Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP) erntet mit ihren Reformvorhaben viel Gegenwind.

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Gut Ding braucht Weile, aber jetzt ist der Groschen gefallen. "Konventionelle Angriffe gegen Österreich sind auf absehbare Zeit unwahrscheinlich geworden", so die Sicherheitsstrategie des Jahres 2013. Aus guten Gründen nimmt Verteidigungsministerin Klaudia Tanner das Zurückfahren der klassischen Verteidigung in Angriff. Truppen gegen einen wolkig gewordenen Terrorbegriff und eine noch diffusere "hybride Bedrohung" in Gang zu setzen ist im günstigen Fall zwecklos, im ungünstigen Fall brandgefährlich. Reflexe auf nebulose Bedrohungen dürfen nicht an die Stelle moderner Krisenprävention treten.

Eine Binsenweisheit ist, dass kein Staat Sicherheit im Alleingang herstellen kann. Kooperation ist gerade für jene ein Gebot, die die Stärke des Rechts über das Recht des Stärkeren stellen. Der Zweck der Kooperation gibt den Ausschlag: Friede für möglichst viele durch Bearbeitung von Konfliktursachen oder eine Kumpanei zum Durchboxen wirtschaftlicher und politischer Interessen für einige wenige.

Ziviles Gebot

Truppen und Waffen hat die Welt genug. Und sie wird – mit Blick auf die Weltuntergangsuhr – jährlich ein Stück unsicherer. Rund um den Globus zeigt sich: Es fehlt Vertrauen, es werden zu wenige zivile Werkzeuge eingesetzt, und die Welt schaut nicht selten erst dann, wenn das Kind bereits in den Brunnen gefallen ist. Genau hier soll Österreich mehr konstruktive Beiträge leisten, statt mit dem vorhandenen Budget Panzer zu unterhalten. Die Sicherheit Österreichs erlaubt ein mutiges Neudenken der Mittelverteilung allemal.

Wiens Beitrag zu Dialog und Abrüstung ist gefragt, was die Gespräche zur Begrenzung strategischer Atomwaffen Anfang dieser Woche unter Beweis gestellt haben. Die Neutralität muss gemäß der Verfassung mit allen zu Gebote stehenden Mitteln verteidigt werden. Zivile Beiträge sind heute das Gebot, weil vorbeugen besser als heilen ist. Nur Hartgesottene verstehen schmiergeldanfällige Geschenke für die Rüstungsindustrie.

Mandat für Abrüstung

Braucht es noch österreichische Soldaten? Der Vorschlag: den Vereinten Nationen permanent 2000 militärische Experten zur Verfügung zu stellen, die mit einem klaren Mandat für Abrüstung und Humanitäres ausgestattet sind. Ein Vorreiter für das Wichtige: Rüstungskontrolle und Abrüstung wie z. B. das Verbot von Chemie- oder Atomwaffen oder Minenräumung mit Know-how zu unterstützen. Dies stärkt das internationale Gewaltverbot der Uno und schafft Vertrauen in Abrüstungsprozesse. Will Ministerin Tanner Aufgaben tatsächlich nach ihrer Eintrittswahrscheinlichkeit gewichten, so ist sicherheitspolitische Vertrauensbildung eine tägliche Aufgabe und das Abfeuern einer Kanone eine Seltenheit. Frieden ist der Ernstfall.

Von hoch umstrittenen EU-Militäreinsätzen oder Abenteuern der EU-"battle groups" sollte sich Österreich gänzlich zurückziehen. Der EU fehlt es an vielem, aber nicht an Truppen. Seit über zehn Jahren sind zivile Einsätze der EU personell rückläufig. Das EU-Parlament beklagte, dass "im Bereich der zivilen Fähigkeiten und der Konfliktverhütung Fortschritte viel zu langsam erreicht werden".

Ein Elchtest für die EU sind die gerade laufenden Gespräche zum milliardenschweren EU-Rüstungsfonds. Das aktuelle Regierungsprogramm sieht im Rahmen der EU "Projekten zur zivilen Krisenprävention und Konfliktlösung" vor. Eine Trademark, welche einem neutralen Land gut zu Gesicht steht.

Katastrophenhilfe

Niemand benötigt Bewaffnete zur Katastrophenhilfe. Eine Armee für Assistenzleistungen ist ein zu teurer Spaß. Ein ziviles Technisches Hilfswerk kann am deutschen Modell studiert werden. Damit Online-Kriminalität nicht eskaliert, sollte der Finger an der Tastatur vom Finger am Abzug so weit wie möglich entfernt sein. Wenn die Polizei Botschaften nicht bewachen kann oder Kriminelle nicht ohne Zugriff auf Soldaten findet, so ist es nicht nur eine friedenspolitische, sondern auch eine demokratiepolitische Aufgabe, über Ressourcenverteilung zu diskutieren. Denn Soldaten sind keine Polizisten.

Es bedarf mehr ziviler Fachkräfte der jeweiligen Staaten, um diese im Rahmen von Uno, OSZE oder EU entsprechend einzusetzen. Es braucht ergänzend auch exzellent ausgebildete zivile Friedensfachkräfte nichtstaatlicher Organisationen, um Gewalt zu verhindern und Konflikte konstruktiv zu bearbeiten. Diese haben im Konfliktfeld einen Vertrauensbonus. Der Zivile Friedensdienst ist seit 20 Jahren in Deutschland ein allseits anerkanntes Außenpolitikinstrument und ist daher auch in Österreich im Regierungsprogramm.

Ministerin Tanner will nicht – wie manche spötteln – die Abschaffung der Armee. Wenngleich sich nach Maßgabe von Alfred Nobel genau jene für einen Friedensnobelpreis empfehlen, die "die Abschaffung oder Verminderung stehender Heere" verfolgen. (Thomas Roithner, 26.6.2020)