Nach dem Auftritt des Kanzlers Sebastian Kurz (ÖVP) im Ibiza-U-Ausschuss ist eine Debatte darüber entbrannt, ob SMS-Verläufe von Regierungsspitzen nach der Amtszeit archiviert werden sollten.

Foto: Robert Newald

Wie Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) mit seinen Handykorrespondenzen umgeht, sorgte für reichlich Irritation und Ärger bei der Opposition und den Grünen im Ibiza-Untersuchungsausschuss. Die hätten gerne einen tieferen Einblick in dessen Konversationen mit Heinz-Christian Strache (FPÖ) und damit in die Machenschaften der ehemaligen türkis-blauen Regierung gewonnen. Wie wichtig dafür das Kanzlerhandy ist, beantwortete Kurz selbst: "Ich habe grundsätzlich Kontakt mit SMS oder Telefon." Nur könne er Chatverläufe "nicht offenlegen, weil ich meine Nachrichten am Handy regelmäßig lösche beziehungsweise sie von der Büroleiterin gelöscht werden".

Daraufhin entbrannte eine Diskussion darüber, ob der Kanzler Nachrichten überhaupt löschen darf und ob diese nicht wie eminente E-Mails nach der Amtszeit eigentlich dem Staatsarchiv übergeben werden müssten. Die Bundesarchivgutverordnung gilt jedenfalls für "Schriftgut", das bei der Amtsausübung oder in den Büros von bundespolitischen Amtsträgern anfällt. Grundsätzlich könnte man annehmen, dass das auch auf Handy-Chats zutrifft.

Die Bundesarchivgutverordnung stammt aus dem Jahr 1999 und wurde ein einziges Mal verändert. "Zu Beginn hatte man die elektronische Archivierung schon vor Augen", sagt der Verwaltungsexperte Peter Bußjäger. "Aber nicht dieses Ausmaß an elektronischer Kommunikation, mit der wir heute konfrontiert sind." Grundsätzlich könnten SMS der Verordnung unterliegen, befindet er. Dafür müsste der Begriff "Schriftgut" vielleicht neu aufgeschlüsselt werden.

Ex-Kanzler Kern springt Kurz bei

Das Gesetz werde aber immer einen breiten "Ermessensspielraum" gewähren. Es sei vorgesehen, dass nur wesentliche Dokumente aufbewahrt werden sollen. Das liege immer im Auge des Betrachters, meint Bußjäger. Grundsätzlich hält er es aber für sinnvoll, wichtige SMS auch aus zeithistorischen Gründen zu verschriftlichen und zu dokumentieren. Dann könnten sie auch gelöscht werden.

Ex-Kanzler Christian Kern (SPÖ) lässt es kalt, dass Kurz seine SMS löscht. Bei der Archivierung von Chatverläufen gebe es keine explizite Praxis und keine Vorkehrungen. Wenn es relevant wäre, müsste es ins Staatsarchiv. Das gelte erst recht für E-Mails. "Nur wenn es relevant ist, kommt es im Regelfall ohnehin auf Papier dorthin", erklärt Kern.

Am Donnerstagnachmittag rückte auch das Staatsarchiv aus. Dessen Leiter Helmut Wohnout kann bei der SMS-Löschung von Kurz kein rechtliches Problem erkennen. Für Wohnout, der unter anderem für den einstigen Zweiten Nationalratspräsidenten Heinrich Neisser (ÖVP) als Büroleiter arbeitete, handle es sich dabei um kein Schriftgut nach dem Archivgesetz, sagte er. SMS seien "am ehesten als Aufzeichnung und Notiz zu werten".

Material für lange Zeit unter Verschluss

Auch amtliche Telefonate müssten nicht dokumentiert werden. Ebenso wie Social-Media-Einträge. Unter Schriftgut versteht etwa das Denkmalschutzgesetz, auf das sich Wohnout bezieht, "schriftlich geführte oder auf elektronischen Informationsträgern gespeicherte Aufzeichnungen aller Art wie Schreiben und Urkunden". Die Oppositionsparteien und die Grünen verlangen nun vor allem, den Kalender des Kanzlers als Beweisstück zu bekommen. Ob dieser vorgelegt werden müsse oder ebenfalls eine persönliche Aufzeichnung darstelle, sei laut Wohnout nicht geklärt.

Das Staatsarchiv kann auch nicht eruieren, ob die Kanzler- und Ministerbüros wirklich alle Dokumente vollständig und korrekt geliefert haben. Das Schriftgut kommt in versiegelter Form an und bleibt für 25 Jahre vor den Augen des Staatsarchivs verschlossen.

Nur das frühere Regierungsmitglied hat ein Einsehrecht. Das werde auch wahrgenommen, erklärt Wohnout, etwa im Zuge eines U-Ausschusses, wenn ein Minister geladen sei. Die Unterlagen würden dann im Beisein des Betroffenen wieder versiegelt. 30 Jahre müssen vergehen, bis sich auch die Forschung mit dem Archivmaterial beschäftigen kann.

Chatverläufe wiederherstellbar

Die Chatverläufe von Kanzler Kurz müssten aber nicht gänzlich verschwunden sein. Es braucht nicht unbedingt professionelle Forensiker, um Nachrichten wiederherzustellen. Das ließe sich auch recht einfach via Back-ups oder mit Programmen lösen. Auch kürzlich gelöschte Whatsapp-Nachrichten könnten über ein Back-up-Datei zurückgeholt werden, heißt es. (Jan Michael Marchart, 25.6.2020)