Die neue Generaldirektorin Katrin Vohland hinter einer präparierten Giraffe in der Schausammlung des Naturhistorischen Museums: "Dieses Haus lebt auch von seiner Atmosphäre – und die möchte ich unbedingt behalten."
Foto: Heribert Corn

STANDARD: Sie sind seit 1. Juni Generaldirektorin des Naturhistorischen Museums. Was waren Ihre Eindrücke in diesen ersten Wochen?

Vohland: Ich hatte gemeinsam mit dem neuen kaufmännischen Direktor einen sehr herzlichen Empfang. Und ich traf in den letzten Tagen und Wochen im Haus ständig auf sehr engagierte Mitarbeiter. Dieses Museum sowie seine Wissenschafterinnen und Wissenschafter sind ein großer intellektueller Schatz. Bei diesen Gesprächen mit den Kolleginnen und Kollegen habe ich auch viel Zuspruch für Ideen gefunden, noch enger als bisher zusammenzuarbeiten und das Haus stärker als Ganzes zu sehen.

STANDARD: Wie wollen Sie diese stärkere Einheit herstellen?

Vohland: In einem ersten Schritt wird es darum gehen, gemeinsam an einem Mission-Statement zu arbeiten. Ebenso wichtig wie das Ergebnis ist dabei der gemeinsame Prozess, sich auf diese Ziele und Schwerpunkte zu verständigen. Die globalen Nachhaltigkeitsziele werden dabei sicher ebenso eine Rolle spielen wie die Verantwortung für Österreichs biologische Vielfalt oder die wissenschaftliche Bildung der Menschen. Wichtig sind mir aber auch gemeinsame Infrastrukturprojekte wie etwa die gemeinsame Planung von Datenbanken. Das war bis jetzt eher eine Frage der einzelnen Abteilungen, aber das schwächt die Schlagkraft des Museums als Ganzes.

STANDARD: Wo steht Ihrer Meinung nach das Naturhistorisches Museum Wien im internationalen Vergleich?

Vohland: Das Haus hat eine riesige Sammlung, und das ist in den jeweiligen internationalen Communitys natürlich auch weithin bekannt. Wenn man sich allerdings internationale Museumsnetzwerke ansieht, dann spielt das Haus aber noch nicht die Rolle, die seiner Größe angemessen wäre. In Europa etwa gibt es das Konsortium der Europäischen Taxonomischen Einrichtungen (Cetaf), in dem Naturhistorische Museen zusammengeschlossen sind. Ein anderes Beispiel ist der internationale Museumsrat Icom, wo gerade debattiert wird, was ein Museum ist und was die allgemeinen Ziele von Museen sein sollten. Auch hier könnte sich das Museum verstärkt einbringen, zumal in Debatten meines Erachtens die Sammlungen eine zu geringe Rolle spielen.

STANDARD: Sammlungen sind in den letzten Jahren gerade auch im Hinblick auf mögliche kolonialistische Ursprünge in den Fokus geraten. Wie sehen Sie diese Diskussion?

Vohland: Das sind spannende, aber auch schwierige Debatten. Ich denke, dass es für ein Museum wichtig ist, sich mit der eigenen Geschichte auseinanderzusetzen. Gerade auch der Beginn der Sammlung dieses Hauses ist von den kolonialen Bestrebungen Österreichs geprägt. Was ich für etwas schwierig halte, ist die moralische Bewertung aus heutiger Perspektive – wenngleich es natürlich Dinge gab, die schon damals nicht in Ordnung waren. Offensichtlich ist auch, dass diese Geschichte Menschen in den betroffenen Ländern bis heute belastet und dass sie in bestimmten globalen Strukturen bis heute weiterwirkt. Mir ist es ein Anliegen, diese Selbstreflexion im Haus stärker als bisher zum Thema zu machen. Das ist auch wichtig, um glaubwürdig in die Zukunft gehen zu können.

STANDARD: Was haben Sie in Zukunft bei der Dauerausstellung vor?

Vohland: Thematisch ist da die Botanik aktuell gar nicht repräsentiert, was sich unbedingt ändern sollte. Wo der Botaniksaal hinkommt, ist aber noch offen. Es gibt sicher noch Bereiche in den Dauerausstellungen, wo man etwa interaktivere Sachen machen könnte – zusätzlich zum bisherigen Angebot und wohl auch etwas einheitlicher als bisher. All das braucht aber längere Vorlaufzeiten. Zudem gibt es noch einige geplante Ausstellungen, die zuerst noch umgesetzt werden.

STANDARD: Die überwiegende Anzahl der Schausäle ist durch die traditionellen Vitrinen bestimmt. Soll sich daran etwas ändern?

Vohland: Bei den neueren Sälen ist das zum Teil ja nicht mehr so. Aber grundsätzlich kann es durchaus Lerneffekte haben, wenn man etwa vor einer Vogelvitrine steht und sieht, welche Vielfalt es etwa bei den heimischen Singvögeln gibt. Man muss da bei Änderungen aber sicher sehr vorsichtig umgehen, denn das Haus lebt auch von seiner Atmosphäre – und die möchte ich unbedingt behalten, denn das ist sicher ein Grund, warum viele Besucherinnen und Besucher kommen. Grundsätzliches Ziel sollte es sein, in den Ausstellungen insgesamt noch stärker die aktuelle Forschung im Haus zu zeigen.

STANDARD: Könnte auch die lebendige Natur Einzug halten, wie das unter Ihrem Vorvorgänger Bernd Lötsch der Fall war?

Vohland: Ich denke, dass die Tiere im Zoo besser aufgehoben sind. Aber wir haben mit Petronell eine Außenstation, wo ökologische Forschung betrieben wird und auch eine Reihe von Bildungsprogrammen stattfinden. Das Haus kann sicher stark von solchen Kooperationen profitieren, die eine Verbindung von der taxonomischen und genetischen Forschung im Haus und dem Freiland herstellen.

STANDARD: Ihr Vorgänger Christian Köberl trat vor zehn Jahren an, das Forschungsprofil des Hauses zu stärken. Ihm ist in der Zeit auch gelungen, die Drittmittel zu verdreifachen. Welche Ziele haben Sie in dem Bereich?

Vohland: Das möchte ich auf jeden Fall fortsetzen, und darauf kann man gut aufbauen. Herr Köberl hat sich auch sehr stark dafür eingesetzt, dass es jetzt Labore am Museum gibt, worüber ich ebenfalls sehr froh bin. Am Museum für Naturkunde in Berlin, wo ich herkomme, ist der Anteil an Drittmitteln noch höher, was auch damit zusammenhängt, dass dort weniger Mitarbeiter fest angestellt sind. Die Einwerbung von Drittmitteln ist aber auch wichtig, um ganz neue Forschungsfelder zu erschließen. Ein Problem scheint mir dabei aber, dass etwa der Forschungsfonds FWF nicht allzu gut dotiert ist, und die Konkurrenz um diese Gelder ist in den letzten Jahren sehr groß geworden ist.

STANDARD: Diese Forschungsagenden fallen ins Wissenschaftsministerium, als Museum gehören Sie zum Kulturministerium. Ist das nicht ein Problem?

Vohland: Das kann ich noch nicht sagen. Ich hoffe, dass das nur eine Verwaltungsfrage ist, und womöglich bietet das auch Chancen, etwa um zusätzliche Mittel einzuwerben. Die Sammlung wurde ja ursprünglich angelegt, weil sie auch wirtschaftlich interessant war – Stichwort: Bodenschätze und Bergbau. Womöglich kann man etwa auch das Wirtschaftsministerium für Workshops mit kleinen und mittleren Unternehmen zu Fragen des Lernens von der Natur oder zum Umgang mit Ressourcen interessieren. Wir können aber natürlich auch viel zum Politikfeld Bildung beitragen.

STANDARD: Ihren Vorgängern ist es gelungen, die Besucherzahlen auf zuletzt rund 840.000 im Jahr zu steigern. Wie sehen Ihre diesbezüglichen Ziele aus?

Vohland: Diese Zahl wird 2020 wegen der Corona-Krise sicher nicht zu schaffen sein, weil das Haus monatelang geschlossen hatte und die Besucherzahlen noch nicht da sind, wo sie Anfang März waren. Und bis Touristen kommen, wird es noch dauern. Dazu sind viele Vermietungen ausgefallen. Man kann im Naturhistorischen Museum ja auch wunderbar Hochzeit feiern oder andere Events abhalten. Ich möchte möglichst bald Besucheranalysen machen, um herauszufinden, welche Besucher ins Museum kommen und warum. Wenn wir die Besucherzahlen, aber auch die Erlebnisqualität der Besuche weiter steigern wollen, müssen wir jedenfalls auch in die Infrastruktur investieren. Das bedeutet etwa eine Verlängerung der Öffnungszeiten oder zusätzliche Bildungsprogramme.

STANDARD: Welche Rolle spielen in Ihren Vorstellungen die Kinder, die etwa die Hälfte der Besucher ausmachen?

Vohland: Die stellen natürlich eine wichtige Gruppe dar, und je früher sie mit der Natur und der Wissenschaft in Kontakt kommen, desto besser. In dem Bereich kann ich mir etwa vorstellen, noch intensiver und kontinuierlicher mit Schulen zusammenzuarbeiten, um auch in dem Bereich die Lerneffekte zu vertiefen.

STANDARD: Einer Ihrer bisherigen Schwerpunkte war Citizen Science, also Wissenschaft mit Bürgerinnen und Bürgern. Wie wird sich das im Museum niederschlagen?

Vohland: In dem Bereich gibt es bereits etliche Bemühungen am Museum. Ich denke, dass diese Aktivitäten noch stärker vernetzt und professionalisiert werden könnten. Aber auch hier wird eine Evaluierung wichtig sein – um einerseits die wissenschaftliche Qualität sicherzustellen. Andererseits muss man sich anschauen, was die Bürgerwissenschafterinnen und -wissenschafter davon haben. Für diese Aktivitäten wird das neue Deck 50 im obersten Raum des Museums, das im November eröffnet werden soll, eine neue Plattform bieten. (Klaus Taschwer, 24.6.2020)