Sebastian Kurz im U-Auschuss.

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Die türkise Woche im Untersuchungsausschuss hat Spuren hinterlassen: Nationalratspräsident und Ausschussvorsitzender Wolfgang Sobotka (ÖVP) sieht sich mit Rücktrittsforderungen konfrontiert, Verfahrensrichterin Ilse Huber warf gleich den Hut. Begonnen hatte die Woche mit der bislang höchstrangigen Befragungsperson: Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP). Ergiebig war der Termin inhaltlich nicht. Kurz setzte auf zahlreiche Ablenkungen und rhetorische Kniffs, um konkrete Antworten zu umschiffen – oftmals mit Schützenhilfe des Ausschussvorsitzenden Sobotka, der unparteiisch sein sollte. Der STANDARD hat den Auftritt anhand des nichtöffentlichen vorläufigen Protokolls im Detail analysiert.

1. Der Kanzler gibt den Ton vor

Die Ausgangslage ist relativ einfach: Der U-Ausschuss lädt eine Auskunftsperson, die dann unter Wahrheitspflicht Fragen zu Themen des Untersuchungsgegenstands beantwortet. Sebastian Kurz hatte hier schon vor dem U-Ausschuss semantische Duftmarken gesetzt: Er meinte etwa, er werde "Gast" im Ausschuss sein und "Fragen, die ich beantworten kann, beantworten". In seinem Eingangsstatement sagte Kurz dann bereits, zu welchen Themen er wohl Auskunft geben könne – und zu welchen nicht.

Kurz gab den Abgeordneten damit implizit vor, wo eine Befragung Sinn ergibt und wo nicht. Zwar heißt es, der Gast ist König; Kurz war aber eben kein "Gast", sondern Auskunftsperson, und die Parlamentarier dürfen zu allen Themen, die der Untersuchungsausschuss abdeckt, Fragen stellen.

2. Generalisierungen und Greenwashing

Zu Hauptthemen des U-Ausschusses äußerte sich Kurz nur abstrakt. Die Neos-Abgeordnete Stephanie Krisper versuchte beispielsweise wiederholt, Kurz nach Postenbestellungen zu fragen, ebenso ihr Kollege Helmut Brandstätter (Neos) bezüglich Nationalbank. Kurz wich hier aus, indem er allgemeines Regierungshandeln erklärte.

Schon in einem Eingangsstatement gab Kurz, der noch mit "Mut für Neues" in den Wahlkampf gezogen war, an, dass das System der politisch motivierten Postenbestellungen bestehe und nicht von ihm erfunden worden sei. Wie später von Krisper erwähnt, sitzen im Aufsichtsrat der Österreichischen Beteiligungs AG, die Staatsbeteiligungen in Höhe von rund 20 Milliarden Euro verwaltet, drei ÖVP-Spender oder deren Kinder.

Immer wieder brachte Kurz die Sozialdemokratie oder die Grünen ins Spiel, um das Verhalten der FPÖ als normales Regierungsverhalten zu verteidigen. Das ging so weit, dass die grüne Fraktionsführerin Nina Tomaselli mit Blick auf den Untersuchungsgegenstand anmerkte: "Man könnte gerade meinen, dass die Grünen bei der mutmaßlichen Käuflichkeit der türkis-blauen Bundesregierung beteiligt waren."

3. Die "ÖVP-Phalanx"

Das Verhalten des Ausschussvorsitzenden Sobotka hat SPÖ, Neos und FPÖ so erzürnt, dass die drei Oppositionsparteien geschlossen seinen Rückzug fordern. Tatsächlich lässt sich aus den Protokollen gut ablesen, wie Sobotka aktiv in die Befragung eingriff. Auch die einstige Verfahrensrichterin Ilse Huber wirkte teilweise tendenziös. Zu sehen war das beispielsweise, als FPÖ-Fraktionsführer Christian Hafenecker Kurz nach SMS zwischen ihm und Strache fragte. Hafenecker thematisierte, dass dem U-Ausschuss keine SMS des Kanzlers vorliegen, und stellte in den Raum, dass diese von der polizeilichen Soko Tape aussortiert worden seien. Daraufhin meldete sich der ÖVP-Abgeordnete Klaus Fürlinger, der in der Woche zuvor noch Stephanie Krispers Aktivitäten im U-Ausschuss "staatsanwaltlich überprüfen" wollte, zu Wort – er behauptete, dass die SMS-Auswertung nicht bei der Soko, sondern bei der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) erfolge. Daraufhin sagte die Verfahrensrichterin: "Also, um das zu verifizieren, müsste ich jetzt die Protokolle lesen, aber ich nehme an, dass es so war, wie Sie gesagt haben."

Ohne nähere Begründung schlug sie sich also auf die Seite des türkisen Abgeordneten. Später ließ Sobotka prüfen, ob die Frage, wann erste Regierungsgespräche zwischen ÖVP und FPÖ stattfanden, vom Untersuchungsgegenstand gedeckt ist – der ja genau diese Regierung zum zentralen Inhalt hat.

Hafenecker wurde in seiner Befragung immer wieder unterbrochen; er selbst spricht von einer "ÖVP-Phalanx". Da Kurz immer wieder darauf verweist, dass Minister oder, wenn es um die ÖVP geht, andere Parteifunktionäre Entscheidungen getroffen hätten, fragte Hafenecker, warum sich Kurz dann mit dem "Durchgriffsrecht" ausstatten ließ, um Macht bei seiner Person zu konzentrieren. Daraufhin fragte Verfahrensrichterin Huber, was das Durchgriffsrecht mit dem Untersuchungsgegenstand zu tun habe – also, anders gesagt, warum es beim Thema käufliche Politik relevant ist, wenn Kurz wichtige Entscheidung in der ÖVP im Alleingang treffen kann. Dazu meldete sich sofort der türkise Fraktionsführer Wolfgang Gerstl zu Wort, auch Sobotka unterbrach Hafenecker.

Schon zuvor legte Sobotka die Verfahrensregeln eigenwillig aus. So wollte die grüne Abgeordnete Tomaselli den Kanzler zu seinen Aussagen im ORF-"Sommergespräch" 2017 fragen. Damals sagte Kurz: "Wenn ich Spenden intransparent sammeln würde, dann können Sie zu Recht annehmen, dass ich irgendein Problem damit habe, die Personen öffentlich zu machen, dass es da vielleicht einen Versuch gibt, sich Politiker zu kaufen; aber sobald man Spenden transparent macht, ist es ja ein Zeichen, dass man da nichts zu verbergen hat."

2019 wurde jedoch bekannt, dass die Milliardärin Heidi Horten offenbar ab 2018 monatlich 49.000 Euro an die ÖVP überwiesen hat – genau so wenig, dass eine Offenlegung durch den Rechnungshof nicht erfolgen musste. Tomaselli fragte Kurz nun, ob er die Aussagen aus dem "Sommergespräch" abändern oder sich dafür entschuldigen wolle. Kurz antwortete allgemein, ohne konkret auf die Frage einzugehen. Darauf folgte eine Geschäftsordnungsdebatte.

Sobotka vertrat hier eine eigenwillige Rechtsmeinung, allerdings nicht zum ersten Mal. Schon zuvor sagte er: "Die Antwort ist die Antwort, die Frage ist die Frage." Dadurch wird aus Sicht der Opposition die Wahrheitspflicht im U-Ausschuss ad absurdum geführt.

4. Untergriffigkeiten und Wutausbrüche

Wenn die Befragung für Kurz unangenehm wurde, reagierte der Kanzler immer wieder gereizt. Die sozialdemokratische Abgeordnete Eva Holzleitner thematisierte beispielsweise das "Projekt Ballhausplatz": Dabei soll es sich um interne Planungen der engsten Kurz-Vertrauten für die Phase nach seiner Übernahme der ÖVP 2017 handeln. Dort werden auch potenzielle Spender angeführt. Holzleitner wollte Kurz fragen, mit welchen er Kontakt hatte. Er antwortete: "Ich würde das Spiel auch gerne mit Ihnen spielen, ich glaube nur, es ist nicht Teil des Untersuchungsgegenstandes, oder?"

Die zentrale Frage, warum die Personen um Kurz offenbar diese Unternehmen als Geldgeber avisierten und ob Gespräche stattfanden, wurde vom Kanzler auf die Ebene eines "Spiels" zwischen ihm und der SPÖ-Abgeordneten gehoben. Nach einem Geschäftsordnungsscharmützel, in dem Sobotka ausweichende Antworten des Kanzlers durchgehen ließ, fragte die SPÖ dann einzelne Spender ab.

Zu einer anderen Frage der SPÖ, nämlich von Fraktionsführer Jan Krainer, merkte Kurz an, dieser sei ja "noch nie im Ministerrat" gewesen; er stellte den SPÖ-Politiker, der seit 18 Jahren im Nationalrat sitzt, also als ahnungslos dar. Aber auch der einstige Vizekanzler kam nicht ungeschoren davon: Über Heinz-Christian Strache habe Kurz mit seiner Büroleiterin "gescherzt", weil "so viele SMS daherkommen". Zum Thema SMS gab es eine Geschäftsordnungsdebatte, die zwischen Abgeordneten und ohne Kurz stattfinden musste. Dort wurde avisiert, einen gemeinsamen erweiterten Beweisantrag ans Kanzleramt zu stellen. Danach merkte Kurz an, wenn man ihn nichts dazu sagen lasse, habe man offenbar ja doch kein Interesse an seinen SMS.

Persönlich wurde es dann gegen Ende der Befragung mit dem einstigen "Kurier"-Chefredakteur und jetzigen Neos-Abgeordneten Brandstätter: Kurz behauptete, Brandstätters Frau habe ihn per SMS wegen ihrer "Zukunft im ORF" kontaktiert, ebenso, dass Brandstätter ORF-Chef werden wollte. Der bezichtigte Kurz dann mehrfach, die Unwahrheit zu sagen.

5. Falsche Chronologie

Ins Schwimmen geriet Kurz, als ihn Krisper nach seinen Aussagen in einem Hintergrundgespräch zur WKStA fragte. Im Jänner hatte Kurz vor Journalisten die Korruptionsstaatsanwälte attackiert, beispielsweise von parteipolitisch motivierten Leaks und "roten Netzwerken" gesprochen. Als Krisper Kurz fragte, woher er diese Infos hatte, verwies Kurz auf einen Tweet des einstigen Krone.at- und jetzigen Oe24.at-Chefs Richard Schmitt – der auf Ibiza übrigens als einziger Journalist von Strache gelobt worden war.

Allerdings hat Kurz’ Antwort einen Haken: Schmitts Tweet erschien am Tag nach dem Hintergrundgespräch, wo Kurz dem Vernehmen nach fast das Wortgleiche schon gesagt haben soll. Es ist also unmöglich, dass Schmitts Tweet der Anlass für Kurz' Kritik an der WKStA war. (Fabian Schmid, 30.6.2020)