"Das ist mir nicht erinnerlich", "dazu habe ich keine Wahrnehmung", das hat mich nicht sonderlich interessiert". (Kurz vor dem Ausschuss)

Foto: Heribert Corn www.corn.at

Vor dem Ibiza-U-Ausschuss im Parlament wurden diese Woche neue olympische Rekorde gebrochen: Bei der Befragung durch die Opposition am Mittwoch konnte sich Kanzler Sebastian Kurz gezählte 29 Mal "nicht erinnern". Tags darauf schlug ihn sein Finanzminister und langjähriger politischer Vertrauter Gernot Blümel um Längen: Er kam sogar auf 86 Erinnerungslücken.

Die beiden türkisen Politiker-Stars hatten sich offenbar darauf verständigt, mit einer Art Zirkusnummer als die "Fabulous Amnesia Twins" aufzutreten.

In der Sache war die Befragung durch die Abgeordneten der Oppositionsparteien SPÖ, FPÖ und Neos (mit beachtlicher Unterstützung durch Abgeordnete der grünen Regierungspartei) daher mehr als unergiebig. Das offizielle Thema des Ausschusses – "mutmaßlicher Postenschacher durch die türkis-blaue Bundesregierung" – wurde nur relativ wenig im Sinne unumstößlicher Beweise festgezurrt.

Daran trug auch die fragende Opposition durch mangelnde Strategie Mitschuld, aber das zutage getretene Phänomen ist ein anderes: eines der demokratischen Kultur.

Diskurszerstörung

Bei den Auftritten der beiden türkisen Großkaliber Kurz und Blümel entstand der Eindruck, sie würden hier bewusst etwas betreiben, was mehr ist als bloße "Aussageverweigerung" und was Kommunikationswissenschafter "Diskurszerstörung" nennen.

Kein Eingehen auf Fragen, kein wirkliches Argumentieren, dafür Lächerlichmachen, Mauern, auf Fragen antworten, die gar nicht gestellt wurden. Der Wissenschafter Walter Ötsch nennt das "Kampfrhetorik", um einen wirklichen Austausch zu verhindern. Und schreibt die Methode an sich Rechtspopulisten zu.

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Die Ausschusswoche der "Fabulous Amnesia Twins" zeigte ganz deutlich:

  • die an Missachtung grenzende Haltung der türkisen Truppe zum Parlament als Kontrollorgan;
  • das unerschütterliche Machtbewusstsein von Jungpolitikern, die erstens über ein türkises Konzept für den Umbau des Landes und zweitens über eine hohe Zustimmung im Wahlvolk verfügen.

Es entstanden unangenehme Erinnerungen an den türkisen Slogan im Sommer 2019: Das Parlament habe Kurz abgewählt, aber das Volk werde entscheiden. Derlei Sprüche waren eine Spezialität der Türkisen – und sie waren vor dem Ausschuss wieder zu hören.

Das beginnt mit der subtilen sprachlichen Umdeutung von Sebastian Kurz, der sagte, der Ausschuss habe ihn als "Gast eingeladen", obwohl er vorgeladen wurde. Das setzte sich in der ganzen Tonalität fort: "Ich war nicht in Ibiza, aber ich kann Ihnen gerne sagen, wie eine Koalitionsregierung arbeitet."

Und so bei etlichen anderen Themen (Begünstigungen für private Krankenversicherer, Verkauf des Datenschatzes des Bundesrechenamtes, eine bankengenehme Reform der Finanzaufsicht, die Installierung seines Vertrauten Thomas Schmid als Alleinvorstand der Verstaatlichtenholding und natürlich ein neues Glücksspielgesetz): "Als Bundeskanzler bin ich nicht zuständig", "das Thema ist nie groß auf meiner Agenda gestanden", "das habe nicht ich entschieden", "dazu habe ich keine Wahrnehmung", "das hat mich nicht sonderlich interessiert".

Patzige Antworten

Finanzminister Blümel vertrat die gleiche Linie am nächsten Tag womöglich noch aufreizender. Wenn ihm ein Abgeordneter vorhielt: "Das war nicht meine Frage", sagte Blümel patzig: "Das war aber meine Antwort" oder "Was war denn Ihre Frage?".

Der frühere Kanzleramtsminister und Koordinator in der Koalition hatte eigentlich alles, was sich in seinem Bereich so an politischen Vorgängen abspielte, Schredderaffäre inklusive, "aus den Medien erfahren". Gespeicherte Unterlagen? Er habe auch gar keinen Laptop. Er mache alles mit dem Handy.

Derlei klingt einerseits nicht unplausibel; andererseits kann man der Ansicht sein, das grenze an Missachtung des Parlaments. Und Missachtung von Institutionen ist ein Phänomen der schönen neuen türkisen Welt: Das seien ja nur "juristische Spitzfindigkeiten, meinte Kurz, als sich etliche Corona-Beschränkungsverordnungen als rechtswidrig herausstellten.

Übrigens nicht nur Missachtung von staatlichen Institutionen. Bei aller Sorgfalt und Interventionsfreude, die Kurz persönlich und sein Apparat auf die Medienbeeinflussung verwenden – dahinter steht auch geheime Missachtung eines kritischen Journalismus. Und dass den ausführenden Organen wie etwa den Ministern die provokante Aussageverweigerung eingedrillt wird, zeigte wiederum am Donnerstagabend das denkwürdige ZiB 2-Interview mit Verteidigungsministerin Tanner.

Das türkise Projekt wurde und wird von einer kleinen Kerntruppe rund um Sebastian Kurz aufgesetzt und implementiert. Es ist nicht bloße Machtergreifung ohne inhaltliche Komponente; auch nicht bloße Inszenierung, obwohl beides brillant umgesetzt wird.

Das Kapern der alten Dame

Kurz und die Seinen sind Jungkonservative, die die alte Tante ÖVP cool gekapert haben und nun eine neokonservative Agenda umsetzen wollen: mehr Heimatfolklore, internationale und nationale Solidarität aufs Minimum beschränken, freie Bahn den Tüchtigen, weg mit diesen "sozialistischen" Auswüchsen.

Das ist aber mit der alten Konsensdemokratie, der auch die alte ÖVP mit ihren Bünden und ihren sozialpartnerschaftlichen Verflechtungen anhing, nicht mehr vereinbar. Und diese Konsensdemokratie war zuletzt auch nicht günstig für die ÖVP gewesen.

Die Regierungstechnik von Türkis war und ist daher einfach: In der Mitte rund um Kurz steht ein Kern von kaum bekannten, jüngeren, sehr begabten Workaholics mit sehr konservativen Ansichten, einem gut versteckten politischen Katholizismus und absoluter Loyalität.

Mangelnde Eigenständigkeit

Sie steuern den äußeren Kreis, der hauptsächlich aus Ministern besteht, die wegen ihrer Loyalität und ihrer mangelnden Eigenständigkeit nun immer mehr auffallen. Interviews mit diesen Satzbaustein-Verfertigern sind eine Qual und ein Objekt des Hohns im Web oder im Kabarett.

Aber das ist so gewollt von den türkisen Angehörigen des inneren Kreises. Die Message-Control und die Kontrolle überhaupt sollen nur bei ihnen und sonst niemandem liegen.

Die Frage ist, wie das in Zukunft weitergeht. Ob sich nicht Ermüdung mit dieser Kommunikationspolitik einstellt. Ob nicht die Kernklientel, die unter der teilweise inkompetenten Verteilung der Corona-Hilfen leidet, nicht schwer verärgert ist. Ob es reicht, einen, der aufbegehrt, wie der Großcafetier Querfeld, mit geleakten Negativ-Infos zu bestrafen.

Ob bei dem Ibiza-Ausschuss "etwas herauskommt" im Sinne von harten Beweisen, ist unklar. Aber eines hat eine interessierte Öffentlichkeit jetzt schon gesehen: die Art, wie Türkis einen normalen demokratischen Vorgang – das Informationsrecht des Parlaments und der Öffentlichkeit – missachtet. (Hans Rauscher27.6.2020)