Viele Kranke in der Provinz Ostkap.

Um öffentliches Lob zu hören, müssen die Konzernmanager aus Wolfsburg derzeit in die Ferne lauschen, etwa nach Südafrika. Dort wurden die deutschen Autobauer kürzlich in einer der regelmäßigen TV-Ansprachen des Staatspräsidenten Cyril Ramaphosa als vorbildlich hervorgehoben: Das in Uitenhage bei Port Elizabeth angesiedelte Volkswagen-Werk hatte die Bereitstellung einer alten Fabrikanlage als provisorisches Feldlazarett für mehr als 3.000 Covid-19-Erkrankte angekündigt. Mit zusätzlichen öffentlichen Geldern aus Deutschland und Südafrika wurde das Corona-Krankenhaus innerhalb von sieben Wochen eingerichtet. "Ich dachte, so etwas sei nur in China möglich", sagte Oscar Mabuyane, der Premierminister der Ostkap-Provinz, bei der Eröffnung der Klinik am Dienstag.

Der Zeitpunkt hätte nicht besser gewählt sein können. Seit einigen Tagen entwickelt sich die Region um die Nelson Mandela Bay, die Heimatprovinz des südafrikanischen Politidols, immer mehr zu einem Herd der Pandemie am Kap der Guten Hoffnung: Während das Westkap und die Touristenhochburg Kapstadt derzeit dem Zenit der exponentiellen Ansteckungswelle entgegenfiebern, hat das Virus jetzt die benachbarte Provinz in Angriff genommen. Im Ostkap hat sich die Zahl der Infizierten in den vergangenen zehn Tagen verdoppelt: Gegenwärtig sind mehr als 18.000 Angesteckte registriert, 331 bereits gestorben.

Noch immer liegt das Westkap mit über 50.000 Infizierten und mehr als 1.500 Todesopfern an der Spitze des fast 60 Millionen Einwohner zählenden Staates – genau wie das gesamte Land mit über 100.000 Angesteckten und mehr als 2.100 Toten mit weitem Abstand an der Spitze des Kontinents liegt. Auch Experten wundern sich, warum Afrika, wo 17 Prozent der Weltbevölkerung leben, mit weniger als fünf Prozent der Infizierten bislang so glimpflich weggekommen ist. Doch das Beispiel Südafrika legt nahe, dass das lediglich eine Frage der Zeit ist. "Wir reiten in einen vernichtenden Sturm", übt sich Gesundheitsminister Zweli Mkhize in Untergangspoesie.

Südafrikas Sorgenkind

Das Ostkap war schon vor der Virenattacke Südafrikas Sorgenkind: Die Provinz umfasst die ehemaligen schwarzen "Homelands" Transkei und Ciskei und lebt von kleinflächiger Landwirtschaft, ohne die Volkswagen- und Mercedes-Fabriken wäre das Ostkap vollends ein hoffnungsloser Fall. Das Gesundheitssystem steht hier schon seit Jahren vor dem Kollaps, baufällige Krankenhäuser müssen zumindest vorübergehend geschlossen werden, derzeit sind fast 800 Gesundheitskräfte der Provinz mit Covid-19 krankgeschrieben, in mehreren Spitälern würden auch schon Kranke abgewiesen, berichtet Lungile Pepeta, der Dekan der Medizinischen Fakultät der Nelson-Mandela-Universität.

"Meine größte Sorge sind die Pflegekräfte", fährt Lepeto fort. "Schutzkleidung kann man kaufen. Aber wo sollen wir Ärzte herholen?" Das Volkswagen-Krankenhaus in Uitenhage braucht zu seinem Betrieb mindestens zwölf Ärzte und 40 Pflegekräfte: Wo die herkommen sollen, weiß die Provinzregierung bislang nicht zu sagen.

Für insgesamt 440 Millionen Rand (gut 22 Millionen Euro) flog die südafrikanische Regierung bereits vor Wochen eine 187 Personen starke "Gesundheitsbrigade" aus Kuba ein. Mit dem Karibikstaat verbindet den regierenden Afrikanischen Nationalkongress eine historische Schuld, weil kubanische Truppen einst in Angola gegen die Apartheidregierung kämpften. Die Gesundheitsbrigade kommt vor allem im West- und Ostkap zum Einsatz, ihre Effizienz ist allerdings umstritten, offenbar ist allein die Sprachbarriere problematisch.

Lockdown wird allmählich aufgehoben

Doch nicht alles am Ostkap ist aussichtslos. So hat die Gesundheitsbehörde die Umlaufzeit der Corona-Tests zu halbieren verstanden: Jetzt müssen Getestete nur noch zwei Tage auf die Ergebnisse warten. Doch am besten haben Akademiker, Farmer, Studenten und Gesundheitsaktivisten die Zeit genutzt. Sie stellten im Ostkap ein einzigartiges, über Whatsapp betriebenes Netzwerk auf die Beine, mit dem der ständige Kontakt zur ländlichen Bevölkerung hergestellt wird.

Die Kommunikation findet auf Xhosa, der Sprache der schwarzen Einheimischen, statt: Sowohl mit Text- wie Sprachbotschaften werden die Landbewohner über die Pandemie auf dem Laufenden gehalten. In Afrika weiß man von früheren Epidemien, was das Wichtigste im Kampf gegen die Viren ist: dass man das Einverständnis und die Kooperation der Bevölkerung gewinnt. Da der Lockdown derzeit aus rein wirtschaftlichen Gründen allmählich aufgehoben wird, bleibt es den Südafrikanern selbst überlassen, für ihr Wohlbefinden zu sorgen. "Jeder Einzelne muss radikal umdenken", warnt Gesundheitsminister Mkhize. (Johannes Dieterich aus Johannesburg, 25.6.2020)