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In Paris tritt die regierende Sozialistin Anne Hidalgo wieder an.

Foto: Reuters/Hartmann

Heute sind sich alle einig: Der erste Durchgang der französischen Kommunalwahlen hätte am 15. März in der heraufziehenden Corona-Krise nicht stattfinden sollen. Zahllose Wahlhelfer und Bürgermeister wurden angesteckt, einige ließen gar ihr Leben. Diverse Gerichtsklagen gegen die Regierung sind anhängig. Emmanuel Macron entgeht einem Strafverfahren nur, weil er als Staatschef absolute Immunität genießt.

Den zweiten Wahlgang hat er nun auf diesen Sonntag angesetzt. Und auch jetzt mehren sich die Vorwürfe, das sei zu früh. Die Angst vor der Rückkehr des Virus dürfte jedenfalls für eine geringe Wahlbeteiligung sorgen. Im ersten Durchgang war sie schon auf historisch tiefe 44,7 Prozent gefallen. Zudem sind die Franzosen nun keineswegs bei der Sache; trotz unsicherer Aussichten müssen sie ihre Arbeit und ihren Sommerurlaub organisieren.

Stimmungstest

Die Kommunalwahlen gelten als wichtigster Stimmungstest zwischen den Präsidentschaftswahlen von 2017 und 2022. Die kleineren der 36.000 Gemeinden haben ihren – oft parteilosen – Bürgermeister meist schon im ersten Wahlgang im März bestimmt. Zu bestellen sind noch 5.000 umkämpfte Gemeinderäte in den wichtigsten Städten.

In diese urbanen Wähler hatte die Macron-Partei "La République en marche" (LRM) ihre größten Hoffnungen gesetzt. Doch sie dürften allesamt enttäuscht werden. In Paris liegt die LRM-Kandidatin Agnès Buzyn in den Umfragen klar hinter der wiederantretenden Sozialistin Anne Hidalgo und der Konservativen Rachida Dati. "Wir hielten uns für attraktiver, als wir sind", bekannte ein Kandidat der vom hohen Ross gefallenen Macron-Partei mit entwaffnender Offenheit. In Lyon hat sich Macrons Ex-Innenminister Gérard Collomb von Macron losgesagt und mit den Republikanern eine Allianz geschlossen.

Sinkender Stern

In Marseille und in vielen anderen Ballungszentren sind die Macronisten chancenlos. Das haben sie auch ihrem Präsidenten zu verdanken. Macrons Stern sinkt. Sein Reformkurs ist zum Erliegen gekommen, und in der Corona-Krise zauderte er – um dann einen überaus harten Lockdown anzuordnen, der die Wirtschaft des Landes schlicht k. o. setzte. Diese Woche enthüllte das Newsportal "Mediapart" zudem, dass sich Macron in ein Justizverfahren gegen seinen Generalsekretär Alexis Kohler eingemischt hat. Damit bewirkte er die Einstellung der Ermittlungen. Verfassungsrechtler sehen darin einen Verstoß gegen die Gewaltenteilung.

Zuvor hatte eine Staatsanwältin zugegeben, dass sie 2017 unter – nicht näher definiertem – "politischem Druck" gehandelt habe, um gegen den damaligen konservativen Präsidentschaftsfavoriten François Fillon kurz vor der Wahl ein Verfahren wegen Veruntreuung zu eröffnen. Macron ist zwar nicht direkt betroffen, steht aber als Profiteur einer möglicherweise manipulierten Wahl dar. All dies verstärkt bei den Franzosen den Eindruck, dass ihr einst so energischer Jungpräsident heute wie ein Vertreter der "alten Politik" agiert.

Grüne im Aufwind

Für seine Partei ist er kaum mehr ein Zugpferd. Dagegen dürften Republikaner und Sozialisten ihre lokalen Bastionen im zweiten Kommunalwahlgang größtenteils verteidigen. Am hoffnungsvollsten sind die Grünen (EELV). Sie könnten mehrere Großstädte wie Lyon, Bordeaux, Lille oder Straßburg erobern und in Paris oder Toulouse mit der Linken mitregieren. Die Kommunalwahlen dürften auch erstmals Aufschluss darüber geben, ob die Rechtspopulistin Marine Le Pen von den diversen Reform-, Gelbwesten- und Corona-Krisen der letzten Monate profitiert – vielleicht die zentrale Frage für die politische Zukunft Frankreichs.

Im ersten Wahlgang hat ihr Rassemblement National (RN) immerhin acht von zwölf früher eroberten Kleinstädten wie Fréjus verteidigt. Neue dürften die Lepenisten aber in der Stichwahl kaum dazugewinnen. Abgesehen von einer – großen – möglichen Beute: Le Pens ehemaliger Lebenspartner Louis Aliot könnte die katalanische Pyrenäenstadt Perpignan (122.000 Einwohner) erobern. (Stefan Brändle aus Paris, 25.6.2020)