In Russland ist das Referendum über die Verfassungsänderungen angelaufen. Der Höhepunkt ist erst am kommenden Mittwoch geplant, den der Kreml zum offiziellen und arbeitsfreien Wahltag erklärt hat. Doch abgestimmt wird schon jetzt – und die Prozedur lässt die Skepsis der Kritiker nur wachsen.

So machte ein Reporter des Internetmediums "TV Rain" den Test und konnte gleich zweimal abstimmen – online und altmodisch analog in seinem Wahllokal. Statt sich für die Aufdeckung der Sicherheitslücke zu bedanken, drohte die Wahlkommission dem Journalisten mit Strafe.

Russlands Präsident Wladimir Putin.
Foto: imago/Mikhail Metzel

Viral ging ein Video aus Wladiwostok, das ein "Wahllokal auf Rädern" zeigt. Abstimmen können die Menschen dort an der geöffneten Heckklappe eines Kleinwagens. Eine echte Kontrolle unabhängiger Wahlbeobachter über die Abstimmung ist auf diese Weise praktisch unmöglich.

Die Urne im Kofferraum wird damit zum Symbol der Abstimmung überhaupt – und das gleich auf zweierlei Weise. Erstens sind Kofferräume in Russland wie kleine Abstellräume, wo alles Mögliche Platz findet: alte Lappen, leere Flaschen, Getränkedosen oder Kaffeebecher, Papierreste und bei dem einen oder anderen sollen auch schon Leichenteile im Kofferraum gefunden worden sein. Nur das, was man gerade braucht, findet man in diesem Chaos meist nicht.

Genauso verhält es sich mit der neuen Verfassung: Sie ist ein Konglomerat aus einigen nützlichen Neuerungen und vielerlei Schund, das eigentlich nur dazu dient, das wichtigste Ziel, die Amtszeitverlängerung von Präsident Wladimir Putin, zu verstecken. Diese Art der Abstimmung erinnert auch an den in Russland weitverbreiteten Warenverkauf von der Ladefläche aus: Obst und Gemüse, aber auch Zigaretten oder Scheibenwischwasser werden oft am Straßenrand angeboten – schnell und billig, aber meist eben auch am Rande der Legalität. (André Ballin, 26.6.2020)