Gerade beim Thema Verkehr werden die Bruchlinien zwischen SPÖ und Grünen vor der Wien-Wahl immer sichtbarer.

Foto: APA / Herbert Neubauer

Wien – Die koalitionäre Eintracht in der Wiener Stadtregierung zwischen der SPÖ und den Grünen ist schon länger nicht mehr gegeben. Im Vorfeld der Wahl im Herbst wird aber immer offensichtlicher, dass vor allem beim Thema Verkehr ein heftiger Streit zwischen den Koalitionsparteien entbrannt ist. Die Bruchlinien können nicht mehr verdeckt werden: So machte Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) klar, dass für ihn das grün-türkise Projekt einer verkehrsberuhigten Innenstadt inklusive Einfahrtsverbot noch nicht durch ist. Ludwig fordert von Vizebürgermeisterin Birgit Hebein (Grüne) die Einbeziehung der Nachbarbezirke und ein Gesamtkonzept.

Hebeins Vorstoß von Pop-up-Radwegen wollen die Roten überhaupt den Garaus machen: Im Bezirksparlament Leopoldstadt wurde ein roter Antrag auf Abschaffung der temporären Radwege etwa in der Prater- und Lassallestraße angenommen. Hier machten SPÖ, FPÖ und ÖVP gemeinsame Sache. Auch in der Donaustadt sprach sich die Bezirks-SPÖ mit der Opposition gegen die grünen Pop-up-Radwege aus. Stadtchef Ludwig meinte am Mittwoch im Gemeinderat, nach einer Probephase im Sommer über die Projekte entscheiden zu wollen. Einem Pop-up-Radweg am Ring erteilte er eine Absage.

Die Gräben zwischen Rot und Grün sind freilich tiefer. So konnten sich beide Parteien nach STANDARD-Informationen nicht auf ein Update des Fachkonzepts Mobilität einigen. Das Konzept, das 128 Seiten umfasst und Verkehrsziele bis 2025 festschreibt, wurde im Dezember 2014 im Gemeinderat beschlossen.

Verhandlungen zu Fachkonzept Mobilität gescheitert

Schon damals wurden Ziele wie die Zurückdrängung des Autoverkehrs, der Ausbau der Öffis, die Umnutzung von Straßenflächen oder die "temporäre Öffnung von Straßen für aktive Mobilität" formuliert. Zu einem Update angesichts des voranschreitenden Klimawandels und heißer Sommer kommt es vorerst aber nicht.

Laut dem grünen Klubchef David Ellensohn hätte die Fortschreibung nach monatelangen Verhandlungen diese Woche im Gemeinderat beschlossen werden sollen. "Vor der Wahl wird das jetzt nichts mehr", meinte Ellensohn. Der rote Klubchef Josef Taucher bestätigte, dass es zu keinem Kompromiss gekommen sei. Gescheitert sind die Gespräche gleich an mehreren Punkten.

· Parkpickerl: Die Grünen peilen bei der Reform des Parkpickerls hin zu einem Wien-weiten Modell klar ein Zonenmodell und eine Tarifstaffelung an. Details werden noch keine genannt, aber selbst die beiden Wörter wollte die SPÖ im Update des Schriftwerks nicht akzeptieren. "Es ist schwierig, das ohne vorliegendes Konzept mitzutragen", meinte Taucher dazu.

· Parkplätze: Die Grünen wollen schrittweise zehn Prozent der Parkplätze in der Stadt umwandeln und von Schräg- auf Längsparken umstellen. Die SPÖ trägt die pauschale Umwandlung von Schrägparkplätzen nicht mit, sie würde aber breitere Gehwege, Baumpflanzungen und mehr Radabstellplätze unterstützen.

· Tempo 30: Geht es nach den Grünen, soll der Ansatz bei Geschwindigkeitsbegrenzungen umgedreht werden: Grundsätzlich soll Tempo 30 gelten, Ausnahmen bei großen Durchzugsstraßen sollen angezeigt werden. Schon jetzt gilt abseits der Autobahnen auf zwei Dritteln der Straßen in Wien Tempo 30. Die SPÖ will nur Tempo 30 in Wohngebieten mit Ausnahme von Straßen mit Öffis.

· Schulstraßen: Auch hier gibt es keinen Kompromiss. Laut den Grünen sollen Schulstraßen Standard vor Volksschulen werden, bis 2021 hätte man diese gerne vor jeder zehnten Volksschule. Damit verbunden ist ein 30-minütiges Fahrverbot vor Unterrichtsstart. Für Taucher stehe Sicherheit vor Schulen an erster Stelle. "Schulstraßen sind aber nicht überall ein geeignetes Konzept."

· Bezirke: Die SPÖ wünscht sich im Update zum Fachkonzept mehr Einbindung der Bezirke, bei Umsetzungen sei eine enge Abstimmung und Mitsprache der Bezirke wesentlich, meinte Taucher. Die Grünen sprechen sich gegen einen derartigen Passus aus.

Um allein die schon 2014 im Fachkonzept festgeschriebenen Ziele bis 2025 zu erreichen, ist Eile geboten: So soll der Anteil des motorisierten Individualverkehrs im Modal Split von aktuell 25 auf 20 Prozent sinken. Das geht nur durch Attraktivierung des Fußgänger-, Rad- und Öffi-Angebots. "Die SPÖ war schon progressiver, sie bremst und macht Retro-Verkehrspolitik", kritisiert Ellensohn. Taucher spricht von "Pop-up-Wahlkampfgeplänkel. Nach der Wahl am 11. Oktober wird weiter verhandelt." Zusatz: "Mit wem auch immer. Aber ich arbeite gerne mit den Grünen." (David Krutzler, 24.6.2020)