Die Zeit der günstigen Highend-Smartphones ist vorbei. Für das aktuellste Modell von Oneplus, dem Hersteller, dessen erstes Gerät 2014 für weniger als 300 Euro zu haben war, muss man wenigstens 700 Euro ausgeben. Unter den hierzulande erhältlichen Geräten ist Xiaomis Mi 10 ab 600 Euro das derzeit günstigste Smartphone mit dem Snapdragon 865 und den meisten anderen Annehmlichkeiten, die man von einem Flaggschiff erwartet. Darunter läge nur noch das Pocophone F2 Pro, das aber in unseren Breitengraden noch nicht offiziell zu bekommen ist.

Mit Realme hat sich aber vor kurzem eine neue Marke auf den heimischen Markt vorgewagt. Sie wohnt – ähnlich wie Oneplus – unter dem Dach von Oppo und dürfte wohl die Lücke füllen wollen, die Huaweis Honor aufgrund des US-Embargos hinterlassen hat. Als aktuelles Spitzenmodell liefert man das X50 Pro zum gleichen Nennpreis wie das Mi 10. DER STANDARD hat es getestet.

Foto: DER STANDARD/Pichler
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Basics

Das Testmuster präsentiert sich in der offiziell "Rostrot" genannten Farbvariante in einem gut verarbeiteten Gehäuse aus Metall und Glas, das 159 x 74,2 x 8,9 Millimeter misst. Mit fast 210 Gramm ist es ein Handy der eher schwereren Sorte. Die Vorderseite wird großteils von einem 90-Hertz- und HDR-fähigen AMOLED-Display okkupiert, das mit einer Diagonale von 6,4 Zoll und einem Seitenverhältnis von 20:9 (2.400 x 1.080 Pixel) dem neuen Trend anwachsende Bildschirmfläche durch vertikales Wachstum Genüge tut. Die logische Schlussfolgerung: Einhandbedienung funktioniert nur eingeschränkt.

In einem kleinen Ausschnitt, im Eck des Bildschirms untergebracht, sitzt die duale Frontkamera. Im unteren Bereich wiederum verbirgt sich der sehr schnelle und zuverlässige Fingerabdruckscanner.

Auf der Rückseite sind das Herstellerlogo und prominent die Hauptkamera mit ihren vier Sensoren gelandet. Am linken Rand hat man die beiden Tasten für die Lautstärkeregelung untergebracht, gegenüber davon den Ein/Aus-Schalter. Wenngleich die Gesamtkonstruktion nicht ganz so glatt ist wie bei einigen anderen Edelhandys, sollte man die Verwendung der beigelegten durchsichtigen Schutzhülle in Erwägung ziehen.

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Flaggschiff-Specs

Unter dem durchaus ansehnlichen Äußeren verbirgt sich das Standardrepertoire des üblichen 2020er-Flaggschiffs, nämlich ein Snapdragon-865-Chip in Kombination mit – je nach Modell – 6, 8 oder 12 GB RAM sowie 128 oder 256 GB Speicher. Das Testgerät lieferte die Maximalausstattung, also 256 GB an Speicherplatz und 12 GB an Arbeitsspeicher, die rund 750 Euro kostet.

Das Handy ist 5G-fähig (nicht Testgegenstand), verbindet sich freilich auch mit LTE-Netzen und bringt weiters auch Wifi 6 (802.11ax), Bluetooth 5.1 und NFC mit. Beim Kauf sollte man genau hinsehen, denn das Handy gibt es sowohl in einer Single- als auch in einer DualSIM-Ausführung.

Der Akku liefert eine Nennkapazität von 4.200 mAh und unterstützt das Laden mit einer Leistung von bis zu 65 Watt mit dem mitgelieferten Adapter. Erledigt wird das über den USB-2.0-Port in Type-C-Ausführung. Nicht anzutreffen ist ein 3,5-mm-Klinkenstecker für klassische Kopfhörer.

Vorinstalliert ist Android 10 in der Variante Realme UI, das seinerseits eine angepasste Ausgabe von Oppos Color OS ist.

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Wo bleibt das Update?

Der Ersteindruck ist gut. Das Display liefert helle, kräftige, aber nicht schreiend grelle Farben. Das System zeigt sich trotz seiner Wurzeln im viele Jahre lang überladenen Color OS recht nah an "Vanilla"-Android, bietet aber diverse ästhetische Anpassungsoptionen und Features wie einen "Game Space", geteilten Bildschirm oder einen "App Cloner". Letzterer ist etwa gedacht für Leute, die einen Messenger, der eigentlich keine Accountverwaltung mitbringt, mit mehreren Konten verwenden möchten. Die Software reagiert zackig auf Eingaben, wie man es von der Hardware erwarten darf.

Abzuwarten bleibt, wie fleißig Realme bei der Veröffentlichung von Updates sein wird. Mit der Aktualisierung auf Android 11 ist zwar zu rechnen, die Auslieferung von Sicherheits-, Feature- und Bugfixaktualisierungen über die Update-Funktion hat beim Testgerät allerdings versagt. Obwohl Realme für die EU-Ausgabe des Handys sowohl im Mai als auch Mitte Juni eine neue Firmwareversion veröffentlicht hat, tauchten diese auch beim nutzerseitigen Anstoßen einer Suche nicht auf, und das Handy lief weiter mit einer Version mit dem Android-Sicherheitspatch vom März.

Zumindest bietet Realme die aktuellsten Ausgaben seiner Software auf seiner Homepage zum Download an, sodass man sich dort manuell behelfen kann. Der Download der kompletten Firmware ist mit aktuell 3,6 GB allerdings deutlich umfangreicher als ein OTA-Paket, das nur neue und zu aktualisierende Dateien enthält.

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Kamera

Den performanten Eindruck bestätigen sowohl die Benchmarks – sowohl bei Geekbench als auch beim Grafiktest mit 3D-Mark liegt das Realme X50 Pro unter den vorderen Rängen im Vergleich mit anderen Spitzenhandys der gleichen Generation – als auch die Praxis. Auch Games mit höherem Leistungsanspruch und fordernder Grafik laufen flüssig. Allerdings fällt auf, dass das Telefon nach einigen Minuten in Hochleistung unangenehm warm wird.

Womit es auch schon an der Zeit ist, sich der Kamera zu widmen. Hier findet man eine 64-MP-Hauptkamera, einen Ultraweitsensor mit 8 MP, eine Telefotocam mit 12 MP sowie einen 2-MP-Tiefensensor. Realisiert werden damit neben üblichen Modi auch ein optischer 2x-Zoom, ein hybrider 5x-Zoom und gleich zwei Makromodi (Makro und Ultramakro).

Unter guten Bedingungen, sprich: Tageslicht, gelingen Fotos, die auf den ersten Blick sehr gut aussehen. Solange man sie auf einem kleineren Bildschirm betrachtet, befindet sich das Realme X50 Pro auch in Schlagdistanz zu Samsung, Oneplus und Huawei. Bei genauerer Betrachtung muss man den Newcomer allerdings um wenigstens eine Klasse abwerten. Dafür gibt es zwei Gründe, die beide in der automatisierten Bildverbesserung zu finden sind.

Erstens: Das Postprocessing hat die Neigung, feinere Strukturen zu verschlucken und auch etwas Schwierigkeiten mit den Rändern kleinerer Objekte im Hintergrund. Zweitens: Die Nachschärfung der Bilder ist schlicht zu intensiv. Das mag zu einem gewissen Grad zwar Geschmackssache sein, aber Ränder, die aufgrund dieses Phänomens plötzlich seltsam aufgehellt sind, tragen nicht unbedingt zum natürlichen Eindruck einer Aufnahme bei. Wer auf eine realistische Abbildung der Motive Wert legt, sollte die automatische KI-Farboptimierung übrigens ausgeschaltet lassen, denn diese neigt deutlich zur übertriebenen Verstärkung von Farben.

Die Zoomfunktion erfüllt unter diesen Gegebenheiten ihre Erwartungen. Verwendet man die Makrofunktionen (deren Unterschied bis zuletzt nicht identifizierbar war), fällt allerdings eine Tendenz zur Überbelichtung auf.

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Bei nachlassenden Lichtbedingungen zeigen sich diese Phänomene auch. Da die Kamera aber auch bei schwindender Beleuchtung immer noch flott auslöst, führt zumindest der Mangel einer optischen Bildstabilisierung hier noch nicht zu Schwierigkeiten. Diese Auslassung rächt sich allerdings, wenn man den Nachtmodus ("Nightscape") verwendet. Dieser bietet zwar einen eigenen Stativmodus an, aber grundsätzlich sollte man das Handy nach Möglichkeit immer irgendwo anlehnen oder anderweitig fixieren, wenn man Nachtaufnahmen erstellt. Andernfalls muss man mit Fotos rechnen, die zu guten Teilen nicht besonders scharf sind. Bleibt das Handy während der Aufnahme unbewegt, sind die Bilder durchaus ansehnlich, wenn auch ebenfalls nicht ganz ebenbürtig mit anderen Topsmartphones.

Was relativ negativ klingt, sollte man nicht falsch verstehen. Das Realme X50 Pro mag in fotografischen Dingen nicht ganz an die meist teurere Konkurrenz herankommen, liefert aber dennoch summa summarum "gute" Bilder.

Die Frontkamera – sie kombiniert einen 32- und einen 8-MP-Sensor – ist deutlich netter zu feineren Details. Sie bügelt standardmäßig auch Gesichter nicht glatt, sehr wohl aber auf Wunsch.

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Akustik

Die akustische Kost dieses Telefons ist über das Stereo-Ausgabesystem (unterseitiger Lautsprecher plus Ohrhörer) für ein Smartphone überraschend gut. Die Lautstärke reicht zur Hintergrundbeschallung eines mittleren Raums (rund 15 bis 25 Quadratmeter) aus. Mitteltöne und Höhen klingen für ein Handy sehr ordentlich. Ein Basswunder ist es, zu niemandes Überraschung, nicht. Allerdings gibt es auch kein wahrnehmbar störendes Scheppern bei sehr hohen oder tiefen Tönen.

Die Sprachqualität bei Anrufen kann an dieses hohe Niveau nicht ganz anschließen. Sie lässt sich aber als "passabel" einstufen. Man selbst und der Gesprächspartner sind laut zu hören, die Verständlichkeit ist allerdings von einem leichten Rauschen etwas getrübt, was aber selbst in Situationen mit intensiverem Hintergrundlärm kein großes Problem sein sollte.

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Akku

Der Akku des X50 Pro, soweit es sich über den relativ kurzen Testzeitraum einschätzen lässt, reicht auch für Nutzer mit hoher Verwendungfrequenz ihres Handys problemlos bis in den Abend, in der Regel wohl auch mit Reserven bis zum nächsten Mittag. Es sei denn, man widmet sich oft Apps, die die maximale Bildschirm-Wiedergabefrequenz von 90 Hz ausnutzen und daher den Stromverbrauch merkbar erhöhen. Ebenfalls gedrückt werden dürfte die Akkulaufzeit bei der Verwendung von 5G, was in Mitteleuropa für die allermeisten Handynutzer aber ein hauptsächlich theoretisches Szenario ist, da das Netz erst in den Kinderschuhen seines Ausbaus steckt.

Die Schnellaufladung mit 65 Watt hilft in Notfällen allerdings gut aus. Im Test konnte das Handy nach kompletter Entladung binnen 30 Minuten wieder auf einen Ladestand von 95 Prozent gebracht werden.

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Fazit

Realme ist offensichtlich in Mitteleuropa angetreten, um die Nachfolge von Honor anzutreten. Das gelingt mit dem X50 Pro zumindest nicht ganz, da man preislich über Huaweis "Jugendmarke" liegt und dafür in das sehr direkte Duell mit Xiaomi und dessen Mi 10 (nicht die Pro-Ausgabe) steigt. Dem ist man insofern überlegen, als dass man den Akku schneller laden kann und die Systemoberfläche – relevant für Puristen – näher an Standard-Android liegt. Dafür ist der Akku allerdings auch kleiner dimensioniert.

Doch gerade bei der für viele Nutzer und in der Werbebotschaft so wichtigen Kamera lässt man etwas aus. Problematisch konfiguriertes Postprocessing und vor allem das Fehlen optischer Bildstabilisierung sorgen für mäßige bis deutliche (Nachtmodus) Qualitätsunterschiede. Damit ist dieses Handy, das in den meisten anderen Bereichen durchaus überzeugt, letztlich zwar immer noch eine gute Wahl, aber eben knapp doch kein neuer "Flaggschiffkiller". (Georg Pichler, 5.7.2020)

Testfotos

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Tageslicht.
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Tageslicht, Porträtmodus.
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Tageslicht.
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Tageslicht, Frontkamera.
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Tageslicht, Makro.
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Tageslicht, Ultramakro.
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Tageslicht, Porträtmodus.
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Tageslicht, Makro.
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Gadsenfoto, gemischte Lichtsituation.
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Tageslicht.
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Mit 2x-Zoom.
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Mit 5x-Zoom.
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Kunstlicht.
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Tageslicht.
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Mit 2x-Zoom.
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Mit 5x-Zoom.
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Nachtmodus (kein Stativ).
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Nachtmodus (kein Stativ).
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Nachtmodus (Handy angelehnt).
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