Die Idylle ist fast perfekt. Die Sonne strahlt, der Himmel ist wolkenlos, die 24 Grad sind angenehm, und die Mur fließt hier ruhig und ein Stück weiter etwas wilder der Drau entgegen. Schilder an den engen Straßen, die an Höfen und Landhäusern vorbeiführen, weisen darauf hin, sich doch bitte an das Tempolimit von 30 Kilometern pro Stunde zu halten, es seien schließlich Kinder anwesend. Ein paar Meter weiter gibt es Erdbeeren – zum Selberpflücken, versteht sich. Aber die Idylle ist eben nur fast perfekt. Denn egal, wo man hingeht, man hört sie: die knallende, brummende und die Ruhe zerstörende Geräuschkulisse des Spielberg-Rings. An diesem Tag sind es nicht einmal die großen Jungs. Die Fahrer des Porsche-Supercups führen ihre 400-PS-Bolliden auf der Rennstrecke spazieren. Im Grunde sind sie noch die Ruhe vor dem Sturm.

Der springende Bulle am Spielberg-Ring wird zwar bald Formel-1-Autos zu Gesicht bekommen, aber keine Fans – die müssen wegen des Sicherheitskonzepts draußen bleiben.
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Die kleine Gemeinde Spielberg dürfte heuer im Fokus der Welt sein. Denn so ereignislos das Örtchen mit seinen rund 5.000 Einwohnern auch ist, nebenan findet die wohl größte Sportveranstaltung post Corona-Ausbruch statt – und das gleich zweimal. Die Formel-1-Weltmeisterschaft 2020 beginnt mit einem Doppel-Geisterrennen auf dem Red-Bull-Ring, Fans sind also nicht zugelassen. Lange hat es ein Hin und Her in der Motorsportwelt gegeben. Nachdem im März der Rennzirkus im Albert Park Circuit in Melbourne, Australien, quasi schon in den Startlöchern stand, sagten die Offiziellen den Saisonstart kurzfristig ab. Seitdem suchte die Fédération Internationale de l'Automobile (FIA) händeringend nach einem geeigneten Ort, um die Meisterschaft trotz Corona zu starten. China fiel raus, Bahrain auch, Vietnam, die Niederlande, Spanien, Monaco, allesamt entweder verschoben oder komplett abgesagt – bis Dietrich Mateschitz und Helmut Marko auf die Bühne traten.

Die Chefs des Red-Bull-Racing-Rennstalls schlugen vor, den Saisonauftakt in Spielberg stattfinden zu lassen. Das Projekt Spielberg arbeitete ein Sicherheitskonzept aus, das der Regierung vorlag und laut Gesundheitsminister Rudolf Anschober einer "seriösen Überprüfung" unterzogen wurde – schließlich gab es grünes Licht. Erstmals sollten mehrere Grand Prix auf einer Strecke stattfinden, erstmals Rennen ohne Fans, erstmals ein Saisonauftakt in Österreich.

Grün, so weit das Auge reicht

Nun, rund eine Woche vor dem Großereignis, ist davon in Spielberg rein gar nichts zu spüren. Der Weg hinauf zum Birkmoarhof ist eng, immer wieder kommen Motorradfahrer oder Traktoren entgegen, Wohnhäuser gibt es zwar, sie fallen zwischen den unzähligen Bauernhöfen aber gar nicht auf. Die vorherrschende Farbe ist Grün. Denn die Wiesen sind leer.

"Das Herz blutet", sagt Karl Mayer dazu. Der Landwirt und Betreiber des Campingplatzes Pink am Birkmoarhof ist sonst um diese Jahreszeit Gastgeber von rund 5.000 Formel-1-Fans. Heuer kommt niemand, darauf haben sich die Campingplatzbetreiber in Spielberg geeinigt: "Klar, es wären trotzdem Leute gekommen, aber wir wollten kein Risiko eingehen." So bleiben die Wiesen leer, und der Berner Sennenhund Django hat weiterhin genug Platz, um faul im Gras herumzuliegen. "Wenn so viele Gäste da sind, müssen wir ihn an die Leine nehmen, damit er uns nicht in der Menge verschwindet."

Die Tribüne wird leer bleiben ...
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Der Red-Bull-Ring ist ein großer Wirtschaftsfaktor in der Region. Spielberg und die umliegenden Gemeinden sind voll auf den Renn-Tourismus eingestellt, fast jede Wiese wird zum Camping angeboten, in jeder Straße gibt es mindestens ein Haus, das ein Privatzimmer anbietet. Und das teils zu horrenden Preisen. Wer kann, der kann.

Zu verdanken haben das die Leute in der Umgebung Didi Mateschitz – so sagen sie zumindest. "Man kann nur immer wieder dem Herrn Mateschitz danken für das, was er hier gemacht hat", sagt auch Mayer. Dass es keine Unterstützung für die Verluste der Campingplatzbetreiber gibt, findet er allerdings schade. "Wir haben den Leuten, die heuer gekommen wären, angeboten, ihr Ticket für das nächste Jahr zu behalten. Das haben rund 40 Prozent auch angenommen", das würde wenigstens einen Teil der Fixkosten abdecken. Und auch andere Campingplatzbetreiber im Ort stellen sich hinter den Red-Bull-Chef. "Ist halt schade, aber was will man machen" und " Wir stehen allem, was Red Bull macht, positiv gegenüber", heißt es dort. Dass die Köpfe sämtlicher Statuen im Ort durch Mateschitz-Nachbauten ersetzt werden, scheint nur eine Frage der Zeit.

Denn auch im Ausland ist der Grand Prix in Spielberg beliebt, vor allem in den Niederlanden. Mayer beherbergte im vergangenen Jahr das "Max Verstappen Village". Der holländische Super- und Youngstar der Formel 1 hat eine, wenn nicht sogar die größte Fanbase im Sport. Und die fährt regelmäßig nach Spielberg, um den 22-Jährigen anzufeuern. Einer davon ist Bas von Bodegraven. Er hat 2014 den Fanclub "#GOMAX" ins Leben gerufen, er selbst hat noch kein Rennen in Spielberg verpasst. "Der Red-Bull-Ring hat nur einen Nachteil – alle anderen Rennen danach sind nicht mehr so schön." Die Strecke sei fast von überall auf den Rängen gut einsehbar, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter immer freundlich, und der Preis stimme auch. Ob die Abwesenheit der Fans die Leistung des Lieblings beeinflussen wird, nachdem er die Rennen in den vergangenen beiden Jahren mit der orangen Wand im Rücken gewinnen konnte? "Nicht viel, dazu ist er viel zu fokussiert. Aber nach dem Sieg wird er traurig sein, glaube ich."

Unklarheiten im Sicherheitskonzept

Von Bodegraven wird heuer nicht nach Spielberg kommen. So wie fast alle Fans. Der Schaden für die ganze Region liege in Millionenhöhe, ließ der Tourismusverband Spielberg gegenüber der APA verkünden. Trotzdem seien die Menschen in der Region "sehr froh, dass die Formel 1 kommt – noch dazu gleich 14 Tage", sagte Geschäftsführerin Manuela Machner. Der Ort sei zu 80 Prozent ausgebucht. Auch das Zimmer in einem Gasthof mitten in Spielberg ist über die beiden Termine gebucht. Allerdings nicht von Fans, sondern von externen Caterern, die am Ring arbeiten, sagt die Kellnerin. Nanu, wie passt das in das durchgewunkene Sicherheitskonzept?

Auskunft darüber, wie die beiden Geisterrennen vor Ort logistisch und organisatorisch stattfinden sollen, gibt es wenig. In welchen Hotels sind die Teams untergebracht? Wie werden sie verpflegt? Wie ist der Transport geregelt? Auf all diese Fragen mag das Projekt Spielberg keine Antworten geben. Auch das gesamte Sicherheitskonzept ist unter Verschluss. So viel ist der Öffentlichkeit bekannt: Die Teams müssen in separaten Hotels untergebracht sein, die rund 2.000 Menschen, die mit dem Formel-1-Tross mitreisen, werden vor der Einreise und dann rund alle fünf Tage auf Corona getestet, die Airbase Zeltweg wird wohl eine Rolle spielen.

... hier wird sich das Personal des Rennzirkus anstellen, um am Eingang getestet zu werden.
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Red-Bull-Chef Mateschitz besitzt in Spielberg insgesamt drei Luxushotels. Schaut man auf deren Websites nach, stellt man fest, dass der Zeitraum vom 2. bis zum 12. Juli ausgebucht ist. So viele Fans wollen luxuriös das Rennen aus der Ferne verfolgen? "Nein, bei uns sind Teams untergebracht", sagt ein Mitarbeiter eines der Hotels am Telefon. Welche das sind, dürfe man allerdings nicht verraten.

Für das Sicherheitskonzept unabdingbar: der Flughafen Zeltweg, direkt neben der Rennstrecke. Das Bundesheer bestätigt auf Anfrage des STANDARD, dass ein Antrag auf "zivile Mitbenutzung" gestellt worden sei, etwaige Gebühren würden den Betreibern übertragen.

Ob und wie das Konzept eingehalten wird, ist bis dato nicht zu überprüfen. Anrainer berichten davon, dass vergangene Woche, als das Renault-Team den Ring für Tests nutzte, Mitglieder der Crew sich in der Nähe öffentlich zugänglicher Gasthäuser aufgehalten hätten. Das sollte während der beiden Geisterrennen nicht passieren, sonst wäre das ganze Gerede um die mutmaßliche F1-Blase für die Katz.

Motoren statt Metal

Das sieht auch einer der größten Kritiker des Rings so. Um zu ihm zu kommen, muss man an einem drohenden "Privatweg"-Schild vorbei. Hinter einem kurzen Waldstück steht das Schloss Spielberg, in ihm Karl Arbesser. Während wir in seinem Besprechungszimmer in dem baufälligen Anwesen sitzen, dröhnen weiterhin die Porsche-Motoren durch die offenen Fenster. Arbesser habe nichts gegen den Ring, nichts gegen Motorsport, nichts gegen Red Bull, versichert er zu Anfang. Warum stelle er sich dann fast allein gegen das Projekt? "Es wurde 2007 ein Projekt genehmigt, dessen Regularien heute nicht mehr zutreffen. Da geht es besonders um den Lärm und auch die Stickoxid-Messwerte." Diese seien zu hoch, das würden Gutachten zeigen. Die Gerichte würden diese aber nicht anerkennen, jegliche Verfahren gegen den Ring stelle die Staatsanwaltschaft irgendwann ein.

Den beiden Geisterrennen steht er kritisch gegenüber: "Wenn das Sicherheitskonzept genehmigt ist, wieso wird das dann nicht öffentlich gemacht?" Arbesser macht sich in Spielberg keine Freunde, das weiß er. Er weiß auch um den Wirtschaftsfaktor, den der Ring darstellt, und versteht die Euphorie der anderen. Er und Mateschitz haben eine Vergangenheit, das erzählt man sich nicht nur im Ort, das bestätigt er selbst: Mateschitz wollte für das Projekt Spielberg das Schloss kaufen und eine Rennfahrer- und Piloten-Akademie daraus machen. Das Angebot Arbessers lehnte er ab, das Gegenangebot war Arbesser zu niedrig. "Ich wollte nie und will hier nicht weg", sagt er. Seitdem kämpft der Schlossbesitzer gegen die mutmaßlichen Ungerechtigkeiten nebenan. Ohne Erfolg.

Die Gemeinde Spielberg gibt ein ulkiges Bild ab. Nichts deutet daraufhin, dass Menschen aus der gesamten Welt in einer Woche ihren Fokus auf dieses Örtchen legen werden. Es erinnert in dieser Rolle an die kleine deutsche Gemeinde Wacken, die jedes Jahr eines der größten Metal-Festivals der Welt austrägt. Schnell werden dort dann aus regulär rund 2.000 Einwohnern mehr als 70.000 Besucher. Nun ist es in Spielberg so, dass die Besucher heuer fehlen, die Metal-Musik aber trotzdem spielt. Nur stehen keine Bands auf der Bühne, sondern 20 Sechs-Zylinder-Motoren, die mit maximal 320 km/h die Stille zerreißen. Mit der Idylle dürfte das in den nächsten zwei Wochen in Spielberg schwierig werden. (Thorben Pollerhof, 26.6.2020)