbol für wettergegerbte Männlichkeit aber deutlich an Schick verloren. Nach einem kurzen Revival in den 1980er-Jahren hieß es für das Modestück: Endstation Secondhand-Shop.

Auch in Quentin Dupieux’ Deerskin (deutscher Verleihtitel Monsieur Killerstyle) wirkt die Jacke lächerlich. Doch ihre Unzeitgemäßheit verleiht dem Film eine komisch-absurde Verve. Jean Dujardin (The Artist) verkörpert den Allerweltsversager Georges, der sein Cordsakko im Klo hinunterspült und damit auch die Zwänge seiner bürgerlichen Existenz. Eine Verwandlung setzt ein, sobald er das Fetischobjekt Lederjacke sein Eigen nennt. Denn das Vintage-Stück spricht zu ihm und ergreift von ihm Besitz, und wie alle großen Lieben fordert es viel: Keine andere Jacke auf der ganzen Welt soll es mehr geben. Und das meint sie todernst.

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Das ist wohlgemerkt erst die Ausgangssituation des anregend hirnverbrannten Plots von Deerskin. In seiner nicht wirklich entschlüsselbaren Logik, dieser Mischung aus Absurdität und Dada-Aktionismus, ist er charakteristisch für den wunderlichen Kosmos des 46-jährigen Dupieux, der seit Anfang der 2000er-Jahre ein eigenes Filmfach für sich geschaffen hat. Von Freunden des arrivierten Genrefilms hochverehrt, durchkreuzt er mit Filmen wie Rubber (2010), seinem ersten großen Erfolg, landläufige dramaturgische Erwartungsmuster. Dies war Dupieux’ Variation eines Splatter-Horrorfilms: Ein Riesenreifen lässt per telekinetische Kraft die Köpfe von menschlichen Hindernissen platzen. Dass es dafür keinen Grund gab, es einfach geschieht – darin liegt die Originalität. Der Nonsens regiert.

Regie-Exzentriker Quentin Dupieux.

Zumindest ansatzweise betrachtet sich Dupieux, mit langem Wuschelbart und Jeans-Hemd selbst eine markante Erscheinung, als Nachfahre der Surrealisten und deren Traumlogiken. Filme wie Realité (2014) verbinden, ähnlich einem Roman von Philip K. Dick, anscheinend beziehungslose Ebenen, da kann im Bauch eines Schweines schon einmal eine Videokassette gefunden werden. Doch er schränkt auch ein: "Die Surrealisten oder Dada, das liegt so weit zurück, dass es heute eigentlich kaum noch funktionieren kann. Für das Publikum ist es schon zu abstrakt. Meine Methode ist, besonders tief in mein Gehirn vorzudringen – als Künstler fühle ich mich vollkommen frei und kann alles infrage stellen." Das sei der große Unterschied zur Wirklichkeit, so Dupieux: "Menschen sind Gefangene, mich eingeschlossen. Wir müssen uns an Regeln halten und gehorchen den Anforderungen der Effizienz. Wer sich abkapseln will, gilt schnell als Verrückter."

Bedrohte Männlichkeit

Mit der Figur von Georges, die er ursprünglich für Tim Heidecker vom US-Komikerduo Tim & Eric geschrieben hat, wollte Dupieux einen Mann ins Zentrum rücken, der die Freiheit in seiner animalischen Seite (wieder)entdeckt. Das macht Deerskin auch zu einer komischen Variation auf Filme wie Fight Club, die um paranoide Maskulinitätsentwürfe kreisen. Bodenhaftung bleibt trotz allen Irrsinns gewahrt. Ironischerweise verfällt Georges der Idee, seinen zunehmend gewalttätigeren Ausbruch aus der Norm mit einer Videokamera zu dokumentieren. Unterstützung bekommt er dabei von einer Kellnerin (Adèle Haenel), die nur auf den ersten Blick wie ein naives Gegenüber des Tölpels erscheint.

Haenel, der Star aus Porträt einer jungen Frau in Flammen, erzählt Dupieux, habe unglaublich viele Ideen selbst in die Rolle eingebracht: "Sie hat ihre Figur kreativer und damit auch noch verrückter als Georges werden lassen." Die beiden sind eines der bizarrsten "bad couples", die das Kino der letzten Zeit gesehen hat.

Im Herzen Amateur

Mit dem Film-im-Film-Topos reflektiert Dupieux allerdings auch seinen eigenen Status als Sonderling in der Filmszene. "Ich sehe mich selbst als Amateur auf dem Gebiet des Films. Und Georges ist der absolute Amateur", stellt er fest, "er ist der schrecklichste Filmemacher, den man sich vorstellen kann. Ich mache mich über ihn lustig, aber zugleich gibt es eine experimentelle Ader in ihm, die ich schätze."

Wie Spike Jonze oder Michel Gondry, mit denen er eine Leidenschaft für spielerische Elemente teilt, arbeitete sich Dupieux mit Musikvideos beständig zur größeren Form vor – unter dem Pseudonym Mr. Oizo veröffentlicht er auch ähnlich versponnene elektronische Musik, mit Flat Beat stürmte er 1999 sogar die Charts. Filmisch will sich Dupieux in Zukunft weniger gewalttätiger geben: "Ich habe den Horrorfilm in meiner DNA, aber in meinen Filmen sterben einfach zu viele. Das fühlt sich falsch an."

In Sachen schräger Humor bleibt er sich zum Glück in seinem nächsten Projekt treu. Zwei Taugenichtse entdecken eine Riesenfliege im Kofferraum und wollen sie für unlautere Zwecke trainieren. (Dominik Kamalzadeh, 24.6.2020)