"Wer in einem Interview auf sein Gegenüber eingeht und Fragen wie ein normaler Mensch beantwortet, der hat bereits verloren", weiß Fritz Jergitsch.

Foto: A. Urban

Der Auftritt von Ministerin Klaudia Tanner (ÖVP) in der ZiB 2 hat bei vielen Zuschauern Irritationen ausgelöst. Sie wurde von Lou Lorenz-Dittelbacher zu Plänen zur Einschränkung der Landesverteidigung befragt. Fritz Jergitsch, Chefredakteur der Tagespresse, erklärt, was da ablief.

STANDARD: Die Verteidigungsministerin hat der "ZiB 2" ein aufsehenerregendes Interview gegeben. Bevor wir zu den Inhalten kommen, haben Sie es gesehen?

Tagespresse: Ich hab kein Interview gesehen, sondern eine NLP-Masterclass, für die andere Menschen 3000 Euro zahlen, ich dagegen nur die GIS-Gebühr. Schade, dass das Seminar immer von einer ORF-Journalistin mit Fragen gestört wurde.

STANDARD: Das war natürlich genau meine Frage. Sie finden es also gut, wenn eine Ministerin in einer der wichtigsten Nachrichtensendungen des ORF bzw. des Landes sofort zur Sache kommt?

Tagespresse: Ja. Die Art und Weise, wie sie die Angriffe der Moderatorin abwehrte, haben mich für die geplante Abschaffung der Landesverteidigung gewinnen können. Wenn eine feindliche Armee bei uns einmarschieren will, schlagen wir sie mit zehnfach verschachtelten NLP-Granaten in die Flucht, das ist deutlich günstiger, und wir haben vielleicht sogar noch Budget für einen Laptop für den Finanzminister, vielleicht verrechnet er sich dann nicht mehr so oft.

STANDARD: Dieses NLP, von dem Sie da reden, was für ein Mittel der Politik ist das? Musste Lou Lorenz-Dittelbacher ihre Frage an die Ministerin deshalb gleich viermal wiederholen?

Tagespresse: Es hält sich nach wie vor der weitverbreitete Irrglauben, ein Interview sei ein Gespräch. Nach einem NLP-Seminar weiß man: Wer in einem Interview auf sein Gegenüber eingeht und Fragen wie ein normaler Mensch beantwortet, der hat bereits verloren. Zu beachten ist, auf tatsächliche Aussagen zu verzichten, denn jede brauchbare Information könnte im Worst Case zu einer Debatte und folglich zu Widerspruch führen. Der politische Vollprofi beschränkt sich auf Worthülsen, die jeder unterschreiben kann: "Landesverteidigung ist wichtig", "Wir müssen das Heer modernisieren", "Das Leben ist schön", et cetera.

STANDARD: Wie wichtig ist es, bei einem solchen "Nichtinterview", wie Sie sagen, die Stimmlage so zu verstärken, dass es manchem TV-Zuschauer fast schon zu penetrant vorkommt?

Tagespresse: Das ist zielgruppenorientierte Kommunikation, die Stimme jedes ÖVP-Regierungsmitglieds ist so kalibriert, dass sie ein herkömmliches Hörgerät durchdringen kann.

STANDARD: Die Ministerin hat gleich dreimal erwähnt, dass sie vor kurzem in der Steiermark war, bei den Soldaten. Zufall, oder was steckt da dahinter?

Tagespresse: Ihr Kollege Gernot Blümel hat gestern im Ibiza-Ausschuss 86-mal wiederholt, er könne sich nicht erinnern. Dreimal kommt mir daher verdächtig wenig vor, vielleicht will Tanner von ihrem Besuch ablenken, man sollte recherchieren, was in der Steiermark vorgefallen ist.

STANDARD: Tanner sprach in der Wir-Form. Sie sagte bei ihrem TV-Auftritt zum Beispiel, "wir" sind gleich zu Bundespräsident Alexander Van der Bellen rübergefahren, und nicht, dass sie vom Staatsoberhaupt hinzitiert wurde. Will sie dem Oberbefehlshaber ihre Überlegenheit signalisieren?

Tagespresse: Hier zeigt sich das Traditionsbewusstsein der Volkspartei. Es ist schon seit dem Mittelalter gängige Praxis unter Monarchen und Herrschern, von sich selbst im Plural zu sprechen.

STANDARD: Wieso kommuniziert die Heeresministerin ihre Reformpläne zuerst den Medien anstatt dem Bundespräsidenten und ihrem Generalstab?

Tagespresse: Dass der Generalstab und Van der Bellen die geplante Abschaffung der Landesverteidigung aus den Medien erfahren, zeigt nur die Wichtigkeit der Reform und ist ein Zeichen der Wertschätzung. Sogar Sebastian Kurz sagt selbst, er erfährt wichtige Dinge primär aus den Medien.

STANDARD: Darf ich noch eine letzte Frage stellen? Was bedeutet diese Abkürzung NLP eigentlich?

Tagespresse: Das erklären wir in unserem Rhetorik-Coaching (3000 Euro Early Bird). (Thomas Mayer, 27.6.2020)