Maria Fliri als Atossa, Maria Stuart, Franz ...

Unpop Ensemble

Sie stehen schon da. Auf ihren schlanken, weißen Podesten, wie museale Objekte für eine Vernissage, weit verteilt über ein freies Feld. Die verwitterten Bretter, auf denen die Podeste stehen, können schon lange nicht mehr die Welt bedeuten. Und doch: Die Schauspieler erwarten Publikum. Dieses schlendert nun durch das hohe kitzelnde Gras, bei jedem Schritt fliegen Insekten auf.

Das Theater befindet sich heute unter freiem Himmel, auf einem brachliegenden Feld im Lustenauer Industriegebiet. Die B204 führt daran vorbei, McDonald’s, Baustelle und eine Lkw-Werkstatt in Sichtweite. Seit 2016 ist hier das Theaterzelt "Freudenhaus" beheimatet. Doch Regisseur Stefan Kasimir und sein Ensemble für unpopuläre Freizeitgestaltung spielen hinterm Zelt. Schauspiel ohne Grund nennt Kasimir seinen neusten Abend, eine theatrale Intervention, koproduziert mit dem Vorarlberger Walktanztheater und dem Verein Caravan. Kasimir und Ausstatterin Caro Stark haben ihn im Lockdown konzipiert, als alle Theater geschlossen waren. Dass es jetzt wieder erlaubt ist, in einem Raum vor Publikum Theater zu spielen, hat an seinem Konzept nichts geändert. Seine Inszenierung ist eine kluge Antwort auf die Corona-Krise und das wochenlang stillgelegte Theater.

Requiem der darstellenden Künste

Stefan Kasimir zeigt ein Requiem der darstellenden Künste, das Schauspiel erlebt seine tröstliche Wiedergeburt. Aber es ist auch ein letzter, verzweifelter Kampf, ausgefochten von drei Schauspielerinnen und zwei Schauspielern. Sie haben auf ihren Podesten gerade Platz genug, um darauf zu stehen, sich hinzuhocken, zu drehen. An jedem Sockel ist ein kleines Erklärschild angebracht: vier Monologe pro Künstler. Wie an einem Art-Event spaziert das Publikum mit Weinglas oder Bierflasche in der Hand von Kunstwerk zu Kunstwerk. Doch hier ist die Kunst lebendig.

Kasimir reduziert, er braucht keinen Raum, sondern die ganze Welt: Schauspieler – und Worte. Jeder der fünf spielt Monologe der Weltliteratur in Dauerschleife, ein Klassiker folgt nahtlos auf den nächsten, von der griechischen Antike über Shakespeare, Schiller, Kleist, zu Büchner, Nestroy, Ibsen, Tschechow – die üblichen Herrschaften. Schauspielerin Maria Fliri ist Elisabeth (Maria Stuart), Malvolio (Was ihr wollt), Franz (Die Räuber), Königin Atossa (Die Perser). Alles auf einem Sockel. Aber mehr braucht es auch nicht: Es ist alles da, alle Gefühle, alle Haltungen, und man hockt auf einem Feld, schaut auf eine "Skulptur" – und kann sich dem Zauber abendländischer Dichtkunst nicht entziehen. Holt sie von den Sockeln, lasst sie auf die Bühnen, möchte man rufen. Denn das Statuenhafte symbolisiert nachdrücklich die bisweilen immer noch "eingesperrte" Theaterkunst. Ein Trost, hier zuzusehen. (Julia Nehmiz, 27.6.2020)