Das Verfahren gegen den Künstler gilt als Schauprozess gegen die liberale Kunstszene in Russland.

Foto: Komische Oper Berlin

Moskau – Mit schwarzer Atemschutzmaske aufgrund der Corona-Krise erschien Kirill Serebrennikow am Freitag zur Urteilsverkündung im wohl skandalösesten Kulturprozess Russlands der jüngeren Vergangenheit. Der unter anderem auf dem Filmfestival in Cannes ausgezeichnete Regisseur wurde angeklagt, 129 Millionen Rubel (umgerechnet knapp 1,7 Millionen Euro) staatlicher Fördergelder veruntreut zu haben. Er selbst hat die Vorwürfe stets bestritten.

Das Verfahren begann bereits vor drei Jahren, als im Mai 2017 Polizeieinheiten die Wohnung Serebrennikows und das von ihm geleitete Theater Gogol-Zentrum durchsuchten. Kurz darauf wurde der Regisseur und Leiter der Theatertruppe Siebtes Studio bei Filmarbeiten wegen des Vorwurfs der "Unterschlagung in besonders großem Umfang" festgenommen und unter Hausarrest gestellt. Zunächst war von mehr als 200 Millionen Rubel die Rede.

Konkret ging es um finanzielle Mittel für das Künstler- und Theaterprojekt "Plattform", für dessen Umsetzung Serebrennikow Geld aus dem Kulturministerium bekommen hatte. Laut Anklage soll der 50-Jährige Gelder für Privatzwecke abgezweigt haben. Dazu habe er mit anderen Theatermitarbeitern eine "kriminelle Vereinigung" gebildet. Neben Serebrennikow saßen der Generaldirektor und der ehemalige Chefproduzent des Siebten Studios, Juri Itin und Alexej Malobrodski, auf der Anklagebank.

Prozess als Abschreckungsmaßnahme

Serebrennikow stellte in seinem Abschlussplädoyer dar, dass für das Geld 340 Veranstaltungen organisiert worden seien, "die meisten von ihnen originell, einmalig und schwierig, mit Beteiligung einer großen Anzahl von Schauspielern, Musikern, Regisseuren, Künstlern, Tänzern und Komponisten". Insgesamt habe das Siebte Studio weit mehr Geld in die Projekte investiert, als es an staatlichen Hilfen bekommen habe, argumentierte er.

Der Staatsanwalt hatte zuletzt sechs Jahre Haft für Serebrennikow gefordert. Die Richterin milderte das Urteil auf eine Bewährungsstrafe ab und rechnete zudem den Hausarrest auf die Strafe an. Allerdings verurteilte sie Serebrennikow, Itin und Malobrodski zur Rückzahlung der angeblich veruntreuten Summe. Zusätzlich müssen die Angeklagten zwischen 2.500 und 10.000 Euro Strafe zahlen. Serebrennikow wurde zugleich verboten, in staatlichen Einrichtungen zu arbeiten.

Mehrere hundert Anhänger Serebrennikows feierten nach Bekanntwerden des Urteils vor dem Gericht die Freilassung des Künstlers. Seine Anwälte erklärten allerdings bereits, das Urteil anfechten zu wollen.

Serebrennikow ist einer der politisch engagiertesten Künstler Russlands. Er hatte sich an Protestaktionen unter anderem für faire Wahlen engagiert, einen offenen Brief für die Freilassung der Gruppe Pussy Riot unterzeichnet und sich gegen die Beschneidung der Rechte sexueller Minderheiten ausgesprochen. Den Prozess gegen Serebrennikow bezeichneten viele Beobachter daher als Abschreckungsmaßnahme. Kremlsprecher Dmitri Peskow seinerseits dementierte nach dem Schuldspruch, dass das Verfahren politisch motiviert sei. (André Ballin aus Moskau, 26.6.2020)