Das Ernst-Kirchweger-Haus in Wien-Favoriten. Am Donnerstagabend versuchten Rechtsextreme in das Haus einzudringen.

Foto: der Plankenauer/CL

Bereits am Mittwoch war eine Kundgebung gegen Gewalt an Frauen, die von kurdischen und linken Aktivisten veranstaltet wurde, von Rechtsextremen gestört worden.

Wien – Einen Tag nach Tumulten bei einer Kurdendemo in Wien-Favoriten ist die Lage am Donnerstagabend nach einer linken Protestkundgebung in demselben Grätzl erneut eskaliert. Mitglieder der rechtsgerichtenen Grauen Wölfe – in sozialen Medien ist von rund hundert Personen die Rede – griffen in der Wielandgasse Demonstrierende an. Die Anhänger der türkisch-nationalistischen Gruppierung setzten Böller ein und warfen unter anderem auch mit Steinen. Laut Polizeisprecher Paul Eidenberger war die Protestkundgebung zunächst weitgehend friedlich verlaufen, Angriffe auf die Kundgebung, die kurdische und linke Aktivisten veranstaltet hatten, wurden dann von der Polizei unterbunden.

Dass es sich um Sympathisanten der Grauen Wölfe handelte, wollte die Exekutive am Freitag offiziell nicht bestätigen. Zuvor twitterten jedoch Demonstranten und linke, antifaschistische Aktivisten, dass mehrere hundert türkische Faschisten das Ernst-Kirchweger-Haus (EKH) attackiert hätten, und schrieben diese Angriffe den Grauen Wölfen zu. Im EKH ist neben mehreren linken Kultur- und Politinitiativen auch der linke türkische Verein ATIGF untergebracht.

Die Polizei reagierte laut Berichten mit leichter Verspätung, setzte dann aber erneut ein Großaufgebot ein, um die beiden Gruppen zu trennen. Bis zum Ende der Demo kurz vor 20 Uhr wurde der Demozug laut Polizei "immer wieder beworfen und provoziert". Die kurdischen Teilnehmer seien von den Polizeikräften noch zu den U-Bahnen geleitet worden und "entfernten sich großteils vom Viktor-Adler-Markt".

Der Exekutive zufolge entwickelten sich danach "immer wieder Brennpunkte" in Favoriten, "in denen sich türkische Jugendliche zusammenrotteten", wie es in der Aussendung der Polizei hieß. Polizeikräfte seien mit pyrotechnischen Gegenständen, Pflastersteinen und Eisenstangen attackiert worden. Die Lage hatte sich gegen 22.30 Uhr wieder beruhigt.

Polizeisprecher Patrick Maierhofer wies in diesem Zusammenhang Vorwürfe aus dem linken Spektrum zurück, wonach die Polizei spät und nur verhalten gegen die Angreifer agiert habe. "Wir haben schnell gemerkt, dass es nichts bringt, deeskalierend zu wirken, und sind dann massiv eingeschritten", so Maierhofer zur APA.

Eingeschlagene Autofenster

Auf Fotos, die den Boden vor dem Ernst-Kirchweger-Haus zeigen, waren Glassplitter zu sehen. Sie sollen unter anderem von eingeschlagenen Autofenstern stammen. Auch die Feuerwehr musste ausrücken. Dem Vernehmen nach war es im Dachstuhl des Hauses gegenüber zu Rauchentwicklung gekommen.

Der freie Journalist Michael Bonvalot berichtete, dass auch das Lokal eines weiteren linken türkisch-kurdischen Vereins in unmittelbarer Nähe des EKH angegriffen worden sei. Mitglieder des Vereins hätten sich mit Fahnenstangen gegen die Attacken verteidigt.

Eidenberger bestätigte, dass es im Umfeld des EKH zu zahlreichen Sachbeschädigungen gekommen ist. Urheber der Attacken dürfte demnach ein Mob männlicher türkischer und österreichischer Jugendlicher gewesen sein.

Bilanz der Polizei

Die Bilanz der Polizei lautete am Freitag: Drei dem rechtsextremen Spektrum zuzurechnende Angreifer wurden festgenommen, es gab zwölf strafrechtliche und 22 verwaltungsrechtliche Anzeigen. Zwei Beamte und ein Diensthund wurden verletzt. Einige Aggressoren zeigten laufend den Wolfsgruß, ein seit 2019 in Österreich verbotenes Erkennungszeichen der Grauen Wölfe, und schossen auch – vermutlich mit einem pyrotechnischen Gegenstand – einen Balkon in Brand.

Für Freitagabend und das Wochenende wurden weitere Demos und Kundgebungen angekündigt. Die Polizei werde mit mehreren hundert Beamten im Einsatz sein und "aktiv, entschieden und konsequent gegen Störaktionen und Provokationen von extremistischen Gruppen vorgehen", sagte Maierhofer.

Gespräch mit türkischem Botschafter geplant

Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) sprach von "inakzeptablen" Vorfällen, die nicht toleriert würden. Vizebürgermeisterin Birgit Hebein (Grüne) betonte, dass es "keinen Platz für Faschismus" geben dürfe. Die Vizeklubchefin und außenpolitische Sprecherin der Grünen, Ewa Ernst-Dziedzic, hat die "Übergriffe vordergründig türkischer Nationalisten" scharf verurteilt. Sie sah angesichts nicht zu tolerierender Gewalttaten auch den türkischen Botschafter in der Pflicht, erklärte sie in einer Aussendung. "Ich werde ihn demnächst in einem offenen Gespräch daran erinnern, dass es auch in seiner Verantwortung liegt, durch seinen Einfluss in der türkischen Community faschistische Umtriebe und die Gefährdung der öffentlichen Sicherheit in Österreich durch radikale Gruppierungen hintanzuhalten", stellte Ernst-Dziedzic fest.

Innenminister Karl Nehammer und Integrationsministerin Susanne Raab (beide ÖVP) verurteilten die Zusammenstöße, ohne dabei Partei für eine Seite zu ergreifen. Nehammer betonte in einer schriftlichen Stellungnahme, er habe "absolut keine Toleranz" dafür, wenn versucht werde, türkische Konflikte auf Österreichs Straßen auszutragen. Raab "will keine Auseinandersetzungen zwischen Migrantengruppen auf Wiens Straßen".

FPÖ-Chef Norbert Hofer ortete ein doppeltes Extremismusproblem der Stadt Wien, und zwar mit Linksextremen und Kurden einerseits und türkischen Nationalisten, Grauen Wölfen und Erdoğan-Treuen andererseits.

Tumulte auch am Mittwoch

Schon am Mittwoch hatten sich ähnliche Szenen abgespielt. Eine Kundgebung von Kurden gegen Gewalt an Frauen war ebenfalls von rechtsradikalen Türken gestört worden. Intervenierende Polizeibeamte berichteten von einer "aufgeheizten und aggressiven Stimmung". Die Menschenmenge löste sich zunächst auf, es folgten aber weitere Tumulte. Die Exekutive schritt mit einem Großaufgebot ein.

Zunächst äußerten nur ein paar Passanten ihren Unmut über die Demo auf dem Keplerplatz, die von ein paar Mitgliedern der Antifa unterstützt wurde. Dann kamen weitere Türken hinzu, die Atmosphäre erhitzte sich. Offenbar Anhänger der Grauen Wölfe schrien Gegenparolen und machten den Wolfsgruß. Einige von ihnen wurden wegen Anstandsverletzung, aggressiven Verhaltens und Verstoßes gegen das Symbolegesetz angezeigt, berichtete die Polizei am Donnerstag.

Die Menschenmenge am Mittwoch löste sich langsam auf, gegen Mitternacht war der Polizeieinsatz beendet. Eine Massenschlägerei, wie von einzelnen Medien kolportiert, habe es nicht gegeben, betonte Eidenberger. Das habe man durch Deeskalationsmaßnahmen verhindert. Nachgegangen wurde am Donnerstag der Behauptung einer versuchten Körperverletzung. In die Aufarbeitung des Vorfalls ist die Staatspolizei eingebunden. (red, APA, 25.6.2020)