Hunderttausende Fans vor Nizzas Bilderbuch-Kulisse am Samstag, tags darauf der erste Favoriten-Showdown in den Bergen der Cote d’Azur: Am Wochenende hätte die 107. Tour de France hochspektakulär beginnen sollen. Weil die Coronakrise diesen Plan A zunichtegemacht hat, ruht die ganze Hoffnung des gebeutelten Profiradsports auf Plan B mit dem neuen Starttermin am 29. August. Denn einen Plan C gibt es nicht.

Zwei Monate vor Beginn der 107. Tour de France, die aufgrund des Coronavirus verschoben wurde, organisiert die Stadt Nizza eine Ankündigung an der Promenade des Anglais.


Foto: imago images/Hans Lucas

"Ich bin froh, dass das normale Radprofi-Leben wieder losgeht", sagt der Deutsche Emanuel Buchmann, Kapitän des Bora-Hansgrohe-Teams, in dem auch die drei Österreicher Gregor Mühlberger, Lukas Pöstlberger und Felix Großschartner für Frankreich gesetzt sind. Buchmann, der Vierte 2019, hätte oder hat sich viel vorgenommen, er will um den Gesamtsieg mitfahren. "Warum nicht? Es ist nicht unmöglich."

Abzuwarten bleibt, ob allein Buchmann die Frage "Warum nicht?" beantworten wird. Das Coronavirus gefährdet das Riesenrennen immer noch. "Natürlich hängen wir von der gesundheitlichen Situation ab, sie ist das Wichtigste", sagt Tourchef Christian Prudhomme. Die Zahlen aus Frankreich machen deutlich, dass die Grande Nation die Pandemie keineswegs überstanden hat.

56.000 aktive Corona-Fälle unter 65 Millionen Einwohnern meldete Frankreich Anfang der Woche, europaweit Platz eins. Dennoch sollen ab 11. Juli wieder 5000 Zuschauer in Stadien zugelassen sein. Doch wie will man mit zigmal so vielen Zusehern am Straßenrand umgehen? Schließlich hat Prudhomme eine Geisterrundfahrt ausgeschlossen.

Der dreimalige Weltmeister Peter Sagan fordert ein Konzept zum Schutz des Feldes und der Fans.

Peter Sagan, dreimaliger Weltmeister und ebenfalls bei Bora-Hansgrohe unter Vertrag, nimmt die Organisatoren in die Pflicht. "Natürlich sind wir in keinem Stadion, es muss Regeln geben, wie wir uns selbst und andere schützen können." Der Weltverband UCI hat immerhin Restart-Richtlinien veröffentlicht, in denen er das Schaffen von "Team Bubbles" und "Peloton Bubbles" zur Abschottung vor und während der Rennen vorsieht – was gerade bei den Fanmassen einer Tour kaum realisierbar scheint.

Er könne sich nicht vorstellen, "wie gewohnt durch Tunnel von Menschen" zu fahren, sagt der viermalige Tour-Sieger Chris Froome, der selbst bereits mit Bechern voller Urin beworfen wurde – fliegende Körperflüssigkeiten will man sich besonders jetzt kaum vorstellen.

Sportlich wäre Froome, der ein Jahr nach seinem schweren Sturz zur Tour zurückkehrt, ein Hauptakteur. Er ist bei Ineos als Teil eines Tour-Triumvirats mit Titelverteidiger Egan Bernal – der Kolumbianer sitzt in seiner Heimat fest und soll Mitte Juli nach Europa fliegen – und dessen Vorgänger Geraint Thomas eingeplant.

Gerüchte werden aber lauter, dass Froome der mächtigen internen Konkurrenz aus dem Weg geht und zum 1. August das Team wechselt (zu Israel Start-Up Nation?). Kaum ein Spitzenfahrer wird heuer die Große Schleife auslassen, die Tour könnte eine für die Geschichtsbücher werden – wenn denn Plan B funktioniert. (fri, sid, APA, 26.6.2020)