Die Grillsaison ist angebrochen. Ein Kilo Schweinefleisch kostet in Österreich etwa 9,99 Euro, ein Henderl 4,99 Euro – und damit weit weniger als die gleiche Menge Barbecue-Sauce. Klingt absurd? Wird aber gerne hingenommen. Die Ursache für die Preisgestaltung interessiert viele Käufer erst dann, wenn die Billigfleischproduktion zum Gesundheitsrisiko zu werden droht. Wie zum Beispiel in Deutschland.
Die massenhaften Corona-Infektionen in der Tönnies-Fleischfabrik in Rheda-Wiedenbrück, einer Kleinstadt im Nordwesten Deutschlands, haben nicht nur zu einem Lockdown im Landkreis geführt und ein Schlaglicht auf die hygienischen Missstände in Schlachthöfen geworfen, sondern auch eine alte Debatte neu entfacht: die über das Billigfleisch.
Tatsächlich fand das Virus in dem Konzern mit Milliardenumsatz den perfekten Nährboden: beengte Arbeitsverhältnisse; vorwiegend ausländische Billiglohnarbeiter, die sich laut Medienberichten zu siebt ein Zimmer teilen mussten und kaum ein Sprachrohr haben, um auf Missstände aufmerksam zu machen. Solche prekären Verhältnisse sind weder neu noch überraschend.
Verhaltensänderung ist meist schwer
Egal ob Gammelfleisch, Sars oder Vogelgrippe: Skandale und Pandemien haben miese Arbeits- und Tierrechtsbestimmungen in der Branche wiederholt zum Thema gemacht; teils änderte sich dadurch zumindest kurzfristig das Konsumverhalten. Langfristig jedoch schlägt zumeist das Preisargument auch letzte Gewissensbisse, ob das Schweinderl vor der Schlachtung Auslauf hatte oder der Angestellte, der das Tier betäubt, dafür fair entlohnt wird.
"Wenn wir gewohnt sind, für ein Produkt wenig zu zahlen, wollen wir das nicht ändern", erklärt Bernadette Kamleitner, die das Institut für Konsumforschung an der WU Wien leitet. Ein nachhaltiger Anreiz zur Verhaltensänderung ist meist schwer zu finden. Billigfleisch ist kein Thema, über das gerne gesprochen wird. Außerdem orientieren sich Konsumenten am Umfeld – wenn es andere machen, darf ich auch, so die Devise. Und dann wäre da noch die liebe Gewohnheit: Österreicher verspeisen im Schnitt 64 Kilogramm Fleisch pro Jahr.
Frage der Leistbarkeit
Leistbarkeit spielt dabei eine wichtige Rolle – sowohl beim Fleisch als auch bei pflanzlichen Alternativen. Diese gibt es zwar bereits in großer Fülle am Markt, doch Sojaschnitzerl und Schwammerlwürstel schrecken Fleischtiger nicht nur geschmacklich ab, sie sind auf das Kilo gerechnet zumeist auch teurer als die tierischen Produkte.
Für den Durchschnittskonsumenten gebe es nach wie vor keine positiv behaftete, rundum realistische Alternative zum Fleisch, sagt Kamleitner: "Es ist ein kognitives Sollen und noch kein emotionales Wollen."
Wie kann sich also etwas ändern? "Es ist nicht so, dass Konsumenten keine Macht haben", meint die Expertin. Je mehr Menschen ihr Verhalten ändern würden, desto mehr würde der Handel darauf reagieren. Als Beispiel zieht Kamleitner Biolebensmittel heran, die vor wenigen Jahren noch ein Nischenprodukt waren.
Doch auch wenn ein bewussteres Kaufverhalten des Einzelnen einen gewissen Druck schafft – ganz ohne politische Richtlinien zu Herkunft, Haltung und Verarbeitung könne eine echte Veränderung nicht stattfinden. "Gewisse Entscheidungen können nicht einfach abgewälzt werden."
Verpflichtende Herkunftskennzeichnung
Beim grünen Gesundheitsminister Rudi Anschober trifft Kamleitner damit auf offene Ohren: "Billigst-Fleisch-Produktion auf Kosten von Mensch, Tier und Umwelt muss gestoppt werden", twitterte er kürzlich. In ihrem Wahlprogramm forderten die Grünen, dass Fleisch, Milch und Eier in der Gastronomie gekennzeichnet werden, damit Herkunft und Produktionsweise damit deutlich ersichtlich sind.
Im Regierungsprogramm liest sich das Ergebnis dann etwas weicher. Dort ist nun die Rede von einem "freiwilligen Qualitäts- und Herkunftssicherungssystem für Direktvermarktungsbetriebe, Manufakturen und Gastronomie".
Ab 2021 soll eine verpflichtende Herkunftskennzeichnung zumindest für die Gemeinschaftsverpflegung und für verarbeitete Lebensmittel kommen. Wirte bleiben weiter außen vor. Man habe bei den Regierungsverhandlungen zwar "massiv" dafür gekämpft, heißt es aus grünen Kreisen, letztlich habe sich die Volkspartei aber dagegengestemmt. Der Widerstand aus höchsten Kreisen der Wirtschaftskammer sei zu groß gewesen.
Für die ÖVP bedeutet die Forderung einen Spagat: Gastronomen sollen nach Registrierkassen und Rauchverbot nicht weiter verärgert werden. Gleichzeitig fordern Bauernvertreter seit langem eine Gastro-Kennzeichnungspflicht nach dem Schweizer Modell.
Dort steht auf der Speisekarte, woher das Produkt stammt und wie das Tier gehalten wurde. Mehr Transparenz also für den Konsumenten. Gastronomen fürchten unterdessen einen bürokratischen Spießrutenlauf – und ein Ende des Billigschnitzerls auf der Karte. (Nora Laufer, 27.6.2020)