Die von Klaudia Tanner (ÖVP) anvisierte Bundesheerreform, die unter anderem eine Abkehr von der Landesverteidigung vorsah, hatte am Mittwoch ein ernstes Nachspiel: Gemäß STANDARD-Informationen soll die Verteidigungsministerin von Bundespräsident und Oberbefehlshaber Alexander Van der Bellen für eine Aussprache zur Zukunft des österreichischen Militärs um Punkt 14 Uhr "einberufen" worden sein. "Er ist stinksauer", hieß es dazu hinter vorgehaltener Hand aus Parlamentskreisen.

Schon kurz nach Mittag ruderte Tanner via Aussendung zurück: Sie relativierte jüngste Aussagen ihrer Ressortführung, dass die Landesverteidigung kein militärischer Schwerpunkt mehr sei. Diese bleibe "im völligen Einklang mit der Bundesverfassung" Kernaufgabe, so die Ministerin. Nach dem Rapport beim Staatsoberhaupt wollte sie am Abend ihre Reformideen nur mehr als "Startschuss für einen Prozess zur Weiterentwicklung des Bundesheeres" verstanden wissen – zum vertraulichen Gespräch selbst erteilten freilich weder Van der Bellen noch Tanner nähere Auskünfte.

Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP) bei ihrer Amtsübernahme: Ihre geplanten Umbauten beim Bundesheer ohne Rücksprache sorgen für Aufregung.
Foto: APA / Herbert Pfarrhofer

Hintergrund: Ihr Amtsvorgänger Thomas Starlinger, nun wieder Adjutant des Bundespräsidenten, hatte im Vorjahr auch den zusätzlichen Budgetbedarf des finanzmaroden Bundesheers errechnen lassen, um seinen Aufgaben nachkommen zu können – an die 17 Milliarden Euro. Weil Türkis offenbar ohne Rücksprache mit dem Staatsoberhaupt nicht nur eine der verfassungsrechtlich verankerten Aufgaben des heimischen Militärs streichen wollte, gilt in der Hofburg wohl auch das drastische Sparprogramm von Tanner als höchst umstritten. Ginge es nach der ÖVP allein, sollte sich das Bundesheer künftig auf Assistenzeinsätze, Katastrophenschutz, Cyberdefence und ABC-Abwehr konzentrieren, in Ernstfällen könne ja auch wieder die Miliz, wie aktuell während der Pandemie, mobilisiert werden.

Opposition auf 180

Wie berichtet stieg die rot-blau-pinke Opposition wegen alledem bereits auf die Barrikaden: Denn nach dem parteiübergreifenden Bekenntnis vom letzten Sommer, mehr Mittel für das Militär zur Verfügung zu stellen, sollen jetzt am Parlament vorbei grundlegendste Veränderungen beim Bundesheer vorgenommen werden – und erst recht wieder Einsparungen. Für Freitag luden SPÖ, FPÖ und Neos deshalb in seltener Eintracht zu einer Pressekonferenz, um ihre Vorhaben gegen Tanners Pläne zu verkünden – zuletzt war die Rede von einem Zusammentrommeln des Nationalen Sicherheitsrats, aber von auch einer möglichen Sondersitzung des Nationalrats.

Tanners Reformbestrebungen widersprechen nicht nur den Berechnungen ihres Vorgängers Starlinger, auch ihr blauer Vorvorgänger Mario Kunasek, steirischer FPÖ-Chef und mittlerweile Klubobmann im Landtag, übt harsche Kritik. Denn schon seit März zirkuliert ein zwölfseitiges Papier aus ihrem Generalsekretariat mit dem Titel "Vision Landesverteidigung 2020", das unter Punkt "1.1.1 Konventionell geführter militärischer Angriff auf Österreich" festhält: Ein solches Szenario sei "aus der unmittelbaren Umgebung nicht zu erwarten. (…) Ein konventionell geführter militärischer Angriff ist daher – ausgenommen auf dem Luftweg – als sehr gering einzuschätzen." Bedrohungen durch nukleare Mittelstreckenraketen könnten "zwar nicht ausgeschlossen werden", heißt es in der dem STANDARD vorliegenden Passage weiter, aber: "Auch in diesem Fall würde jedoch der Schutz über den Nato-Verbund auch für Österreich gewährleistet werden."

Dazu Ex-Minister Kunasek in Anspielung auf Österreichs Neutralität, die vom Bundesheer ebenfalls sicherzustellen ist: "Damit bewegt sich die ÖVP nicht mehr im Verfassungsbogen." Zudem ortet er "auf europäischer Ebene eine Trittbrettfahrerei", die die ÖVP hier betreiben wolle.

Zum Fremdschämen

Anstatt im Sinne einer gemeinsamen EU-Sicherheitspolitik vor allem an den Grenzen der Union wie etwa auf dem Balkan für Stabilität einzutreten, wolle die türkise Kanzlerpartei das Bundesheer auf Inlandsaufgaben reduzieren. Kunaseks Fazit: "Wenn ich als Verteidigungsminister mit dieser Idee aufgetreten wäre, dann hätte ich mich in der EU schämen müssen."

Und Wolfgang Baumann, Präsident des parteiunabhängigen Kuratoriums für umfassende Landesverteidigung und einst Generalsekretär unter Kunasek, sagt: Wenn der Kanzler in der Corona-Krise erkläre, dass Geld keine Rolle spiele, "dann müsste für das Bundesheer doch auch mehr drin sein". Zur Sicherheitslage merkt er an, dass es durchaus richtig sei, sich auf die wahrscheinlichsten Bedrohungen einzurichten – aber da müsse man eben beachten, dass das Umfeld Österreichs noch nie so instabil gewesen sei wie heute: "Wir erleben eine Zeitenwende."

Auch Grünen-Wehrsprecher David Stögmüller will in den nächsten Tagen mit der vom Koalitionspartner ÖVP gestellten Ministerin das Gespräch suchen. Am Mittwoch erklärte er per Aussendung zu ihren Plänen: Das Bundesheer habe laut Verfassung die Verantwortung für die Landesverteidigung. "Das bedeutet nicht nur, dass es bei Katastrophen wie der Covid-19-Krise einsatzbereit ist, sondern auch, dass es zum Beispiel unseren Luftraum überwacht, bei Cyberattacken unterstützen kann und unseren europäischen Partnern bei Auslandseinsätzen zur Seite steht." (Nina Weißensteiner, Conrad Seidl, red, 25.6.2020)