Ein halbes Jahr nach dem ersten Auftreten des Coronavirus ist vieles noch unklar und rätselhaft an dieser Krankheit. Aber dank der schmerzhaften Erfahrungen der vergangenen Monate wissen wir heute deutlich mehr als damals – vor allem, was Staaten im Kampf gegen das Virus richtig und was sie falsch machen können.

Wir wissen, wie wichtig ein schneller Lockdown war – da haben wenige Tage einen großen Unterschied gemacht. Aber wir wissen inzwischen auch, dass selbst die härtesten Maßnahmen nichts bringen, wenn sie zu früh gelockert werden. Es reicht nicht, dass die Fallzahlen sinken; die absolute Zahl an Covid-19-Erkrankten muss so niedrig sein, dass jede neue Infektion zurückverfolgt werden kann.

Das ist in Österreich der Fall, weshalb die Lockerungen bisher gerechtfertigt waren und auch die jüngsten Erleichterungen ein geringes Risiko darstellen. Anderswo hat die Ungeduld der Politik, die Wirtschaft möglichst schnell wieder hochzufahren, alle frühen Erfolge zunichtegemacht – nicht nur in Donald Trumps Amerika, sondern auch in weiten Teilen Lateinamerikas, in Indien und in Russland.

Wegwerfen sollte man Masken noch nicht.
Foto: imago/Steinach

Wir wissen, dass die Maßnahmen von der Bevölkerung mitgetragen werden müssen. Übermäßige Härte zu Beginn kann kontraproduktiv sein, wenn sie die Menschen demotiviert und Widerstand hervorruft. Das war etwa in Israel der Fall, wo das Ende des Lockdowns eine gefährliche zweite Welle ausgelöst hat.

Virenschleuder

Wir wissen, dass die Ansteckungsgefahr im Freien geringer ist als in geschlossenen Räumen, solange ein gewisser Abstand eingehalten wird. Die antirassistischen Massenproteste in den USA und Europa dürften ohne gröbere Folgen geblieben sein, auch weil viele Demonstranten Masken trugen; das Gedränge der Tennisstars mit ihren Fans bei Novak Djokovics unsinnigem Adria-Turnier erwies sich hingegen als Virenschleuder.

Auch bei einem mehrstündigen geselligen Clubabend in bester Salzburger Gesellschaft ist die Infektionsgefahr höher als gedacht. Gemeinsames Singen, Tanzen, laute Unterhaltung – all das bleiben leider Risikoaktivitäten.

Und nicht nur das Beispiel Tönnies zeigt, wie wichtig es ist, auf marginale Gruppen zu achten – seien es Schlachthofarbeiter in Nordhein-Westfalen und dem Mittleren Westen der USA, Gefängnisinsassen oder Wanderarbeiter und die Bewohner städtischer Slums in armen Ländern. Dass Österreich bisher so gut abgeschnitten hat, liegt auch an der vergleichsweise hohen sozialen Kohäsion in der Gesellschaft. Aber auch bei uns gibt es sozial schwache Gruppen, auf die allzu leicht vergessen wird.

Welche Gefahr von offenen Kindergärten, Schulen und Unis ausgeht, ist bis heute unklar; ebenso welche Folgen Urlaubsreisen in diesem Sommer haben werden. Man kann wohl fix damit rechnen, dass die Corona-Zahlen auch in Österreich wieder steigen werden. Aber wenn Politik und Gesellschaft die richtigen Lehren aus der ersten Welle ziehen, dann sind sie für die zweite Welle besser gerüstet. (Eric Frey, 24.6.2020)