Bei Infrastrukturprojekten ist viel Geld im Spiel. Allerdings sollen bei öffentlichen Ausschreibungen künftig neben dem Preis auch andere Kriterien stärker gewichtet werden.
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Die Summen, die die Regierung im Kampf gegen die Covid-19-Krise in die Wirtschaft steckt, sind riesig. Außergewöhnlich sind die rund 50 Milliarden, weil sie als Krisenhilfe zusätzlich zum Budget bereitgestellt werden. Denn die öffentliche Hand steckt auch sonst Jahr für Jahr ähnliche Summen in die Wirtschaft – wenn auch gegen Leistung. Ob Bauaufträge, Kauf von Militärflugzeugen oder Bürosessel: Allein 2019 vergaben rund 7700 öffentliche Stellen Aufträge im Wert von 46 Milliarden Euro. Das sind 14 Prozent der nationalen Wertschöpfung.

Öffentliche Aufträge sind ein wirkmächtiger wirtschaftspolitischer Hebel. Das hat die Bundesregierung erkannt, die im Regierungsprogramm an mehreren Stellen Änderungen des Vergaberechts ankündigt und bereits an einer Gesetzesnovelle arbeitet. Das Vergaberecht soll zur Stärkung der Regionalität und im Kampf gegen den Klimawandel eingesetzt werden, steht im Regierungspakt. Spätestens Mitte 2021 muss die Novelle stehen, um auf Höhe der EU-Vorgaben zu sein.

Relativ freie Hand

Schon jetzt könnte die öffentliche Hand Aufträge an den klimafreundlichsten Bieter oder an einen Bieter aus der Gegend vergeben – sie tut es nur selten. Obwohl Auftraggeber im Bestbieterverfahren relativ freie Hand bei der Wahl von Zuschlagskriterien und deren Gewichtung haben, zeigt die Praxis: Beim Großteil entscheidet der Preis über die Vergabe. Das geht unter anderem aus einer Studie von Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo) und Fachverband der Elektroindustrie (FEEI) hervor. In fast 45 Prozent der Ausschreibungen fließt der billigste Preis zu mindestens 80 Prozent in die Vergabekriterien ein.

Der Preis als alleiniges Zuschlagskriterium sei allerdings noch kein eindeutiges Indiz für ein Billigstbieterverfahren, gibt man vonseiten der Bundesbeschaffung GmbH zu bedenken, die für den Bund einkauft. Wenn die Qualität in der Leistungsspezifikation erfasst wird, sei die hohe Qualität der Leistung jedenfalls gewährleistet. Eine möglichst genaue Beschreibung der ausgeschriebenen Leistung ist sinnvoll, wenn die öffentliche Stelle sehr genau kennt, was sie nachfragt, sagen Experten.

Preis noch wichtiger

Martin Schiefer, der als Rechtsanwalt auf Vergaberecht spezialisiert ist, fürchtet jedenfalls, dass das Preiskriterium wegen der Corona-Krise künftig noch gewichtiger werden könnte. Wirtschaftskrise und sinkende Steuereinnahmen werden Bund, Gemeinden und andere öffentliche Auftraggeber zu vermehrter Sparsamkeit zwingen. Deshalb sei es wichtig, die Vergabekriterien neu zu denken. Schiefer schlägt vor, beim Zugang zu Ausschreibungen anzusetzen und nur nachweislich nachhaltige Unternehmen zu Ausschreibungen zuzulassen: "Dann würde auch die gängige Vergabepraxis zu nachhaltigeren Entscheidungen führen."

Das Problem, so stellen es Experten dar, mit der Vergabepraxis ist: Die Definition von qualitativen Kriterien kostet. Und unterlegene Parteien erheben mitunter Einspruch. Das kann zu Verzögerungen von Projekten führen, besonders, wenn qualitative Vergabekriterien im Spiel sind und erst geklärt werden muss, ob der Gewinner des Bieterwettbewerbs diese auch am besten erfüllt.

Kriterienkatalog

Dabei gibt es vonseiten des Bundes bereits einen Kriterienkatalog, an dem sich öffentliche Stellen bei Ausschreibungen orientieren können. Der Aktionsplan nachhaltige Beschaffung definiert bereits seit 2010 mögliche Kriterien bei der öffentlichen Beschaffung für unterschiedliche Produktgruppen. Für den Bund sind diese Kriterien verpflichtend. Und der Kriterienkatalog dürfte schon sehr bald anwachsen. Das Klimaschutzministerium hat die Überarbeitung fast fertiggestellt und wird den Aktionsplan zeitnah zur Begutachtung versenden, sagte ein Sprecher.

Möglicherweise werden bestimmte Kriterien daraus bei Ausschreibungen verpflichtend, sobald das Vergabegesetz novelliert ist – welche Punkte sich in welcher Weise im novellierten Vergaberecht niederschlagen werden, wird derzeit verhandelt. Manche Ministerien haben ihre Vorstellungen schon bei der Justiz deponiert. Die Wünsche gehen, wie das Regierungsprogramm vermuten lässt, in Richtung Regionalisierung und Klimaschutz.

Weniger CO2-Emissionen

Bei der Überarbeitung des Aktionsplans ist dem Klimaschutzministerium zufolge die Reduktion der CO2-Emissionen ein zentrales Anliegen. Die öffentliche Beschaffung solle darauf achten, dass Transportwege möglichst kurzgehalten werden. Das würde zudem die Regionalisierung fördern, was dem Wirtschaftsministerium wichtig ist. Und es wäre nicht EU-rechtswidrig, wie Experten versichern. Beim Wirtschaftsministerium nennt man auch KMU-Freundlichkeit als Ziel. Denkbar seien auch Verbesserungen im Bereich der sozialen Qualitätskriterien wie etwa Lehrlingsausbildung oder Frauenförderung.

Die Vergabe öffentlicher Aufträge funktioniert derzeit so: Bei Aufträgen bis zu 100.000 Euro kann die öffentliche Hand einkaufen wie Private. Bei größeren Summen muss sie Aufträge ausschreiben oder zumindest mehrere Angebote einholen. Dabei gilt meist das Bestbieterprinzip. Welche nichtpreislichen Kriterien öffentliche Stellen anwenden und gewichten, können sie schon jetzt recht frei entscheiden. (Aloysius Widmann, 27.6.2020)