Eine Liebe, die gegen die Entzauberung der Welt antritt: Paula Beer und Franz Rogowski in Christian Petzolds "Undine".

Foto: Polyfilm

Nach seinem Fluchtdrama Transit schlägt Christian Petzold mit Undine überraschend lyrische Wege ein. Wasser ist das Leitmotiv des Films, von einem zerberstenden Aquarium über die Unterwasserschleusen der Spree bis zu einem Stausee, in dem ein riesiger Wels namens Günther lebt. Der Mythos von Undine, der Wassernymphe, die ihrem untreuen Freund den Tod bringt, erzählt Petzold als alternative Liebesgeschichte, die motivisch eng mit der deutschen Hauptstadt verbunden bleibt. Paula Beer wurde auf der Berlinale als beste Darstellerin gewürdigt. In Berlin gab es auch die Gelegenheit zu einem Gespräch mit dem wie immer äußerst gedankenreichen Regisseur.

STANDARD: Ihre Undine ist eine moderne Frau, sie lässt sich nicht für dumm verkaufen und erduldet ihr Los keineswegs mehr passiv. Welche Rolle hat Ingeborg Bachmanns "Undine geht" gespielt?

Petzold: Das war der entscheidende Text. Ich wollte niemals einen Meerjungfrauen-Film machen! Ich hätte auch nie Phoenix so gedreht wie Hitchcock Vertigo. Ich meine damit diesen männlich begehrenden Projektionsblick, der nur noch in der Werbung stattfindet. Das ist völlig ausgelutscht. Die Erzählung von Ingeborg Bachmann sagt ja: Ich bin Undine, und das, was ihr seit Jahrhunderten macht, ihr Männer, ihr Ungeheuer, ist so furchtbar. Ebenso, dass ich das brauche und gleichzeitig so verachte. Ein so kluger Text!

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STANDARD: In Ihrer "Undine" gibt es zwei Männer, den, von dem sie verlassen wird, und dann einen von Franz Rogowski gespielten Taucher. Was macht der anders?

Petzold: Bei Bachmann kann man die Verzweiflung fühlen, dass Undine nur durch diesen Männerblick erschaffen wird. Ich habe sie mir immer wie Debbie Harry von Blondie vorgestellt, die ich sehr schätze: Sie steht vorne an der Bühne, sie ist blond und schön. Und sie weiß, dass sie nur durch das Begehren ihrer Fans lebt. Die nächste Stufe wäre: Undine wird vom Mythos geschaffen und zerstört, aber da kommt ein Mann daher, der ganz arglos ist. Er schaut nicht auf ihre Brüste, auch nicht auf ihren Hintern, sondern sagt ihr, dass ihr Vortrag fantastisch war. Zum ersten Mal spürt sie, dass es ein Begehren gibt, dass nichts mehr mit dem Mythos zu tun hat.

STANDARD: Die Liebe vollzieht sich in einer Art Gegenwelt. Warum filmen Sie die beiden so, als befänden sie sich unter Wasser – auch mitten in Berlin immer anderswo.

Petzold: Ich wollte den Film viel früher machen, bin dann aber in diese historische Trilogie hineingerutscht, deren Abschluss Transit war. Natürlich ist die Liebe eine Erfindung der Moderne, früher wurde man einfach verheiratet – bis zum Inzest. Trotzdem geht es mir darum, etwas wiederzufinden, was man verloren hat, obwohl das vielleicht gar nicht möglich ist. Franz Rogowski und Paula Beer haben das im Spiel als eine Freiheit erfahren. Diese Insistenz auf unbedingte Liebe – im Gegensatz zur Liebe der Männer, die nur kurzfristig ist – dieser ganze Liebesschmerz, die Liebesintrige, der Liebesverrat: All die großen Themen drohen in unserer entzauberten Welt zu verschwinden. Das kann man schon an diesem architektonischen Modell der Stadt Berlin sehen.

STANDARD: Sie meinen die Szene, in der Undine die Neubauten von Berlin und die historische Substanz erklärt? Da verorten Sie den Film in einer konkreten Gegenwart.

Petzold: Ja, und Undine sagt davor dramatisch: "Wenn ich wiederkomme und du bist nicht da, dann musst du sterben." Sie sagt das aber wie ein Automat, als hätte sie es schon hundert Mal gemacht. Und dann fällt sie in dieses Modell hinein, und man weiß, ihr Alltag, ihr Beruf als Stadtführerin ist gefährdet. Wir haben das wie in Shining gefilmt, als Zoom und Fahrt zugleich. Wie wenn Jack Nicholson im Hotel steht und im Modell des Labyrinths bereits sein Kind und die Familie sieht.

Christian Petzold (59) gilt als Vertreter der "Berliner Schule". Für seine Filmdramen "Barbara", "Phoenix" oder "Transit" erhielt er zahlreiche Preise.

STANDARD: Als Fabelwesen steht Undine für das verdrängte Terrain der Stadt. Sie sagen, Sie entstamme den Sümpfen.

Petzold: Genau, und ihr Lebensraum wird immer kleiner. Irgendwann wird sie wie Knut, der Eisbär, in irgendeiner Zelle zu begaffen zu sein. Ihr Begehren wird keinen Raum mehr haben. Die Modelle zeigen nur die Wünsche des Geldes an. Man sieht, wie die Stadt zerlegt wird. Wie hässlich das alles ist. Nichts ist gewachsen, nichts organisch. Und jetzt steht da eine Undine davor, die wie alle Fabelwesen etwas damit zu tun hat, dass es knirscht in der Welt.

STANDARD: So lyrisch, wie Sie das zeigen, wirkt das auch wie eine romantische Setzung gegen die realkapitalistischen Verhältnisse.

Petzold: Warum liebt Wim Wenders Edward Hopper? Warum liebt Gerhard Richter die deutsche Romantik? Je merkwürdiger, je entzauberter die Welt wird, umso mehr suchen die Deutschen die Romantik. Das kann dann zu so einem Kitsch wie bei Novalis und der blauen Blume führen. Das kann auch zu einer Melancholie führen, die nichts Eitles hat und sich nicht aus der Welt verabschiedet. Das ist kein Retrogefühl. Ich verspüre, wie die Welt entzaubert wird. Wir müssen unsere Filme dagegensetzen, und zwar nicht, indem wir schöne Filme oder schönes Theater machen, sondern indem wir an diesen Orten, die angegriffen werden, unsere Geschichten erzählen.

STANDARD: Wie entgeht man dann dabei dem Kitsch?

Petzold: Ganz ehrlich: Ich finde, alle großen Filme sind nah dran am Kitsch. Das geht nicht anders. Der Kitsch lebt ja nicht von sich allein, sondern davon, dass er das große Gefühl knapp verpasst hat. Dadurch lässt er es klein erscheinen. Ich hab mir angewöhnt, zu sagen: "Scheißegal." Klingt jetzt blöd, aber wenn ich mich um so ein Kitschsurfing bemühen würde, um genau die Welle zu treffen, das würde nicht funktionieren.

STANDARD: Mich hat es, auch wegen der Musikakzente von Bach, an Filme von Claude Sautet erinnert.

Petzold: Viele meiner Freunde hassen Sautet, ganz viele lieben Sautet. Die Leute, auf die es ankommt, lieben und hassen Sautet gleichzeitig! Wir hassen uns manchmal für die einfachen Gefühle und Tränen. Gleichzeitig: Wer die nicht hat, hat auch keine Seele. Wenn Romy Schneider an der Schreibmaschine sitzt, und Piccoli kommt von hinten, denke ich: "Toll." Eine Kitschszene, aber zugleich entzieht er der Szene hier einen einzigen Akkord. (Dominik Kamalzadeh, 26.6.2020)