Ex-Wirecard-Chef Markus Braun ist in seiner Heimat Wien immer noch gut vernetzt. Wegen seiner Staatsbürgerschaft muss er sich regelmäßig bei der Münchner Polizei melden.

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Wenn sich eine Lawine einmal gelöst hat, ist sie nicht mehr zu stoppen. Ähnlich verhält es sich, wenn Unternehmen auf Talfahrt gehen, insbesondere im Finanzbereich. So kam es auch bei Wirecard, wie es kommen musste. Lange Zeit versuchte sich der nahe bei München angesiedelte Finanzdienstleister mit heftigen Rundumschlägen gegen Kritiker zu halten. Als sich die Vorwürfe, das vom Österreicher Markus Braun geleitete Unternehmen gleiche einem Kartenhaus, nicht mehr entkräften ließen, stürzte es abrupt ein.

Am Donnerstag war er so weit: Wirecard meldete Insolvenz an. Der auf die Zahlungsabwicklung von Internet-Geschäften und an der Kasse spezialisierte Konzern fiel nun selbst in sein 1,9 Milliarden Euro großes Bilanzloch, das Wirecard Anfang der Woche einräumte. Geschäfte mit Partnern in Asien, wo das Unternehmen selbst über keine Lizenz verfügt, dürften fingiert worden sein. Schon vor Tagen hatten zwei philippinische Banken erklärt, die bei ihnen geführten Guthaben existierten nicht. Von einer plumpen Fälschung der Buchungsbestätigungen war die Rede.

Schieflage

Wegen der mutmaßlichen Machenschaften und der darauffolgenden Schieflage von Wirecard hatte EY (früher Ernst & Young) das Testat der Bilanz 2019 verweigert. Allerdings steht die Wirtschaftsprüfungsgruppe nun selbst massiv in der Kritik, weil die vorhergehenden Abschlüsse uneingeschränkt mit einem Bestätigungsvermerk versehen wurden, obwohl schon seit Jahren Berichte über Geldwäsche, Scheingeschäfte und Bilanzfälschung die Runde machen. Die Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger (SdK) reichte eine Anzeige gegen zwei amtierende und einen ehemaligen EY-Abschlussprüfer ein, wie die Aktionärsvereinigung am Freitag mitteilte.

Die jetzige Pleite bringt – bis auf die Investoren, die auf fallende Kurse gesetzt haben – fast nur Verlierer. Neben den Aktionären, die bereits einen Kursverlust von 98 Prozent einstecken mussten, droht auch Banken und Anleihenbesitzern nahezu ein Totalausfall. Laut der Nachrichtenagentur Reuters belaufen sich die Außenstände von Wirecard auf 3,5 Milliarden Euro. Zu den Gläubigern zählen auch die beiden Raiffeisen-Landesbanken aus Ober- und Niederösterreich.

Einfache Sparer, die ihr Geld zur Wirecard Bank getragen haben, könnten ebenfalls betroffen sein. Sie haben 1,7 Milliarden bei dem Institut liegen. Einlagen sind allerdings bis 100.000 Euro gesetzlich gesichert, auch darüber hinaus gibt es einen Schutzmechanismus über den Bankenverband. Die deutsche Finanzaufsicht Bafin hat bereits die Kontrolle über die Wirecard Bank übernommen und versucht nun, den Teilbereich des Konzerns aus der Insolvenz herauszuhalten. Das Geschäft wurde eingefroren, damit nicht mit Kundengeldern Bilanzlöcher gestopft werden. Die Aufsicht steht ebenso wie EY unter Beschuss, weil sie den Vorwürfen gegen Wirecard nicht energisch nachgegangen ist.

Erste Dax-Pleite

Die erste Pleite eines im Frankfurter Index der Schwergewichte, Dax, gelisteten Unternehmens in der deutschen Geschichte beschäftigt auch die Justiz intensiv. Gegen Verantwortliche von Wirecard wird seit Tagen auch wegen Untreue und Bilanzfälschung ermittelt. Ex-Chef Braun, der in Österreich als Neos- und ÖVP-Spender sowie als Mitglied des Strategieteams Think Austria des Bundeskanzlers aufgefallen ist, wurde kürzlich in U-Haft genommen und gegen eine Kaution von fünf Millionen Euro auf freien Fuß gesetzt. Wegen seines österreichischen Passes muss er sich jeden Mittwoch bei der Polizei melden. Das für das Asiengeschäft zuständige ehemalige Vorstandsmitglied Jan Marsalek wird per Haftbefehl gesucht. Marsalek soll Anfang der Woche in die Philippinen eingereist, aber zur Kooperation mit den Behörden in München bereit sein. Freitagfrüh wurde bekannt, dass er laut der philippinischen Einwanderungsbehörde am Mittwoch über den Flughafen Cebu weiter nach China gereist sein soll. Allerdings zeigten die Videoaufzeichnungen des Flughafens nicht, dass Marsalek das Land verlassen habe, sagte Justizminister Menardo Guevarra am Donnerstag dem Sender CNN Philippines.

Viele Experten gehen davon aus, dass sich Konkurrenten nun Teile von Wirecard unter den Nagel reißen werden. Der niederländische Rivale Adyen verzeichnet bereits seit Wochen einen Höhenflug an der Börse, weil er als möglicher Profiteur des Wirecard-Debakels gilt. Der Adyen-Aktienkurs ist heuer schon um 80 Prozent nach oben geschnellt. Deutlich kleinere Kontrahenten sind die französischen Anbieter Worldline und Ingenico, die nun ebenfalls auf die Wirecard-Kunden spitzen dürften. (as, 26.6.2020)