Was motiviert Studierende, sich in der Corona-Krise neben Distance Learning für die Gesellschaft zu engagieren? Und wie ist das vereinbar? Der STANDARD hat sich bei vier jungen Menschen umgehört:

Auf dem Spargelhof die Uni-Blase verlassen

Philosophiestudentin Sophia Küstenmacher bei der Spargelsortierung.
Foto: Wilkinson

Als Philosophiestudentin wird man oft als realitätsfern abgestempelt. Wenn ich erzähle, dass ich derzeit auf dem Bauernhof arbeite, ist die Resonanz viel positiver, als wenn ich vom Studium berichte", sagt die 22-jährige Sophia Küstenmacher. Gemeinsam mit Georgia Wilkinson arbeitet sie seit April zwei bis drei Tage pro Woche als Erntehelferin auf einem Spargelhof in der Umgebung von Leipzig. Wilkinson studiert im Master European Studies. Die 23-Jährige war auf Erasmus in Paris, als sich im März der Lockdown abzeichnete und sie in ihre Heimatstadt zurückkehrte. Um die Zeit der Selbstisolation mit mehr Struktur zu füllen und Geld zu verdienen, entschied sie sich für den Erntejob zum Mindestlohn von 9,35 Euro pro Stunde. Geboren und aufgewachsen in Australien, verband sie eigentlich recht wenig mit dem Gemüse: "Bei uns gibt es keinen weißen Spargel."

Georgia Wilkinson, geboren und aufgewachsen in Australien, lernte erst in Deutschland weißen Spargel kennen.
Foto: Küstenmacher

Zu Beginn der Corona-Krise sprossen Plattformen aus dem Boden, die Bauernhöfe in Not mit potenziellen Erntehelfern vernetzen sollen. Die Feldarbeit, die bisher meist von osteuropäischen Saisonarbeitern erledigt wurde, bekam ein neues, solidarisches Framing. Auch Küstenmacher, die zuvor in einer PR-Agentur jobbte, romantisierte anfangs die Arbeit – bei mehreren Stunden Kistenschleppen und Spargelsortieren stellte sich aber ein gewisser Trott ein. Trotzdem sei es "gut zu sehen, wie Lebensmittel hergestellt werden". In der Spargelsortierung werden die frisch gestochenen Stangen gewaschen und nach Länge und Dicke in Güteklassen sortiert. Ist eine Stange krumm gewachsen oder beschädigt, landet sie im Kompost. "Es ist schon heftig, wie viel wegen Konsumentenvorstellungen aussortiert wird", sagt Wilkinson.

Dass sie mit ihrer Arbeit im Dienst der Gesellschaft stehe, denkt sie nicht: "Ich fühle mich eher als kleines Rädchen in der riesigen Maschine namens Spargelbusiness." Dennoch gefalle ihr die Arbeit. In erster Linie deshalb, weil sie so "aus der Uni-Blase rauskommt". Auch Küstenmacher sieht den Job pragmatisch: "Ich fühle mich nach der Schicht auf dem Hof besser als nach einer als PR-Texter-Arbeit." Ein weiterer Vorteil: Man kann die Arbeitszeiten selbst wählen und so Onlinekurse mit ihr gut vereinbaren. (datif)

Tagsüber Sonderzivildienst, abends lernen

Bis Ende Juli ist Lehramststudent Christoph Fischer noch im Sonderzivildienst beim Roten Kreuz.
Foto: Rotes Kreuz Marchtrenk

Als Mitte März die Uni geschlossen wurde, die Kurse ins Netz verlagert wurden und er sein Unterrichtspraktikum per Fernlehre absolvieren musste, telefonierte Christoph Fischer mit seinem Chef beim Marchtrenker Roten Kreuz. Seit fünf Jahren engagiert sich der 22-Jährige als Sanitäter. Nun wurden Jüngere gesucht, die in Corona-Zeiten einsatzbereit sind, der Lehramtsstudent für Chemie und Geografie wollte unterstützen: "Ich habe mich entschieden, beim Roten Kreuz zu helfen, und nun hatte ich die Möglichkeit, in einer speziellen Situation mitzuwirken." Die Tätigkeit bei der Rettung habe sich verändert – auch wenn es die Covid-Teams mittlerweile nicht mehr gebe. "Egal was ist, als Erstes messen wir Fieber, es gibt keine Doppeltransporte. Überall ist Vorsicht geboten", sagt Fischer. Auch bei den Patienten: "Anfangs gingen die Notrufe, die eigentlich ein Fall für Hausärzte sind, zurück. Die Leute wollten nur, wenn’s nötig war, ins Spital."

Nach ein paar Wochen im Dienst meldete sich Fischer für den Corona-bedingten Sonderzivildienst von Mai bis Juli – und wurde jener Stelle zugeteilt, für die er seit Jahren arbeitet. Ein Glück: "Mein Chef teilt mich so ein, dass Job und Uni vereinbar sind." Bei drei Kursen muss er nämlich virtuell anwesend sein. Ginge das nicht, würde er im Studium "deutlich zurückgehaut werden". Pro Woche ist Fischer 48 Stunden im Einsatz. Das sind drei Zwölf-Stunden-Schichten und mehrere Nachtdienste. Danach lerne er für die Uni. Das sei "schon stressig", viel Freizeit bleibe nicht.

Denn trotz Distance Learnings werde einiges gefordert, man müsse "gescheit dahinter sein, dass man keinen Nachteil hat, wenn man sich für die Gemeinschaft engagiert. Es ist nicht so, dass man dafür von der Uni einen Preis bekommt", sagt Fischer. Zwölf ECTS-Punkte kann er sich für freie Wahlfächer anrechnen lassen. Weitere Benefits aus seiner Sicht: "Die Arbeit ist abwechslungsreich und gut bezahlt, und wegen des Zeitdrucks, bin ich viel effizienter geworden." (set)

Im Spital für später lernen

Rebekka Piekenbrock, Medizinstudentin, führt seit April Corona-Tests durch und geht Ärztinnen und Krankenpflegern zur Hand.
Foto: privat

Die Freude und das Gefühl, gebraucht zu werden, gerade in Zeiten des Lockdowns – das motivierte die Medizinstudentin Rebekka Piekenbrock, sich freiwillig für den Einsatz in der ersten Reihe zu melden. Seit April arbeitet die 21-Jährige in einem mobilen Abstrichzentrum und in einem Spital in Aachen. Bereits Mitte März wurde von Studierenden in Österreich und Deutschland die Plattform Match4HealthCare gegründet, die Medizinstudierende mit Kliniken in Personalnot vernetzen soll. Die Solidarität mit den überlasteten Krankenhäusern war groß, es gab mehr Freiwillige als Stellen. Das zeige auch, dass ihre Generation viel besser sei, als ihr "apathischer, ich-zentrierter Ruf", sagt Pieckenbrock.

In den ersten Tagen seien die Zustände im Spital chaotisch gewesen: "Ärzte, Patienten und Besucher haben Masken und Desinfektionsmittel gestohlen." Piekenbrock ist froh, dass es nicht zu Extremsituationen wie in Italien gekommen ist. "Mittlerweile wird langsam wieder auf Regelbetrieb umgestellt", erzählt sie. Bis Ende Juni nimmt sie Abstriche und geht Ärztinnen und Krankenpflegern zur Hand. Auch in Altersheimen, wo Bewohner systematisch getestet werden, ist sie im Einsatz. "Die würden mich am liebsten dabehalten." Viele seien quasi eingesperrt gewesen und durften lange niemanden sehen. Zuspruch und ein kurzes Gespräch helfe den Menschen gegen die Einsamkeit, sagt die 21-Jährige, die nach dem Studium in der Kinder- und Jugendheilkunde arbeiten möchte.

Was sie im Job jetzt erlebt, habe ihr vorher im Studium oft gefehlt: praktische Erfahrung und Patientenkontakt. Auch habe sie gelernt, wie man im Team zügig arbeitet und in einer Krisensituation kühlen Kopf bewahrt. Der Teilzeitjob und das Studium seien eine Doppelbelastung, sagt Piekenbrock. Für die Uni lernt sie nach Schichtende oder an freien Tagen. Und nach ein wenig Anlaufzeit funktionierte auch die Fernlehre einigermaßen. Leben und Studieren in den eigenen vier Wänden empfindet Piekenbrock dennoch als Belastung, zu der die Einsamkeit der Isolation dazukommt. Sie brauche den Austausch mit anderen und vermisse Laborübungen und Präsenzunterricht. (datif)